Türkei: Erdogan macht Schwiegersohn zum Minister
Loyalität ist das wichtigste Kriterium zur Besetzung des Kabinetts. Nach der Regierungsbildung reist Erdogan zum Nato-Gipfel.
Der Schwiegersohn als Finanzminister, der Leibarzt als Gesundheitsminister, der enge Vertraute als Industrieminister: Das erste Kabinett der neuen türkischen Präsidialrepublik macht klar, dass Loyalität zu Staatschef Recep Tayyip Erdogan in der neuen Türkei wichtiger ist als alles andere. An den internationalen Finanzmärkten kam dieses Signal nicht gut an – Investoren schickten die Türkische Lira auf Talfahrt. Erste Hinweise auf die neue Außen- und Sicherheitspolitik der Türkei wird es am Mittwoch und Donnerstag beim Nato-Gipfel in Brüssel geben, wo sich Erdogan mit seinem Team um einen Neuanfang in den Beziehungen zum Westen bemühen dürfte.
Wie Schulkinder bei einer Preisverleihung ließ Erdogan seine neue Ministerriege aufmarschieren, als er sie nach seiner Vereidigung im Präsidentenpalast von Ankara vorstellte. Die Besetzung der 16 Ministerposten und des Vizepräsidentenamtes mit ausgewiesenen Erdogan-Anhängern – darunter nur zwei Frauen – ist Ausdruck von Erdogans Entschlossenheit, die gesamten Staatsgeschäfte seiner direkten Kontrolle zu unterstellen und keine Machtzentren außerhalb des Palastes zu dulden.
Ein Fachmann muss gehen
Das wichtigste Signal setzte Erdogan mit der Ernennung seines Schwiegersohnes Berat Albayrak zum Finanzminister. Der bisherige Vizepremier Mehmet Simsek, der bei ausländischen Anlegern als Garant finanzpolitischer Stabilität galt, gehört der Regierung nicht mehr an. Der 40-jährige Albayrak ist ein enger Vertrauter seines Schwiegervaters und wird von ihm als Nachfolger aufgebaut. Hinweise auf eine entstehende Dynastie nach dem Muster autokratischer Nahost-Staaten orten Regierungskritiker auch anderswo: Im Internet kursierte ein Foto von der Vereidigungszeremonie, das den Chef der türkischen Luftwaffe bei der respektvollen Begrüßung eines elfjährigen Enkelsohns von Erdogan zeigte.
Auch zwischen anderen Ministern und Erdogan bestehen enge persönliche Verbindungen. So wird der bisherige Generalstabschef Hulusi Akar mit dem Amt des Verteidigungsministers belohnt. Akar hatte sich während des Putschversuches von 2016 geweigert, die Umstürzler zu unterstützen, und ist seitdem zu einem persönlichen Freund des Präsidenten geworden: Die beiden Männer pilgerten unter anderem gemeinsam nach Mekka. Der neue Industrieminister Mustafa Varank ist seit Jahren ein enger Erdogan-Berater. Während der Putschnacht wich er nicht von Erdogans Seite, obwohl sein Bruder bei den Auseinandersetzungen ums Leben kam, wie der regierungsnahe Journalist Abdülkadir Selvi im Sender CNN- Türk berichtete. Der neue Gesundheitsminister Fahrettin Koca ist nicht nur Chef einer Krankenhauskette, sondern auch Hausarzt der Familie Erdogan.
Druck auf Regierungsgegner
Ab sofort liege das Schicksal des ganzen Landes in der Hand eines einzigen Mannes, warnte der regierungskritische Journalist Levent Gültekin in einem Beitrag für die Internet-Plattform Diken. Der Druck auf mutmaßliche Regierungsgegner hält an. Am Tag vor Erdogans Vereidigung waren fast 19.000 Soldaten, Polizisten und Beamte aus dem Dienst entfernt worden, am Dienstag nahm die Polizei im westtürkischen Izmir mehr als 20Anhänger der legalen Kurdenpartei HDP fest.
In der Wirtschaft weckt die Machtkonzentration auf Erdogan die Sorge, dass der Präsident die Unabhängigkeit der Zentralbank untergraben und die Türkei in eine Krise stürzen könnte. Der Unternehmerverband Tüsiad forderte am Dienstag, Kontrollinstitutionen wie die Zentralbank müssten unabhängig bleiben. Internationale Investoren haben ähnliche Bedenken. In den Stunden nach Vorstellung des Kabinetts sackte der Kurs der Lira gegenüber dem Dollar vorübergehend um vier Prozent ab. Seit Anfang des Jahres hat die Landeswährung fast 20 Prozent an Wert verloren.
Beruhigung für Nato-Partner
Aus wirtschaftlichen Gründen sind einigermaßen funktionierende Beziehungen zum Westen wichtig für Erdogan; Europa ist der größte Handelspartner der Türkei. Beim Nato-Gipfel in Brüssel werden sich Verteidigungsminister Akar und der im Amt bestätigte Außenminister Mevlüt Cavusoglu deshalb nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre um eine Beruhigung bemühen, erwartet der türkische Politologe Serdar Erdurmaz. Das sei schon deshalb nötig, weil Russland „niemals ein Freund sein wird“, betonte Erdurmaz, Außenpolitiker an der Kalyoncu-Universität im südtürkischen Gaziantep, gegenüber dem Tagesspiegel.
Die Festnahme von EU-Bürgern in der Türkei und Erdogans Nazi-Vergleiche hatten die türkischen Beziehungen zu Europa stark belastet. Mit den USA liegt die Türkei wegen der amerikanischen Unterstützung für eine kurdische Miliz in Syrien über Kreuz. Erdogan hat die westlichen Partner zudem mit einer engen Zusammenarbeit mit Russland in Syrien und mit dem Kauf eines russischen Raketenabwehrsystems verärgert.