Deutschland und die Türkei: Erdogan ist ein Geschenk für alle, die Vorurteile haben
Erdogan macht es vielen Deutschen leicht: Jenen, die immer schon glaubten zu wissen, dass alles, was mit der Türkei zu tun hat, unzivilisiert sei. Eine Kolumne.
Diese Woche wollte ein Taxifahrer in Berlin wissen, ob ich türkisch spreche. Er schmulte in den Rückspiegel, zäumte das Pferd von hinten auf: „Interessieren Sie sich für Fußball?“, „Nicht besonders.“ Er musste direkter fragen: „Sprechen Sie Türkisch?“ Es klang fast so, als hätte er Redebedarf und würde sich vortasten, ob das mit mir ginge und das hatte etwas damit zu tun, ob ich Türkisch sprach oder nicht.
Dass mir ein Taxifahrer diese Frage so vorsichtig stellte, ist zum ersten Mal passiert. Entweder sprachen sie gleich auf Türkisch los, oder sie fragten auf Türkisch, oder sie ließen es einfach sein und sprachen Deutsch mit mir.
Dieses Mal schien es um etwas Verbotenes zu gehen: Durfte in einem deutschen Taxi in der Hauptstadt türkisch gesprochen werden? Ich kam mir vor wie in einem Krimi: Stell dein Telefon aus, den Funk ab und das Radio auf White Noise, dann sprechen wir türkisch.
"Ständig fragen mich Fahrgäste nach Erdogan", sagt der Taxifahrer
Ich flüsterte ihm zu, dass ich die Sprache verstehe. Jetzt reichte ihm der Rückspiegel nicht, und er drehte sich beim Fahren zu mir, um sich zu vergewissern. Dann sagte er auf Deutsch: „Ich komme aus dem Fußball, wäre fast Profi geworden. Dass sie Gündogan auspfeifen, das heißt nichts Gutes.“
Deutschtürkisch war plötzlich eine eigene Sprache, deren Vokabular, Grammatik und Intonation deutsch waren, aber die Stille und Emotionalität hinter den Worten waren türkisch. Was der Fahrer mit seiner Frage gemeint hatte, ob ich Türkisch spreche, war eigentlich die Frage nach meiner Bereitschaft für den Ort zwischen den Sätzen, war eine Bitte, nicht erklären zu müssen und trotzdem verstanden zu werden.
Erdogan ist ein Geschenk für jene, die die Türkischstämmigen in Deutschland immer schon als Fremdkörper gesehen haben
„Merkt ihr die Pfiffe hier?“, fragte ich. „Es ist schlimm geworden“, sagte er, „ganz schlimm. Ständig fragen mich die Fahrgäste nach Erdogan, und was ich von ihm halte. Warum fragen die mich das? Ich fahr’ die doch nur. Was geht die an, was Özil von Erdogan hält? Was soll das alles? Es geht hier doch gar nicht um Erdogan.“
Er hat recht, Erdogan ist ein Geschenk an all diejenigen, die Türkeistämmige in diesem Land als Fremdkörper betrachten. Ihnen taugt er als lebender Beweis dafür, wie undemokratisch, brutal und letztlich unzivilisiert alles Türkische sei und weshalb die Türkei nicht zu Europa und Türkeistämmige nicht nach Deutschland gehörten. Mit diesen Projektionen wird aus ihnen eine große Gruppe von Erdogan-Anhängern: Sie brauchen ihn, um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen.
Diese Obsession hat einen Fetischcharakter. Denn wenn es um ein Interesse an türkischer Politik gehen würde oder um Empathie mit den Menschen, die unter dem totalitären Regime dort leiden, müsste mehr als der Name Erdogan bekannt sein bei dieser so entscheidenden Wahl, die am Sonntag endet.
Wie viele von den Fahrgästen, die diesen Taxifahrer nach seiner Einstellung zu Erdogan fragen, wissen, dass Selahattin Demirtas, ehemaliger Vorsitzender der HDP – die Demokratische Partei der Völker – aus dem Gefängnis aus für das Amt des Präsidenten kandidiert?
Dass Muharrem Ince, der Kandidat der CHP – Republikanische Volkspartei –, die Wahl tatsächlich gewinnen könnte und dies obwohl die Medien gleichgeschaltet sind und Erdogan die Wahlen um mehr als ein Jahr vorgezogen hat, sodass der Opposition keine Zeit blieb sich vorzubereiten?
Am Ende unserer Fahrt sagt der Fahrer: „Manchmal will ich Erdogan wählen, nur weil sie pfeifen.“ „Aus Trotz Unterdrückung zu wählen, ist wie Eigentore schießen um Weltmeister zu werden“, sage ich und hoffe, dass er mich versteht. Immerhin haben wir Türkisch geredet auf Deutsch.
Deniz Utlu