Kritik an türkischem Ministerpräsident: "Erdogan hat sich für das Modell Putin entschieden"
Die EU und deutsche Politiker fordern die Aufklärung der Korruptionsaffäre in der Türkei. Grünen-Chef Cem Özdemir wirft Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan autoritäre Herrschaft vor - und wählt dabei besonders scharfe Worte.
Angesichts der Korruptionsaffäre in seinem Umfeld wird die Kritik am türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der EU und in Deutschland schärfer. Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle verfolgt die Entwicklung „mit zunehmender Besorgnis“. In einer Erklärung in Brüssel erinnerte Füle die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, „alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden“. Die von der Regierung beschlossenen Änderungen der Polizeiarbeit hätten „die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben“, heißt es in der Erklärung. Er begrüße, dass der Staatsrat die Maßnahmen ausgesetzt habe, und hoffe auf eine baldige endgültige Entscheidung. Füle bekräftigte, die Justiz müsse unabhängig arbeiten können. Er sei über die Amtsenthebungen einer größeren Zahl von Polizisten besorgt.
Steinmeier: Türkei bleibt wichtiger Partner
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir vertrauen auf die Kraft des türkischen Staates, dass die im Raum stehenden Korruptionsvorwürfe ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden. Das zu gewährleisten, ist Bewährungsprobe für jede auf Rechtsstaatlichkeit bauende Politik.“ Steinmeier betonte zugleich die Bedeutung der Türkei für Deutschland: „Für uns ist und bleibt die Türkei ein überaus wichtiger Partner. In der von Krisen und Konflikten gezeichneten Region des Mittleren Ostens wird eine nach innen und außen gefestigte Türkei als stabiler Anker gebraucht.“
Autoritäre Herrschaft und prall gefüllte Taschen
Grünen-Chef Cem Özdemir wählte sehr scharfe Worte: „Nicht nur die Menschen türkischer Herkunft in Deutschland verfolgen mit größter Sorge die aktuelle Eskalation in der Türkei. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat sich offensichtlich für das Modell Putin als Regierungsform entschieden. Das bedeutet autoritäre Herrschaft und prall gefüllte Taschen für das unmittelbare Umfeld“, sagte Özdemir dem Tagesspiegel am Sonntag. Die Korruptionsvorwürfe müssten schleunigst schonungslos aufgeklärt werden, und Erdogan müsse endlich damit aufhören, für eigene Fehler jeden innerhalb und außerhalb des Landes verantwortlich zu machen, außer sich selbst, sagte er weiter. „Die Zukunft der Türkei liegt nicht im Modell Putin, sondern in einer echten parlamentarischen Demokratie mit allem, was dazugehört. Eine solche Türkei, und nur eine solche Türkei, hat auch einen Platz in Europa.“
Hat Erdogan seinen Zenit überschritten?
Nach Sicht des CDU-Europapolitikers Elmar Brok steuert das Land angesichts der Korruptionsaffäre auf sehr unsichere, instabile Zeiten zu. Er glaube, dass Erdogan „seinen Zenit überschritten hat“, sagte Brok am Samstag im Deutschlandfunk. Erdogan, der seit 2002 regiert, versuche, „alle Mittel einzusetzen“, um an der Macht zu bleiben. „Große Teile der Bevölkerung, (...) die einen sauberen Staat haben wollen, wenden sich ab“, fügte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament hinzu. Wichtig sei jetzt, dass die Türkei nicht in einen islamistischen Prozess gerate. Dafür sollte das Land nach Ansicht von Brok wirtschaftlich enger an die EU heranrücken und ihr Rechtssystem reformieren. „Man sieht, dass die Regierung dramatischen Einfluss auf die Unabhängigkeit der Justiz nimmt (...)“, sagte der CDU-Politiker. Die Justiz in der Türkei sei nur formal unabhängig. Mit Blick auf die laufenden Verhandlungen der EU über einen Beitritt der Türkei sagte Brok, es sei „vielleicht interessant“, jetzt nicht über Regionalpolitik zu verhandeln, sondern zu versuchen, in Fragen von Grundrechten und Justiz Fortschritte zu erreichen.
Vertreter der EU und Ankaras hatten im November die ins Stocken geratenen Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei auf den Themenbereich Regionalpolitik ausgeweitet. Es ist das 14. von 35 sogenannten Kapiteln, über die vor einem Beitritt verhandelt werden muss. Den Beginn der Gespräche hatte die EU im Juni aus Protest gegen die Niederschlagung von Demonstrationen in der Türkei auf Eis gelegt. Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei laufen bereits seit acht Jahren.
Machtprobe zwischen Regierung und Justizapparat
Die Korruptionsaffäre wurde vor anderthalb Wochen publik. Von einer ersten Verhaftungswelle waren Dutzende Geschäftsleute und Politiker aus Erdogans Umfeld betroffen. Drei Minister traten zurück. Erdogan besetzte am Mittwoch insgesamt zehn seiner 26 Kabinettsposten neu. Am Freitag verließen aus Protest gegen Erdogan drei Abgeordnete dessen Partei für Gerechtigkeit und Freiheit (AKP). Der Konflikt weitet sich zu einer Machtprobe zwischen der Regierung und dem Justizapparat aus. Inzwischen bekommt auch die Wirtschaft die Auswirkungen zu spüren. Die türkische Lira stürzte am Freitag auf ein Rekordtief, ausländische Investoren haben im großen Stil Kapital abgezogen.
Am Freitagabend war die Polizei hart gegen regierungskritische Demonstranten in Istanbul vorgegangen. Die Sicherheitskräfte setzten schon vor dem geplanten Beginn der Demonstration Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse ein. Die Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung. Sie skandierten wie bereits bei den Protesten im Sommer: „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand.“ Vom Gezi-Park am Taksim-Platz waren im Sommer die landesweiten Proteste gegen die islamisch-konservative Erdogan- Regierung ausgegangen. mit dpa
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