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Präsident Recep Tayyip Erdogan versteht keinen Spaß, wenn er sich beleidigt fühlt.
© Foto: K. Ozer/Reuters

Nach Böhmermann-Gedicht: Erdogan droht mit Unterbrechung des Flüchtlingsdeals

Böhmermann-Gedicht, Kritik aus den USA: Erdogans Anhänger sind empört und glauben, der Westen wolle der Türkei gezielt schaden.

Nach dem Schmähgedicht des ZDF-Moderators Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan prüft die Türkei juristische Schritte. Die Botschaft in Berlin untersuche, ob in dem Fall Strafanzeige gestellt werden solle, berichtete die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Safak“ am Donnerstag. Erdogan-Anhänger in der Türkei sind überzeugt, dass Böhmermanns Attacke auf den Präsidenten kein Zufall war: Sie beklagen eine gezielte Kampagne des Westens gegen den Präsidenten und die Türkei insgesamt.

In einer ersten Reaktion hatte der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, das Böhmermann-Gedicht als widerwärtig und als Beleidigung aller Türken bezeichnet. Er stellte die Frage, ob deutsche Fernsehsender ein solches Gedicht ausgestrahlt hätten, wenn es darin um Israel gegangen wäre.

Der AKP-Außenpolitiker Hasan Basri Kurt sagte, Böhmermanns Gedicht habe nichts mehr mit Pressefreiheit zu tun. Die Türkei solle alle diplomatischen und juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, die ihr zur Verfügung stünden, sagte Kurt, ein Mitglied im Außenausschuss des türkischen Parlamentes, mit Blick auf eine mögliche Strafanzeige gegen den ZDF-Moderator. Den deutsch-türkischen Beziehungen könnte der Streit um die Äußerungen Böhmermanns jedoch nichts anhaben.

Ankara droht

Die türkische Regierung wollte sich am Donnerstag nicht äußern; das türkische Außenministerium ließ mehrere Bitten um eine Stellungnahme unbeantwortet. Auch Erdogan selbst, der am Donnerstag in einer Rede auf die EU schimpfte und warnte, die Türkei werde die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland stoppen, falls Europa seinen Verpflichtungen unter dem kürzlich ausgehandelten Flüchtlings-Deal nicht erfülle, kommentierte den Wirbel um Böhmermann zunächst nicht.

Regierungsnahe Kommentatoren in der Türkei stellten das Böhmermann-Gedicht, in dem Erdogan unter anderem als „Ziegenficker“ beschimpft wird, in eine Reihe mit anderen angeblichen Angriffen auf die Türkei. Dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von dem Gedicht distanziert habe, bedeute nicht, dass die Deutschen ihre „Feindschaft“ gegenüber Erdogan und der Türkei überwunden hätten, schrieb der Kommentator Ali Saydam in der „Yeni Safak“.

Erdogan und seine Anhänger werfen dem Westen vor, den Aufstieg der Türkei zur Regionalmacht verhindern zu wollen. Saydams Kollegin Meryem Gayberi von der ebenfalls regierungsnahen Zeitung „Sabah“ beschrieb in einem Beitrag eine „feindliche Kampagne“ europäischer Medien gegen die Türkei.

Böhmermann - der "Schmutzmann"

Nachdem Vorwürfe wegen angeblicher diktatorischer Tendenzen bei Erdogan und einer möglichen Zusammenarbeit der Türkei mit dem „Islamischen Staat“ ergebnislos geblieben seien, werde nun das Thema Pressefreiheit als Knüppel benutzt, so Gayberi. Erdogan hatte vergangene Woche auch die Kritik von US-Präsident Barack Obama am staatlichen Druck auf die Medien zurückgewiesen. Auch die türkischen Medien in Deutschland kritisierten Böhmermann scharf. Der ZDF-Moderator werde nach wie vor aus Gebührengeldern bezahlt, hieß es in der Deutschland-Ausgabe von „Sabah“, in der Böhmermann als „Schmutzmann“ bezeichnet wurde.

In der Türkei ist der Spielraum für politische Satire sehr begrenzt. Zwei Zeichner des Satiremagazins „Penguen“ wurden im vergangenen Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in einer Erdogan-Karikatur angeblich versteckte Zeichen unterbrachten, die den Präsidenten als Homosexuellen verhöhnt haben sollen. Einer der Zeichner sagte vor Gericht, bei dem Vorwurf habe sich der Staatsanwalt wohl von seinem eigenen Unterbewusstsein leiten lassen – und erhielt prompt eine weitere Strafanzeige wegen Beleidigung.

Juristische Scherereien

Satirische Fernsehsendungen wie Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ und die von der türkischen Regierung ebenfalls kürzlich beanstandete Reihe „extra 3“ im NDR gibt es in der Türkei nicht. Satirezeitschriften wie „Penguen“ haben zwar eine feste Leserschaft, riskieren aber fast ständig juristische Scherereien.

Zu den beliebtesten Satiremedien gehört die „Zaytung“, die unter dem Motto „Ehrlich, Unparteiisch, Unmoralisch“ die türkische Politik aufs Korn nimmt. Die Website, die Facebook-Seite und das Twitter-Konto ziehen täglich mehrere zehntausend Besucher an. Ungefährlich ist aber auch das „Zaytung“-Lesen nicht. So wurde 2015 eine Studentin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil sie per Twitter eine Meldung der „Zaytung“ weiterverbreitete: Ein Provinzgouverneur fühlte sich beleidigt.

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