Zaungast SPD: Entscheiden muss sie selbst
Ob sie die große Koalition weiter nur ertragen oder doch noch Stolz auf ihre Regierungsarbeit entwickeln will, muss die SPD schon alleine entscheiden.
Zaungäste sind Menschen, die keine Eintrittskarte haben und nicht rein dürfen, aber trotzdem brennend daran interessiert sind, was auf dem Kampfplatz gerade passiert. Millionen politisch interessierter Deutscher geht das am heutigen Freitag so, wenn in den Messehallen in Hamburg 1001 Delegierte der CDU ihre neue Vorsitzende oder ihren neuen Vorsitzenden wählen. Wer dort siegt, wird auch das Kanzleramt in den Blick nehmen.
Ganz besondere Zaungäste an diesem Tag sind die deutschen Sozialdemokraten. Andrea Nahles und ihre Genossen dürfen nicht mitentscheiden, aber der Ausgang der Wahl zwischen den beiden Favoriten für die Merkel-Nachfolge wird auch ihre politische Zukunft bestimmen. In diesem Bewusstsein werden sie die Übertragung aus Hamburg verfolgen.
Sollte der Polarisierer Friedrich Merz gewinnen, würden die Unterschiede von CDU und SPD in der Wirtschafts- und Sozialpolitik klarer werden als unter Angela Merkel. Ein Thema würde in den Mittelpunkt rücken, bei dem die Sozialdemokraten ihre Stärke zeigen können. Das ist die eine Seite. Die andere ist: Sollte Merz in der großen Koalition einen Anlauf aufs Kanzleramt unternehmen, würde ihn die SPD wegen seines Profils kaum mitwählen. Die Regierung wäre dann am Ende.
Ähnlich paradox verhält es sich mit der Wirkung von Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie verspricht als Parteivorsitzende Kontinuität und Fairness in der großen Koalition, würde wohl auch als Kanzlerin auf Kompromisse setzen. Das wäre gut für die Regierungsarbeit. Aber wäre es auch gut für die SPD, die sich in der Regierung profilieren muss? Wie schon bei Merkel stünden die Genossen vor der Aufgabe, zu erklären, wer sie wirklich sind und wofür sie gebraucht werden.
Viele verlieren ihr Selbstvertrauen
Die eigene Sache mit erhobenem Kopf zu vertreten, fällt den Genossen immer schwerer, denn viele von ihnen verlieren Zuversicht und Selbstvertrauen. Das ist kein Wunder, denn der Negativtrend der Umfragewerte hat eine Dynamik gewonnen, die kaum mehr zu steuern ist. Und der Blick auf das traurige Schicksal vieler Schwesterparteien in anderen europäischen Ländern zeigt: Die desaströsen 14 Prozent in Umfragen müssen nicht die schlimmste Zahl sein.
Die Wahrheit ist: Das Führungsduo Nahles und Olaf Scholz hat den Niedergang nicht gestoppt, sondern dazu beigetragen. Dabei schienen beide gute Voraussetzungen mitzubringen, als sie Anfang des Jahres die Führung der Partei übernahmen. Nahles, die beste Kennerin der Partei, hat ihre Genossen auf instinktlose Weise immer wieder vor den Kopf gestoßen – am brutalsten im Fall Maaßen. Scholz, der in Hamburg als Garant solider Regierungsarbeit galt, scheint sich Sachzwängen zu beugen. Er verliert immer mehr das Vertrauen seiner Partei, der er viel zu wenig erklärt.
Nun hat die Parteichefin den Radikalabschied von Hartz IV zum wichtigsten Erneuerungsthema ausgerufen. Je konkreter sie dazu Antworten gibt, umso deutlicher wird, dass sie Erwartungen weckt, die sie kaum wird erfüllen können. Das Versprechen, den Sozialstaat völlig neu zu begründen, diskreditiert zudem die Leistungen der SPD in der Regierung.
Wen immer die CDU in Hamburg wählt: Ob sie die große Koalition weiter nur ertragen oder doch noch Stolz auf ihre Regierungsarbeit entwickeln will, muss die SPD schon alleine entscheiden. Viel Zeit hat sie dazu nicht.
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