Anschläge in Ukraine: Energiebrücke soll Krim wieder Strom bringen
Auf der Halbinsel Krim sind in der Nacht überall die Lichter ausgegangen. Knapp zwei Millionen Menschen waren ohne Stromversorgung. Ursache waren offenbar Angriffe auf Leitungen auf dem ukrainischen Festland.
Die Waschmaschine geht nicht, der Kühlschrank hat sich ebenfalls verabschiedet, Fernsehgeräte und Computer zeigen kein Bild mehr. Im Festnetz herrscht Funkstille, Smartphone-Besitzer verfolgen mit Sorge, wie die Anzeige für den Ladestand der Akkus langsam, aber stetig ebenfalls vom weißen in den roten Bereich wechselt. Sonntag früh ging fast auf der ganzen Krim das Licht aus. Betroffen sind zwei Millionen Einwohner. Die Regionalregierung in Simferopol hat den Ausnahmezustand ausgerufen.
Die Schwarzmeerhalbinsel trat im März 2014 der Russischen Föderation bei. Von dieser trennt sie jedoch ein viereinhalb Kilometer breiter Sund: die Straße von Kertsch. Daher kann die Exklave sich derzeit auch nicht über das russische Netz mit Strom versorgen. 20 Prozent der benötigten Menge erzeugen mehrere kleine Unternehmen auf der Krim selbst. 80 Prozent und ein Großteil des Wassers indes kommen nach wie vor aus der Ukraine, deren Landmasse die Krim im Norden umschließt. Beliefert wurde sie bisher vor allem durch Kraftwerke im ukrainischen Gebiet Cherson.
Dort wurden, so zitierte die amtliche russische Nachrichtenagentur Tas am Sonntag aus dem Facebook-Account eines hohen Beamten des ukrainischen Innenministeriums in Kiew, „die Masten gerade gesprengt“. Die zwei wichtigsten Hochspannungsleitungen waren bereits am Freitag außer Gefecht gesetzt worden. Der ukrainische Energiekonzern Ukrenergo konnte nicht sagen, ob sie durch Sprengstoff oder durch gezielten Beschuss gefällt wurden.
Wie AFP meldete, hatten ukrainische Aktivisten versucht, die Reparaturarbeiten zu verhindern, waren von Polizisten aber davon abgehalten worden. An der Aktion beteiligten sich auch viele Krimtataren. Sie gehören zu den entschiedensten Gegnern des Russlandbeitritts der Krim, sprechen von Annexion und hatten dagegen schon im September mit einer Sitzblockade der Zufahrtsstraßen protestiert. Das Kalkül: Damit werde es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung und zu Unruhen kommen. Die Rechnung ging nicht auf. Moskau kompensiert die Ausfälle auf dem Luft- und Wasserweg.
Ein Viertel der Haushalte wird teilweise versorgt
In wessen Auftrag die Masten der Starkstromleitungen umgenietet wurden, lassen russische Medien offen. Indirekt weisen sie Kiew die Schuld zu, denn statt von Anschlägen ist in ihren Berichten von einer „Energieblockade“ die Rede. Bei einer Blitzumfrage von Radio Echo Moskwy glaubten 53 Prozent, davon profitiere vor allem die Ukraine, 25 Prozent, Russland, 22 antworteten mit: „weiß nicht.“
Krim-Verwaltungschef Sergei Aksjonow, meldete der Sender, habe sich bei den Bewohnern für den Blackout entschuldigt. Seinen Worten nach arbeitet ein Krisenstab bereits daran, mit Notstromaggregaten eine Art Grundversorgung für die Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur herzustellen. Teile der Großstädte Simferopol und Jalta sollen ebenfalls – allerdings nur stundenweise – mit Strom versorgt werden, der vor allem durch Gasturbinen erzeugt wird. Sonntagmittag hieß es im regionalen Energieministerium, derzeit könnten bereits 27 Prozent der Haushalte zumindest zeitweilig versorgt werden. Die Bevölkerung werde alle zwei Stunden informiert, wo und wann flächendeckende Abschaltungen vorgenommen werden müssen. In Spitzenzeiten werden bis zu 800 Megawatt verbraucht, derzeit fehlen 450.
Krankenhäuser verfügen meist über Anlagen, die auch mehrtägigen Stromausfall kompensieren können. Wann es wieder Strom aus der Steckdose gibt, vermag derzeit niemand zu sagen. Auch müssen sich die Krimbewohner auf einen verkürzten Fahrplan der elektrisch betriebenen O-Busse – in vielen Städten das wichtigste Verkehrsmittel – gefasst machen. Es drohen längerfristig auch Probleme mit der Fernwärmeversorgung. Zurzeit allerdings ist die Situation nicht dramatisch. Auf der Halbinsel mit subtropischem Klima wurden gestern Mittagstemperaturen von plus 15 Grad gemessen. Morgens und abends indes wird es trotzdem empfindlich kalt.
Das gebunkerte Gas in unterirdischen Lagern reiche für etwa 30 Tage, sagte ein Sprecher des Krim-Energieministeriums. Die Zentralregierung in Moskau hatte schon im April das Projekt „Energiebrücke“ beschlossen. Die ersten Kapazitäten – rund 400 Megawatt – sollen am 25. Dezember ans Netz gehen.