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Zwei Besucher am Denkmal für die Freundschaft der Nationen in Kiew.
© dpa

Die Ukraine auf dem Weg der Reform: Erste Früchte

Die EU braucht bei der Ukraine Geduld und Entschlossenheit. Ein Gastbeitrag des britischen Europa-Staatsministers und des stellvertretenden polnischen Außenministers

Es ist eine kaum bekannte Tatsache: 1990, als die Sowjetunion zusammenbrach, war Polens Bruttoinlandsprodukt nur 20 Prozent größer als das der Ukraine. Beide Länder waren hinsichtlich ihrer Größe und Bevölkerung annähernd vergleichbar. Zweieinhalb Jahrzehnte später ist die Kluft gewachsen. Während Polens Wirtschaft über einen Großteil dieses Zeitraums kontinuierlich um circa fünf Prozent pro Jahr gewachsen ist, stagnierte die der Ukraine. Woran lag das?

Ein offensichtlicher Unterschied war Polens Beitritt zur Europäischen Union. Aber er allein erklärt noch nicht, warum sich die beiden Länder in der postkommunistischen Ära so verschieden entwickelten. Es gibt noch zwei andere wichtige Faktoren, und beide beinhalten wichtige Lehren für die EU heute. Der erste hat damit zu tun, dass ein Land in der Lage sein muss, ohne unzulässige Einmischung durch mächtige Nachbarn seinen eigenen, souveränen Weg zu gehen. Polen hatte diese Chance in den 1990er Jahren, die Ukraine bekam sie nicht.

Es war richtig, die Sanktionen gegen Russland zu verlängern

Der Konflikt in der Ost-Ukraine wütet nun schon seit mehr als anderthalb Jahren. Angeheizt wird er von russischen Waffen und Soldaten. Russland hat auch die Krim, einen Teil des ukrainischen Hoheitsgebiets, illegal annektiert und destabilisiert weiterhin den Rest des Landes. Es hat eine humanitäre Krise mit über 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen ausgelöst. Und die destruktive Kreml-Propaganda versucht jeden Tag aufs Neue, die legitime, demokratisch gewählte Regierung in Kiew zu untergraben.

Hieraus sollte die EU lernen, dass wir unbedingt weiter versuchen müssen, den Kreml von diesem Kurs abzubringen. Es war richtig, dass die Außenminister der EU im vergangenen Monat die Sanktionen gegen Russland – einstimmig – verlängert haben. Und es war auch richtig, dass die Sanktionen in Kraft bleiben, bis die Minsker Vereinbarungen umgesetzt wurden, und zwar vollständig. Wir müssen unsere diplomatischen Bemühungen fortsetzen, sowohl über die EU wie auch bilateral, und Russlands Führung davon überzeugen, dass eine Destabilisierung der Ukraine in niemandes Interesse liegt, schon gar nicht in ihrem.

Die Ukraine schlägt jetzt den gleichen Weg ein

Der zweite gravierende Unterschied zwischen Polen und der Ukraine sind Polens demokratische und marktwirtschaftliche Reformen. Polen verfügt inzwischen über eine blühende Zivilgesellschaft und Medienlandschaft, eine Marktwirtschaft und wettbewerbsfähige Unternehmen. Dies waren keine einfachen Projekte. Aber polnische Regierungen, Wirtschaftsführer und zivilgesellschaftliche Akteure haben in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten kontinuierlich daran gearbeitet. Und in Polen ebenso wie in Großbritannien zeigt sich der Nutzen, den man als global wettbewerbsfähige, offene Handelsnation hat. In Polen sind Zehntausende neuer Firmen entstanden, ausländische Investitionen fließen, und Tausende ausländischer Firmen bringen dem Land Arbeitsplätze und Exporte. Die Bürokratie wurde abgebaut, die Regulierung zurückgefahren. Großbritannien und Polen arbeiten bei dieser Aufgabe weiter zusammen, nicht nur innerhalb der EU.

Die Ukraine schlägt jetzt den gleichen Weg ein, inspiriert von den Zehntausenden von Ukrainern, die in Kiew im letzten Jahr auf die Straße gingen, um eine bessere Zukunft zu fordern. Diese Bemühungen tragen erste Früchte. Das Parlament der Ukraine hat Reformen in verschiedenen Bereichen eingeleitet, zum Beispiel bei der Polizeiarbeit, im Steuerrecht, in der Landwirtschaft und im Gesundheitswesen. Kiew hat auch einige schwierigere Vorhaben wie die Justizreform und die Korruptionsbekämpfung in Angriff genommen. Ein konkretes Beispiel ist das Internetportal für Bürger-Dienstleistungen, das die ukrainische Regierung im letzten Monat eingerichtet hat und das Korruption und unnötiger Bürokratie keinen Platz lassen soll.

Diese Fortschritte sollten wir begrüßen. Andere tun es schon. Ein hochrangiger Vertreter des Internationalen Wähungsfonds (IWF) – eine Organisation, die normalerweise nicht zu Übertreibungen neigt – bezeichnete vor kurzem die neue ukrainische Regierung als die "reformorientierteste Regierung", die er in seinen gut 20 Jahren Kontakt mit der Ukraine kennen gelernt habe. Aber es bleibt noch viel zu tun: die Bürokratie weiter abbauen, ein wirtschaftsfreundliches Klima schaffen, den Einfluss der Oligarchen zurückdrängen. Wir, die Europäische Union, müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um bei diesen Bemühungen behilflich zu sein. Hierfür ist praktische Unterstützung erforderlich.

Beispiele hierfür sind Großbritanniens neuer Good Governance Fund und die Unterstützungsgruppe der EU für die Ukraine. Auch Polen leistet der Ukraine seit 2005 Hilfe bei der Transformation, unter anderem mit fast 90 Millionen Euro, die es zwischen 2005 und 2014 im Rahmen seiner öffentlichen Entwicklungshilfe bereitgestellt hat. Seit 2014 unterstützt Polen die Ukraine noch intensiver, wobei der Schwerpunkt auf Dezentralisierung und guter Regierungsführung liegt, den Triebkräften des Wandels.

Der Weg der Reform ist lang

Darüber hinaus hat Polen ein prominent besetztes Expertenteam beauftragt, beim Entwurf und der Umsetzung von Gesetzen zu helfen und Personal auszubilden. Und in diesem Jahr hat Polen seine Hilfe erneut aufgestockt, um bei der Einführung von Antikorruptionsmaßnahmen und der Reform der öffentlichen Finanzen der Ukraine behilflich zu sein.

Die demokratische Reform der Ukraine wird aber einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass der Weg der Reform lang ist. Er erfordert Geduld und Entschlossenheit auf Seiten des ukrainischen Volkes und seiner gewählten Vertreter.

Und - was genauso wichtig ist - er erfordert auch Geduld und Entschlossenheit auf Seiten der Europäischen Union. Die Rechte, die wir genießen und die von Institutionen und Gesetzen geschützt werden, die wir oft als selbstverständlich betrachten, wurden nicht über Nacht errungen – es brauchte Zeit, sie zu entwickeln und in unseren Gesellschaften zu verankern.

Deshalb appellieren wir an unsere Partner in Europa, die wirtschaftlichen und politischen Reformanstrengungen der Ukraine entschieden zu unterstützen. Trotz des problematischen Konflikts im Osten gab es im vergangenen Jahr erfreuliche Fortschritte. Wir sollten der Regierung und der Bevölkerung der Ukraine in ihrer Entschlossenheit, sich auf ein Programm von Reformen für die kommenden Monate und Jahre einzulassen, beistehen.

David Lidington ist Europa-Staatsminister des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und Konrad Pawlik ist Stellvertretender Außenminister der Republik Polen

David Lidington, Konrad Pawlik

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