Beziehung zur Türkei: Empörung gegen den Westen
Türkische Medien schimpfen auf Deutschland, Europa und die USA. Sie wittern überall Feindschaft und Verschwörung.
Kaum hat sich der Streit um Auftrittsverbote für türkische Politiker in Europa gelegt, deutet sich neuer Krach zwischen der Türkei und dem Westen an. Die Ermittlungen der deutschen Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst MIT lösten am Mittwoch bei Anhängern von Präsident Recep Tayyip Erdogan heftige Empörung aus.
„Erdogan-Feindschaft ist zu einer Mode geworden“, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim bei einer Wahlkampfkundgebung über die Lage in der EU. Die Europäer sollten sich gefälligst aus den inneren Angelegenheiten der Türkei heraushalten. Ankara wirft Europa vor, die Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen zu unterstützen. Mehrere regierungstreue Zeitungen schimpften am Mittwoch über einen „Verrat“ Deutschlands, weil der Bundesnachrichtendienst (BND) die Erkenntnisse des türkischen Geheimdienstes MIT über Gülen-Anhänger in Deutschland an die Betroffenen weitergegeben hat. Die Politologin Nursin Atesoglu Güney sagte dem Erdogan-freundlichen Blatt „Star“, Europa wolle eine Türkei, die von außen leicht zu steuern sei, und werbe deshalb für ein Nein beim Referendum am 16. April.
Erdogan ändert offenbar seine Taktik
Türkeifeindliche Machenschaften wittert Ankara auch in den USA. Die Festnahme von Hakan Atilla, eines Vizechefs der staatseigenen Halkbank, wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Iran-Sanktionen Washingtons wurde in staatsnahen Medien in der Türkei als Ergebnis von Gülens Einfluss gewertet. Außenminister Mevlüt Cavusoglu will den Fall beim ersten Türkeibesuch seines amerikanischen Kollegen Rex Tillerson an diesem Donnerstag ansprechen.
Erdogan hatte die Spannungen mit dem Westen in jüngster Zeit eskalieren lassen, um nationalistische Wähler für das anstehende Referendum zu motivieren. Laut Umfragen ist der Ausgang der Volksabstimmung aber immer noch ungewiss; jeder zehnte Wähler hat sich noch nicht entschieden. In der Endphase des Wahlkampfes werden verstärkte Bemühungen von Erdogan und seinen Gegnern in den Großstädten des Landes erwartet. Der Kolumnist Murat Yetkin wies in der „Hürriyet“ darauf hin, dass die Wahlentscheidung in den Metropolen fallen wird, nicht auf dem flachen Land – allein in Istanbul lebt jeder fünfte Wähler der Türkei.
Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der Staatschef auf der Jagd nach Stimmen derzeit seine Taktik ändert. Bisher beruhte Erdogans „Ja“-Kampagne auf einer Abkanzelung aller Gegner des Präsidialplans als Landesverräter. Nun besuchte der Präsident in Istanbul überraschend einen Informationsstand der Oppositionspartei CHP und diskutierte mit den Aktivisten. Von einer Waffengleichheit im Wahlkampf kann dennoch keine Rede sein. In Zentralanatolien leitete die Justiz jetzt Ermittlungen gegen mehrere Dutzend Dorfvorsteher ein, weil diese an einer Veranstaltung der CHP teilgenommen hatten.