Verwirrung um die 35er-Grenze: Einzelhandel könnte auch schon vor Lockdown-Ende öffnen
Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 soll es erste Öffnungen geben. Wie genau der Plan aussieht, war bisher unklar. Merkel prescht nun vor.
Der Lockdown wirkt. Dieses Wochenende könnte die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Ansteckungsrate in Deutschland, schon unter 60 sinken. Damit rechnet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Lockerungen der Auflagen könne es dennoch nicht geben. "Wenn wir jetzt öffnen, verspielen wir den bisherigen Erfolg", warnte Spahn am Freitag in Berlin.
Beim Inzidenzwert gilt seit dem letzten Treffen von Bund und Ländern am vergangenen Mittwoch: 35 ist die neue 50. Erst wenn es in den letzten sieben Tagen nicht mehr als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gibt, dürfen der Einzelhandel, Museen und Galerien unter Auflagen öffnen. Der Wert muss an mindestens drei aufeinanderfolgen Tagen erreicht werden.
Dass diese Grenze nach unten korrigiert wurde, wird mit der zunehmenden Verbreitung der ansteckenderen Corona-Mutanten begründet.
Merkel ging am Freitag noch weiter. In einem Interview mit dem ZDF stellte sie Öffnungsschritte schon vor dem Lockdown-Ende am 7. März in Aussicht. Wenn eine Sieben-Tage-Inzidenz von 35 erreicht sei, könnten die Länder zunächst wie vereinbart den Einzelhandel öffnen, so Merkel. Allerdings plädiere sie dann für ein sehr vorsichtiges und langsames weiteres Vorgehen.
"Wenn wir den Öffnungsschritt mit den Geschäften gemacht haben und wir haben (...) zwei Wochen lang stabil unter 35, dann können wir den nächsten Schritt ins Auge fassen", fügte sie hinzu. Dies könnte die Bereiche Kultur, Sport, Gastronomie oder Hotels betreffen. Nach dem ersten Öffnungsschritt will sie also zunächst zwei Wochen abwarten. Davon war nach dem Bund-Länder-Treffen am Mittwoch noch keine Rede gewesen.
Zuvor hatten sich Epidemiologen dafür ausgesprochen, den Inzidenz-Grenzwert nochmal abzusenken. So sagte beispielsweise RKI-Präsident Lothar Wieler, wirklich beherrschbar sei die Pandemie bei einer Inzidenz unter zehn, weil man dann alle Infektionsketten gut nachverfolgen könne.
Niedrigste Inzidenz aktuell bei 14
In den seit Tagen laufenden Debatten ergaben sich auch zwischen den Ländern zahlreiche Differenzen darüber, ab wann gelockert werden soll - unter anderem, weil die Zahl der Neuinfektionen regional so unterschiedlich ist.
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Laut Robert-Koch-Institut variierte die Inzidenz am Donnerstag zwischen den Ländern stark - Rheinland-Pfalz verzeichnet einen Wert von 55,3, Thüringen dagegen von 105,6. Bei den Landkreisen lag Tirschenreuth in Bayern unweit der Grenze zu Tschechien mit einer Inzidenz von 333 auf dem Spitzenplatz. Die niedrigste Inzidenz hatte der Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein mit einem Wert von 14.
Nicht wirklich geklärt ist, ob der Wert von unter 35 nun bundesweit, landesweit oder pro Landkreis gelten soll. Mehrere Teilnehmer der Bund-Länder-Runde betonen aber, dass damit ein Wert auf Landesebene gemeint sei.
Shopping-Tourismus soll vermieden werden
Die regionalen Unterschiede machen das geplante stufenweise Hochfahren des öffentlichen Lebens kompliziert. Denn was passiert, wenn ein Bundesland den Wert von 35 erreicht und die Geschäfte öffnet, ein Nachbarland aber nicht?
Es ist naheliegend, dass die Menschen dann zum Einkaufen dorthin fahren. Im Beschluss von Bund und Ländern heißt es dazu: "Mit den benachbarten Gebieten mit höheren Inzidenzen sind gemeinsame Vorkehrungen zu treffen, um länderübergreifende Inanspruchnahme der geöffneten Angebote möglichst zu vermeiden." Shopping-Tourismus soll also vermieden werden.
Und schon jetzt scheren erste Bundesländer aus. In Niedersachsen (Sieben-Tage-Inzidenz bei 67,2) dürfen beispielsweise Blumenläden und Gartencenter ab Samstag wieder öffnen. Das hatte die Staatskanzlei am Donnerstag mitgeteilt. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind Pflanzenläden schon längst wieder offen. (mit AFP, Reuters)
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