Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney: "Einwanderungsgesetz – ja, aber…"
Die SPD hat einen Vorschlag zur gesetzlichen Regelung der Einwanderung nach Deutschland gemacht. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney - auch Sozialdemokratin - sieht das etwas anders. Ein Gastbeitrag.
Die Zuwanderungspolitik in Deutschland steckt in einem Dilemma. Zum einen zeigen uns die demografischen Prognosen, dass Deutschland in den nächsten Jahrzehnten ohne Einwanderung massiv schrumpfen wird. Bis 2025 könnten uns 6,7 Millionen Erwerbstätige fehlen, bis 2060 könnten wir ein Fünftel unserer jetzigen Bevölkerung verlieren – Deutschland hätte dann noch rund 65 Millionen Einwohner. Wirtschaftsinstitute schätzen, dass diese Schrumpfung von Arbeitsmarkt und Gesellschaft durch 300.000 bis 400.000 Menschen, die jährlich nach Deutschland einwandern, aufgefangen werden könnte. Zum anderen zeigen jedoch Umfragen wie das jüngste Eurobarometer, dass Zuwanderung von der deutschen Bevölkerung gar nicht besonders erwünscht ist. Zwei Drittel der Deutschen lehnen demzufolge Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern ab. Auch die Zuwanderung aus EU-Ländern wird nur von 50 Prozent der Menschen in Deutschland überwiegend positiv bewertet.
Ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem, wie es nun in der Diskussion ist, wird dieses Dilemma nicht lösen können. Denn sein Zweck ist es, freie Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu besetzen. Es hat einen ökonomischen Fokus und soll dabei helfen, unseren Wohlstand zu sichern. Wenn wir über ein Einwanderungsgesetz reden, dann reden wir also darüber, wie wir Deutschland attraktiver für qualifizierte Arbeitskräften aus Drittstaaten machen können. Das ist ein absolut legitimes Ziel. Die Konkurrenz ist groß, viele gut qualifizierte Menschen machen um Deutschland einen Bogen - sei es wegen der Sprache, der komplizierten Behördengänge, den Bildern von Pegida oder schlicht wegen des Wetters. Ein transparentes Punktesystem kann dafür ein geeignetes und für alle Seiten transparentes Mittel sein.
Wir sollten aber auch deutlich machen, was das Punktesystem nicht kann. Es wird nicht den Zuzug von Flüchtlingen beschränken. Es regelt weder den Familiennachzug noch die Heiratsmigration. Und es wird auch keinen Einfluss auf die EU-Binnenmigration haben.
Ein Einwanderungsgesetz ist kein Allheilmittel für den demografischen Wandel oder den Fachkräftemangel. Es gilt, an vielen Stellschrauben zu drehen, um diese Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Müssen wir beispielsweise Ärzte aus dem Ausland anwerben, weil wir in Deutschland zu wenige selbst ausbilden? Oder verlassen die jungen deutschen Ärzte das Land vielmehr Richtung Schweiz oder England, weil die Gehälter dort höher und die Arbeitszeiten familiengerechter sind? Fehlen uns tatsächlich so viele Pflegekräfte, oder möchte aufgrund der niedrigen Löhne kaum mehr jemand in diesen Berufen arbeiten? Sollten wir nicht zunächst die Migrantinnen und Migranten fördern, die schon seit Jahren hier sind, unter denen Arbeitslosigkeit und schlechte Schulabschlüsse aber immer noch deutlich weiter verbreitet sind als bei Menschen ohne Migrationshintergrund? Wie machen wir die Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt? 2013 sind laut Migrationsbericht 1,23 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen, aber auch 800.000 wieder weg – warum? All dies sind wichtige Fragen, die über der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz leider derzeit aus dem Blick zu geraten drohen.
Dennoch würde uns ein modernes Einwanderungsgesetz zweifellos gut zu Gesicht stehen. Mit ihm könnten wir besser um die ausländischen Hoch- und Höchstqualifizierten werben. Es wäre aber auch eine wichtige Botschaft nach innen, an die deutsche Gesellschaft: Seht her, wir sind ein Einwanderungsland. Die Topqualifizierten aus aller Welt kommen gerne zu uns. Wir füllen die Phrase von der Willkommenskultur mit Leben.
Bilkay Öney
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