Erwartungen an US-Präsident Joe Biden: Einmal kurz die Welt retten, bitte!
Die Wunschliste an den Trump-Nachfolger im Amt des US-Präsidenten ist umfangreich und lang. Vielleicht sogar zu lang.
Es war eine lange Durststrecke, die Transatlantiker in den vergangenen vier Jahren zurücklegen mussten. Unter Donald Trump wurden Berlin „Schutzmacht“- Rechnungen präsentiert, Auto-Importe aus Deutschland als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet und Einreiseverbote ohne vorherige Absprachen verhängt. Gegenseitige Besuche waren nicht erst seit der Pandemie selten geworden, das Verhältnis Trumps zu Bundeskanzlerin Angela Merkel zunehmend frostig.
Nun ist mit Joe Biden ein neuer Präsident ins Weiße Haus eingezogen, der immense Hoffnungen weckt – aber selbst auch große Forderungen stellen wird.
Was erwartet Europa nun von Washington?
Nicht weniger als die Rolle des Weltverbesserers. So schlug EU-Ratspräsident Charles Michel dem frisch gewählten US-Präsidenten gleich mal einen „Gründungspakt“ für eine bessere Welt vor. Trumps „America first“-Agenda, die rein auf Machtpolitik anstelle von Diplomatie setzte, und seine Verachtung für multilaterale Institutionen haben die Europäer verstört. Merkel ließ sich gar damit zitieren, man könne sich nicht mehr auf die USA verlassen.
Das soll sich nun schnell wieder ändern, denn die Herausforderungen sind enorm, besonders mit Blick auf die Pandemie und den Klimawandel. Amerika soll schnell wieder in die Rolle einer demokratischen Führungsmacht schlüpfen – auch wenn es vereinzelt Stimmen gibt, die sagen, die Amerikaner müssten erst einmal ihre eigenen Probleme in den Griff kriegen. Und die sind tatsächlich nicht zu unterschätzen: Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen stehen für Biden zwangsläufig an erster Stelle. Auch muss er mit der extremen Polarisierung in seinem Land umgehen, die ihm das Regieren erschweren wird.
Was wird Biden von Europa verlangen – und von Deutschland?
Vor allem: Handlungsfähigkeit. Der Demokrat wird sich dabei in einigen Punkten gar nicht so anders verhalten als sein republikanischer Vorgänger. Auch wenn der Umgangston ungemein zivilisierter sein wird und Biden der Meinung ist, dass ein geeintes, starkes Europa auch gut für Amerika ist, werden die Aufforderungen an die Europäer, mehr Verantwortung etwa bei der Verteidigung zu übernehmen, nicht verstummen.
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Gerade das wirtschaftlich starke Deutschland wird damit konfrontiert werden, dass es im Bündnis mehr in seine Verteidigungsfähigkeit investieren muss. Die Amerikaner werden wenig Rücksicht darauf nehmen, dass diese Diskussion in einem Wahljahr keine einfache sein wird. Washington sieht Berlin zudem in einer Führungsrolle – abwarten gilt nicht. Immerhin: Die Truppenabzugspläne Trumps hat Biden erstmal gestoppt.
Was passiert beim Streit um Nordstream 2?
Dass Deutschland über die neue Pipeline Nordstream 2 mehr Gas aus Russland beziehen will, bleibt ein Streitpunkt. Berlin macht sich damit aus US-Sicht abhängig von dem Land, vor dem die USA es mit viel Aufwand seit Jahrzehnten beschützen. Das sehen Republikaner und Demokraten im US-Kongress übrigens ähnlich. Deutschland muss nun alles daran setzen, amerikanische Vorbehalte zu entkräften, um weitere Sanktionen zu vermeiden.
Die Pipeline ist bereits zu mehr als 90 Prozent fertiggestellt, der Weiterbau liegt aber derzeit auf Eis. Auch hier gilt: Der in Deutschland anstehende Wahlkampf macht alles nicht einfacher.
Trump hat den Konflikt mit China verschärft – was macht Biden?
Auch hier gilt: Die große Linie wird sich wohl nicht ändern. Die USA wollen, dass die Europäer verstehen, dass es dabei um einen Systemwettbewerb geht. Die westlichen, liberalen Demokratien und Marktwirtschaften konkurrieren mit einem autoritären Staatskapitalismus, der seine Bürger mit neuesten Technologien überwacht – und das ohne zu zögern auch auf andere Länder ausweiten würde. Hier erwartet Biden, dass der Westen eine gemeinsame Antwort findet, um eine Dominanz Pekings vor allem im technologischen Bereich zu verhindern.
Bislang ist Washington nicht davon überzeugt, dass Berlin die Gefahr richtig einschätzt. Immer wieder wird etwa gefordert, dass deutsche Unternehmen auf eine Zusammenarbeit mit chinesischen Konzernen verzichten, Beispiel Huawei und „5G“. Dieser Druck wird kaum nachlassen.
Was wird aus den Handelsstreitigkeiten?
Die gute Nachricht ist: Die neue Regierung wird eine sein, die sich wieder an Regeln halten und weniger auf Drohungen setzen wird. Aber auch so ist klar, dass internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation reformbedürftig sind. Eine Neuauflage eines transatlantischen Handelsabkommen ist erstmal wohl nicht zu erwarten, nicht zuletzt, weil es beim letzten Mal eher an den Europäern gescheitert ist.
Auch wenn die neue US-Regierung einen Handelskrieg vermeiden wollen wird – die Europäer haben genau registriert, dass Biden Wahlkampf mit dem Slogan „Buy American“ gemacht hat. Auch er will in den USA hergestellte Produkte bevorzugen und die heimische Industrie stützen. Im Unterschied zu Trump will er dabei neben enormen Infrastrukturmaßnahmen auch den Ausbau erneuerbarer Energien und umweltfreundlicher Technologien in den Vordergrund stellen.
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Die Pandemie hat die wirtschaftlichen Probleme Amerikas verschärft, das unter den negativen Folgen der Globalisierung schon länger leidet. Die Frage, wie viel die Europäer und vor allem Deutschland in die USA importieren und umgekehrt, wird nicht verschwinden. Noch ist unklar, ob und wann Biden die von seinem Vorgänger verhängten Strafzölle auf Stahl und Aluminium wieder zurücknehmen wird. Einfuhrbeschränkungen betreffen die exportorientierte deutsche Wirtschaft ganz besonders. Aber zumindest die Autozölle, mit denen Trump so lange gedroht hatte, sind wohl vom Tisch.
Welche Rolle werden die USA international beim Thema Klimaschutz einnehmen?
Eine deutlich konstruktivere, aber eben auch eine, die US-Interessen berücksichtigt. Biden hat seine Ankündigung wahrgemacht, gleich zu Beginn seiner Amtszeit dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten, was auf große Erleichterung stieß.
Auch hier hoffen die Europäer auf eine erbauliche gemeinsame Zukunft. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den USA dafür eine „Allianz für grüne Technologien“ und eine transatlantische Zusammenarbeit beim Emissionshandel vorgeschlagen.