Studie: Einige EU-Anwärter sind vor 2050 nicht beitrittsbereit
Eine Studie zur EU-Erweiterung zeigt, dass bis 2023 wohl nur ein einziges Kandidatenland die Beitrittskriterien erfüllen wird: Mazedonien.
Bisher galt Serbien als Vorreiter unter den EU-Beitrittskandidaten. Wie aus einer Studie von Tina Freyburg, Professorin an der Universität St. Gallen, hervorgeht, wird Serbien, genauso wie Montenegro und die Türkei, die Beitrittskriterien aber wohl erst Mitte der 2030er-Jahre erreichen.
Dass es während der 2019 endenden Amtsperiode des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker keine Erweiterung gibt, war seit langem klar. Interessant ist aber, welches Land in Zukunft als nächstes der EU beitreten könnte.
Derzeit sind die offiziellen Beitrittskandidaten: Albanien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und die Türkei. Das Kosovo und Bosnien-Herzegowina gelten als „potenzielle Beitrittskandidaten“, wobei Kosovo bisher keinen Beitrittsantrag gestellt hat.
In der Studie mit dem Titel „Forecasting Candidate Status“ wurde auf der Grundlage der Erfahrungen während der großen EU-Osterweiterung 2004 analysiert, wie wahrscheinlich es ist, dass im Jahr 2050 fünf dieser Länder tatsächlich EU-Mitglieder sind.
Ein EU-Beitritt ist erst möglich, wenn der Kandidat eine lange Liste bestimmter Kriterien erfüllt und EU-Recht in die nationale Gesetzgebung eingebunden hat. Die Bandbreite umfasst dabei sämtliche Politikfelder, von Justizreformen über Transport- bis hin zu Energiepolitik.
Unter den derzeitigen Beitrittskandidaten ist die Türkei unter dem derzeitigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan der wohl umstrittenste Bewerber. Seit die Verhandlungen mit Ankara im Jahr 2005 offiziell gestartet wurden, haben sich mehrere Mitgliedstaaten und EU-Politiker mehrfach für eine Aussetzung oder sogar einen kompletten Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei stark gemacht. Kompliziert wird die Lage dadurch, dass sich die EU mit dem Flüchtlingsabkommen von Ankara abhängig gemacht hat.
Derweil haben Faktoren wie der Brexit und der wachsende Populismus dazu geführt, dass das Verlangen nach einer EU-Erweiterung sowohl bei den bestehenden als auch bei den potenziellen Mitgliedern wohl selten so gering war wie heute.
Mazedonien hat die besten Chancen, Albanien hinkt hinterher
Laut der Studie würden Albanien und Bosnien-Herzegowina möglicherweise erst 2050 die Beitrittskriterien erfüllen. Die politischen Ambitionen in diesen beiden Ländern würden die realen Möglichkeiten weit überschreiten, schreibt die Autorin Tina Freyburg.
Freyburg unterstreicht, dass ihre Arbeit bewusst politische Fragen wie den Erweiterungsstopp der Kommission, die Instabilität in der Türkei, die geopolitischen Unsicherheiten in Ländern wie Bosnien-Herzegowina oder den mazedonisch-griechischen Namensstreit ausklammert. Kosovo und Montenegro wurden in der Studie nicht berücksichtigt, weil für eine fundierte Einschätzung ihrer Beitrittschancen nicht genügend Daten vorlagen. Darüber hinaus wird das Kosovo nach wie vor von fünf EU-Staaten nicht anerkannt. Eine realistische Mitgliedschaftsperspektive ist daher momentan nicht gegeben.
Montenegro hingegen weise „Charakteristiken auf, die denen Mazedoniens ähneln,“ sagte Freyburg im Gespräch mit EurActiv.com. Somit könnte das kleine Land an der Adria möglicherweise gleichauf mit Mazedonien liegen, was die EU-Beitrittsperspektiven angeht. Auch aus Brüsseler Sicht wird Montenegro als aussichtsreich eingestuft. Obwohl es weiterhin einen Grenzstreit mit dem Kosovo gibt, gelten die Hindernisse für eine EU-Mitgliedschaft Montenegros als weniger hoch als in anderen Kandidatenländern.
Freyburg erklärte, Montenegro könne durchaus als einer der fortschrittlichsten Kandidaten gesehen werden. Sie gab aber zu bedenken, dass der politische Wille der montenegrinischen Regierung sowie mögliche Vetos bestehender EU-Mitgliedstaaten in ihrer Studie nicht berücksichtigt werden konnten.
Im Allgemeinen scheint die Hoffnung auf einen EU-Beitritt scheinbar zu schwinden, lautet das Fazit der Studie. Tatsächlich könnten die Studienergebnisse sogar ein „zu optimistisches Bild zeichnen. Die tatsächliche Anpassung an die EU-Kriterien könnte in Zukunft noch niedriger liegen, als bisher angenommen wird.“
Freyburg weist in ihrer Arbeit auch darauf hin, dass Erweiterungen meistens von den Kandidaten vorangetrieben wurden und weniger durch eine „expansive“ Politik in Brüssel. Auch Befürchtungen der bestehenden Mitglieder, dass eine noch größere EU die „Vertiefung der europäischen Institutionen“ lähmen oder behindern könnte, werden von Freyburg als nicht-technische Barrieren gelistet, gegen die sich Beitrittsländer behaupten müssen.
Das neueste EU-Mitglied ist Kroatien, das dem Block offiziell 2013 beitrat. Bisher ist das Land noch nicht Teil des Schengen-Raumes und der Euro-Zone. In seiner Rede zur Lage der Europäischen Union hatte sich Kommissionspräsident Juncker allerdings im September dafür ausgesprochen, dass Kroatien dem Schengen-Raum schnellstmöglich beitritt, sobald es alle relevanten Kriterien dafür erfüllt. Vergangene Woche kündigte der kroatische Premierminister Andrej Plenkovic dann auch an, dass sein Land in sieben bis acht Jahren den Euro einführen wolle.
Übersetzung: Tim Steins
Erschienen bei EurActiv.
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Sam Morgan