Türkei: Erdogans Traum von einer neuen Seidenstraße
Ein frisch eingeweihter Schienenweg bindet die Türkei in das Megaprojekt eines neuen Handelswegs zwischen Europa und China ein. Es geht um Geld und Macht.
Mit Hammerschlägen an einer Bahnstrecke in Aserbaidschan ist eine neue Ära des internationalen Handels eingeläutet worden – das jedenfalls hofft der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, der bei der Zeremonie vor einigen Tagen mit seinen Kollegen aus Aserbaidschan und Georgien den Hammer schwang. Erdogan und die anderen weihten eine neue Bahnverbindung namens BTK ein, die das aserbaidschanische Ufer des Kaspischen Meeres mit der georgischen Hauptstadt Tiflis sowie dem osttürkischen Kars verbindet und ein wichtiges Bindeglied bei einem Megaprojekt darstellt: Ziel ist eine „neue Seidenstraße“ aus Schienen, die China und Europa verbindet.
Der uralte Handelsweg von Anatolien nach Zentralasien und China war jahrhundertelang die wichtigste Ader des Welthandels, über die Karawanen mit Seide, Porzellan oder Gewürzen nach Westen zogen und Gold, Silber wie auch Wolle Richtung Osten transportiert wurden. Mit einer romantisierenden Erinnerung an alte Zeiten hat die „neue Seidenstraße“ aber nichts zu tun. Es geht um Geld, Macht und Einfluss. Chinas Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht hat das Interesse an schnelleren Verbindungen zwischen Ostasien und Europa wachsen lassen. Die Chinesen weihten im Januar eine eigene Zugverbindung über Kasachstan und Russland nach Westeuropa ein.
800 Kilometer Schiene durch die Türkei
Erdogans Seidenstraßen-Teilstück BTK, das mit mehreren Jahren Verzögerung fertig wurde, soll nicht nur schneller sein als die chinesische Variante, die Verbindung soll auch Russland und den Iran umgehen, um mögliche Störungen des Warenstroms zu vermeiden. Aus China geht die Reise nach Kasachstan, von dort aus per Fähre über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan und weiter nach Westen. Die nun eingeweihte BTK-Strecke, zu der eine Anlage zur Spurweiten-Anpassung zwischen Georgien und der Türkei gehört, ist mehr als 800 Kilometer lang und hat mehr als eine Milliarde Dollar gekostet; das meiste Geld kam von der staatlichen aserbaidschanischen Ölgesellschaft.
Geografisch wäre auch eine kürzere Streck möglich gewesen. Doch Aserbaidschan und die Türkei wollten das mit ihnen verfeindete Armenien nicht in den Genuss der Handelskooperation bringen und wählten deshalb den Umweg über Georgien. Der Boykott war der Grund dafür, dass die beteiligten Staaten das Projekt ohne internationale Hilfe finanzieren mussten. Die Weltbank und andere Institutionen befürworteten eine direktere Streckenführung durch Armenien.
In Kars werden Güter- und Personenzüge aus dem Osten an das türkische Bahnnetz angeschlossen, um weiter nach Westen zu gelangen. In Istanbul soll der vor vier Jahren eingeweihte Bahntunnel „Marmaray“ die reibungslose Verbindung von Asien nach Europa unter dem Bosporus hindurch sicherstellen. Mithilfe der BTK wird die Reise aus China nach Europa künftig 15 Tage dauern, das ist doppelt so schnell wie die Seeverbindung. Auf der chinesischen Bahn-Seidenstraße dauert die Fahrt 18 Tage.
Eine Million Reisende und 6,5 Millionen Tonnen an Gütern streben Türkei, Aserbaidschan und Georgien für das erste Jahr an. Nach einem weiteren Ausbau sollen in den kommenden Jahren noch wesentlich mehr Züge rollen. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew nannte die Größenordnung von jährlich 17 Millionen Tonnen an Fracht für die nächste Ausbaustufe.
Hoffnung auf mehr Handel mit China
Dabei muss es nicht immer gleich von Peking nach London gehen: Als Anrainer der Schienen-Seidenstraße hoffen die drei BTK-Länder auch auf einen Aufschwung im regionalen Handel zwischen dem Kaukasus und Zentralasien und Europa. Die türkische Regierung setzt auf neue wirtschaftliche Impulse für ihren armen Nordosten. Verkehrsminister Ahmet Arslan sieht die Einrichtung von Logistikzentren in Ostanatolien voraus. Auch der türkisch-chinesische Handel soll durch die schnellere Verbindung angekurbelt werden.
Eine funktionierende Seidenstraße würde auch die internationale Bedeutung der Türkei als Transitland für Energie und Handel stärken. Schon jetzt führen Öl- und Gaspipelines durch Anatolien; der Bosporus ist eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Mit einem neuen Flughafen in Istanbul will die Türkei ihre Metropole zu einem der wichtigsten internationalen Drehkreuze im Luftverkehr machen. Handelspolitische Impulse kann die Türkei gut gebrauchen. Der Export, ein wichtiges Standbein der Wirtschaft, ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Außenpolitisch ist das Land zunehmend isoliert. Zu den Krisen und Konflikten bei den südlichen Nachbarn Syrien und Irak kommen politische Spannungen mit Deutschland, anderen europäischen Staaten und den USA.
Kein Wunder also, dass Erdogan bei der Zeremonie in Aserbaidschan von einem „sehr wichtigen Schritt“ sprach. Die BTK-Bahnverbindung sei ein Teil „der neuen Seidenstraße, die Asien, Europa und Afrika miteinander verbinden soll“, schwärmte der türkische Präsident. Jetzt hofft er darauf, dass möglichst bald die ersten Züge rollen.