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Ein altes Paar am 23.03.2010 in Karlsruhe bei einem Spaziergang. Die Zahl älterer Menschen steigt weltweit rasant an. Im Jahr 2050 werden nach einem am Montag (01.10.2012) veröffentlichten UN-Bericht 22 Prozent der Weltbevölkerung älter als 60 Jahre sein. Ihre Zahl verdoppelt sich bis dahin auf zwei Milliarden Menschen. Während heute zwei von drei Erwachsenen über 60 in Entwicklungsländern leben, werden es dann vier von fünf Alten sein. Erstmals in der Geschichte werde es dann mehr Alte über 60 als Kinder unter 15 geben, hieß es. Derzeit sind nach dem Bericht "Altern im 21. Jahrhundert", den das UN-Bevölkerungsprogramm UNFPA und die Organisation HelpAge International zum Weltaltentag am 1. Oktober in Bonn präsentierten, 810 Millionen Menschen 60 Jahre oder älter. In Deutschland lag ihr Anteil im Jahr 2010 bereits bei 26 Prozent der Bevölkerung.(Siehe epd-Bericht vom 01.10.2012)
© epd

Demografischer Wandel in Deutschland und Japan: "Eine überalterte Gesellschaft kann auch positiv sein"

Deutschlands Bevölkerung altert rapide und sucht nach Lösungen damit umzugehen. Als Vorbild könnte Japan dienen. Hier werden Alte von Alten betreut - und zur Zahnpflege ermuntert.

2016 ist es soweit. Ab diesem Jahr gilt Deutschland laut einer UN-Studie offiziell als überalterte Gesellschaft. 21 oder sogar mehr Prozent der Bevölkerung sind dann älter als 65 Jahre. Bereits Anfang der Woche meldete ein Zusammenschluss deutscher Versicherer, dass die Zahl der über 80-Jährigen auf 4,5 Millionen Menschen in Deutschland angestiegen ist. Gleichzeitig geht die Geburtenrate zurück oder aber steigt nur leicht an.

Dass ein Großteil der Gesellschaft plötzlich alt oder sogar sehr alt ist, das war für viele Strategen in Deutschland lange Zeit nur ein Szenario, rückt jetzt aber immer näher. Lösungen, gar einheitliche, gibt es auf die neuen Herausforderungen noch nicht. Umso gebannter schaut man im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) deshalb gen Osten, nach Japan.

Das Land ist eines der wenigen dieser Welt, in dem der prozentuale Anteil alter Menschen noch höher ist als in Deutschland. Hier waren bereits 2007 mehr als 21 Prozent der Bevölkerung älter als 65. Bis ins Jahr 2060 könnten es mehr als 40 Prozent werden. Für die Verantwortlichen dort sind die Folgen einer Baby-Boomer-Generation längst real.

"Aber Japan hat im Bereich der Seniorenpolitik einige fortschrittliche Maßnahmen ergriffen, an denen wir uns zum Teil auch in unserer Planung orientieren", sagte Dr. Matthias von Schwanenflügel, Abteilungsleiter für demografischen Wandel im BMFSFJ auf einer Veranstaltung des Japanisch-Deutschen Zentrums. Neben der Baby-Boomer-Generation haben beide Länder noch weitere Gemeinsamkeiten: Sie gehören zu den wohlhabenderen Ländern, leiden unter einem Fachkräftemangel und unter dem zunehmenden Zuzug in die Metropolen eines Landes.

Doch während in Deutschland viele von zusätzlichen Kosten und einer großen Belastung reden, sieht man das in Japan gelassener: "Eine überalterte Gesellschaft kann auch positiv sein", sagte Otani Hidenobu, Vize-Direktor des japanischen Gesundheitsministeriums. Für ihn ist eine solche Gesellschaftsform längst nicht so schlimm, wie es in Deutschland oft klingt. Man müsse sich nur dementsprechend anpassen, neue Modelle entwickeln. "Oft reichen schon kleine Veränderungen", sagte Otani.

Sehr alte Menschen werden von weniger alten Menschen betreut

Genug Gründe die Entwicklungen in Japan gut im Blick zu behalten, sich zu orientieren und erfolgreiche Modelle zu kopieren. Schwanenflügel ist besonders von zwei Maßnahmen der japanischen Kollegen sehr angetan, sagt er: "Die Verlagerung der Information und Begleitung für Menschen mit Pflegebedarfen auf die kommunale Ebene ist ein sehr interessanter Ansatz, den wir in Deutschland zur Zeit auch diskutieren. In Japan läuft das sehr gut."

Worauf er anspielt, ist ein Modell, für das Japan bekannt ist. So hat das Land die sogenannten "Community based Integrated Care Center" eingeführt. Einrichtungen, die zentral in jeder Kommune entstehen und auch weiterhin entstehen sollen, in denen die Alten gepflegt, ärztlich betreut und unterhalten werden.

Das Besondere: Sehr alte Menschen werden von weniger alten Menschen betreut. Diese helfen beispielsweise beim Einkaufen, beim Hausputz, aber auch in den Care Centern. So will Japan zum einen die alten Menschen beschäftigen, weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen und zum anderen verhindern, dass Menschen ihre Arbeit aufgeben, um Verwandte zu pflegen. Zusätzlich können sich junge Menschen in einem Workshop ausbilden lassen, um beispielsweise Demenzkranken zu helfen. 6,7 Millionen Menschen haben das bereits getan.

Ein mögliches Konzept gegen die Landflucht

"Überlegen Sie mal, was das an zusätzlicher Arbeitskraft bedeutet, wenn niemand mehr seinen Job für die Pflege von Verwandten aufgeben muss", schwärmt Prof. Gerhard Naegele von der TU Dortmund, der ebenfalls im Deutsch-Japanischen Zentrum sprach. Zusammen mit einem Team testet er ab dem 1. Januar und bis ins Jahr 2020 in verschiedenen Städten, wie kommunale Beteiligung bei einer alternden Gesellschaft funktionieren kann.

Neben der zusätzlichen Arbeitskraft kann man so zudem das Problem der Landflucht angehen, glaubt Schwanenflügel: "Wenn alte Menschen aufgrund besserer Versorgung und Unterstützung an ihrem Wohnort bleiben können, müssen sie nicht in die Metropolen ziehen."

Die Leute zum Zähne putzen drängen

Das zweite Feld, in dem die Japaner sehr erfolgreich sind, ist die Prävention. Hier kommt in Japan das zum Tragen, was Otani als "kleine Veränderungen" beschreibt. Vor einigen Jahren stellte man in Japan beispielsweise fest, dass eine gute Vorsorge in der Zahnpflege später die Kosten für ärztliche Betreuung und Pflege deutlich reduzieren kann. Also führte man "8020" ein.

Das Projekt hat seinen Namen zum Ziel: "Im Alter von 80 Jahren noch mindestens 20 Zähne haben", erklärt Otani und die deutschen Kollegen schmunzeln. Das klingt für viele in Deutschland absurd, doch durch regelmäßige Zahnpflege bekamen 20 Prozent weniger Menschen Fieber aufgrund von Zahnerkrankungen. Und das nur, weil man Leute zum Zähne putzen sensibilisierte. "Das ist bei uns natürlich nicht notwendig und doch müssen wir mehr für die Prävention tun", sagt Schwanenflügel. Bisher investiere man drei bis vier Prozent des Pflegebudgets in die Vorsorge. Zu wenig, wie er glaubt, könnte man dadurch doch am Ende auch die Kassen entlasten - was dringend nötig ist.

Doch ganz gleich wie man das Problem angeht: Deutschland wird sich verändern. Und wie man diese Veränderung steuern kann, das wird man in Japan ganz genau beobachten.

Nils Wischmeyer

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