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Ein Junge schwenkt die Flagge des Libanon auf einer antizionistischen Demonstration in Berlin. Tausende Libanesen kamen schon in den 80ern nach Berlin, in dem Land im Nahen Osten tobt Krieg.
© Gregor Fischer/dpa

Flucht ins Milieu: Eine Polizistin über Libanesen im West-Berlin der 70er

Sie war Polizistin und verliebt in einen Libanesen. Heute ist Gitta Mikati Autorin. Ihr Roman „Berlin-Beirut“ macht West-Berlin wieder lebendig – als Ort vieler Asylsuchender.

Sie steht vor dem Haus, das sie vor vielen Jahren schon mal betreten hat. Ein Berliner Altbau am Stuttgarter Platz in Charlottenburg mit der üblichen, früher mal gediegenen Holzeingangstür. Neben den Klingeln sind Namen aus allen möglichen Ländern zu lesen. Damals, als sie dieses Haus betrat, sah es hier anders aus. Der Stuttgarter Platz war eines der West-Berliner Rotlicht-Viertel. Links und rechts von dem Mietshaus seien „Clubs mit diesen Schaukästen“ gewesen, sagt Gitta Mikati – Striplokale, Table-dance-Bars, für die der „Stutti“ bekannt war. Gitta Mikati war damals Polizistin, beschäftigt bei der Ausländerpolizei. Das Mietshaus gehörte zu denen, wo Asylbewerber dutzendweise in den Wohnungen untergebracht wurden. Sie zahlten pro Bett, pro Nacht zwanzig Mark. Gitta Mikati erinnert sich gut an diese Wohnung hinter der Fassade des Altbaus. Denn hier lebte der Mann, in den sie sich bald verlieben würde: „Ich kenne diese Wohnung, weil ich meinen Mann hier rausgeholt habe“ – rausgeholt, um ihn alsbald zu heiraten.

Polizistin war Gitta Mikati, bis sie fünfzig wurde. Dann gab sie den Dienst auf. Heute ist sie sechzig und Autorin. Über den Zufluchtsort West-Berlin der späten 70er hat Gitta Mikati einen Roman geschrieben. „Berlin-Beirut“ heißt das Buch. Es ist vor ein paar Wochen erschienen, und es macht mit viel Sinn für Details die alte Insel West-Berlin wieder lebendig. Vor allem erklärt es, wie die geteilte Stadt zum Zufluchtsort früherer Kriegsflüchtlinge wurde.

Damals interessierte sich kein Verlag für Araber in Berlin

Mikati hat darin ein bisschen von ihrer Lebensgeschichte untergebracht, eine Menge von ihrer Berufserfahrung bei der Polizei und nicht weniger Action: „Berlin-Beirut“ ist ein schneller Krimi und ein bisschen mehr als das. Vor vier Jahren gewann Mikati mit der Geschichte einer jungen Frau, die sich in einen Flüchtling aus dem Libanon verliebt, einen Anerkennungspreis bei der Leipziger Buchmesse. Doch damals interessierte sich kein Verlag für die Libanon-Flüchtlinge der 70er Jahre. Dafür mussten erst die syrischen Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kommen. Als die Syrer kamen, erkannten die Leute vom Berliner „Divan-Verlag“ das Potential der Geschichte mit den Libanesen. Heute lächelt Gitta Mikati darüber.

Auch das waren die 70er in West-Berlin: Asylsuchende aus dem Libanon, die per Flugzeug mit der Linie „Interflug“ kamen, von Beirut oder Damaskus nach Schönefeld. Von dort fuhren sie mit der S-Bahn oder dem Bus zum Bahnhof Friedrichstraße, wo Vopos ihnen den Weg durch eine der Metalltüren wiesen. Die gingen nur in die Richtung auf, die in den Westen führte: Transit West-Berlin. Im „Tränenpalast“ neben dem Bahnhof Friedrichstraße war Gitta Mikati öfters, um Mahmouds Weg in den Westen zu rekonstruieren. Jetzt steht sie in dem Ausstellungsgebäude vor einer dieser Türen aus Holz-Imitat mit Metallrahmen, die den Zugang zu den Verschlägen der Grenzer öffneten: Da muss man noch mal durchgehen. Im Tränenpalast fand Gitta Mikati vor allem Anschauung, Fakten über die Flüchtlinge von damals eher nicht.

Die 80er, Berufserfahrung, Action. Das alles steckt im Roman der früheren Polizisten Gitta Mikatis.
Die 80er, Berufserfahrung, Action. Das alles steckt im Roman der früheren Polizisten Gitta Mikatis.
© Doris Spiekermann-Klaas

Obwohl der Weg der Asylsuchenden über Ost-Berlin ein Politikum war und die These kursierte, die DDR wolle mit den vielen Flüchtlingen West-Berlin destabilisieren, hat sie kaum verlässliche Zahlen gefunden. Der Migrationsforscher Ralph Ghadban, ein Kenner des Libanon, schrieb vor einigen Jahren, dass etwa 180 000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland gekommen seien. Ein Grund für die Zahlenproblematik könnte darin liegen, dass die jungen Männer aus dem Libanon oft mehrfach hin- und hergereist sind und immer wieder neue Visa beantragten, weil sie nach ihren Familien sehen wollten – oder Geschäfte machten. Gitta Mikati wiederum vermutet, dass es eher deutlich mehr als die von Ghadban genannte Zahl war.

Ab Bahnhof Friedrichstraße mit dem Zauberwort "Asyl" unterwegs

Vom Grenzbahnhof Friedrichstraße fuhren die Flüchtlinge in Wirklichkeit und im Roman ein paar Stationen mit der U-Bahn in Richtung Wedding, immer das Zauberwort im Kopf, für den Fall, dass man nach seinen Papieren gefragt wurde: „Asyl“. Dann suchten sie Arbeit, fanden vielleicht einen Job in der Küche eines Restaurants oder im gerade neu eröffneten „Burger King“ am Ku’damm, als Burger-Brater. Oder in einer der kleinen Auto-Werkstätten, wie Gitta Mikatis späterer Mann, in denen die Wagen hergerichtet wurden, die von West-Berlin über den Balkan und die Türkei in den Nahen Osten gefahren und verkauft wurden.

Eine Insel war Berlin-West eben nur teilweise, sozusagen je nach Bewohner. Für manche mehr, für andere weniger. Zwei Schlagzeilen von damals, aus dem Tagesspiegel: „Organisiertes Verbrechen auf dem Vormarsch“, so der Titel eines Berichts von einer Arbeitstagung des Bundeskriminalamts 1981. Die Zeile könnte von heute sein. Die folgende aber nicht: „Landowsky für Rückführung der libanesischen Asylanten in Berlin“. Das forderte der damalige stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Klaus Landowsky, im Abgeordnetenhaus 1981, und zwar für die Zeit nach dem Abzug der PLO aus Beirut. Das sei notwendig, um „das bei den Berlinern in Misskredit gebrachte Asylrecht wieder auf seine berechtigten Belange zurückzuführen“, sagte der CDU-Politiker.

Unter den 20 000 Asylbewerbern in West-Berlin befanden sich damals nach einer Schätzung der Innenverwaltung 6000 bis 7000 Libanesen und staatenlose Palästinenser. In Gitta Mikati kommt mal kurz die Polizistin durch, die sie vor vielen Jahren war: Die West-Berliner Behörden hätten die Route über den Bahnhof Friedrichstraße durchaus dichtmachen können, wenn sie gewollt hätten. Dafür hätte man allerdings jeden U-Bahnzug kontrollieren müssen, der an der Friedrichstraße gehalten hatte. Wenn man das ein halbes Jahr gemacht hätte, sagt Gitta Mikati, hätte sich das unter den Libanesen herumgesprochen.

Die junge Frau in „Berlin-Beirut“ arbeitet in einer Diskothek, die ihr Onkel betreibt. Sie hat den Namen „Big Apple“, gelegen an der Bundesallee, Ecke Hohenzollerndamm. Die Disco gab es, genauso wie die zahllosen Striplokale am Stuttgarter Platz. Heute gibt es bloß noch ein einziges, unauffällig zwischen lauter Handy- und Taschen-Shops. Im „Big Apple“ verbrachte die junge Polizistin Gitta ihre Ausgeh-Abende. Ab 22 Uhr sei Betrieb gewesen, bis um drei oder vier morgens, sagt sie. „Und dann gingen ja tatsächlich viele zum Frühstück ins Athener Grill.“

Ihre Mutter hat sie vor Libanesen gewarnt

Noch so ein Laden aus dem West-Berlin der späten 70er Jahre. Man kann sich die junge, dunkelhaarige Frau mit den dunkelbraunen Augen gut vorstellen, die Gitta Mikati damals war. Das „Big Apple“ war bei Türken und Arabern besonders beliebt. Gitta Mikati hat ihren späteren Mann hier kennengelernt, „ganz normal, wie man in der Diskothek jemanden kennenlernt“, sagt sie. Und? Die große Liebe? Jetzt lächelt sie nicht mehr – sie lacht: „Na ja, damals war ich Anfang zwanzig.“ Und ergänzt: „Meine Mutter hat mich gewarnt, na klar!“ Mahmoud heißt er im Buch. Angeblich ist er gelernter Automechaniker und vor dem Krieg aus Beirut geflohen. Er findet einen Job in einer Werkstatt. Und weil der Chef des „Big Apple“ im Nebenberuf Autos Richtung Orient verschiebt und dort auch gefälschte Papiere verkauft, mit denen man aus Beirut leichter nach West-Berlin gelangen kann, kommt Mahmoud rasch mit dem kriminellen Milieu in Kontakt. Es ist die West-Berliner Halbwelt jener Männer vom Typ „hart, aber herzlich“, die sich mit Mengen von Whisky-Cola und Futschi bei Laune halten, die Worte „als“ und „wie“ verwechseln und junge Frauen „Kleene“ nennen.

Nicht wenige Libanesen haben sich in dieser West-Berliner Halbwelt schnell zurechtgefunden. Der Zufluchtsort, die sichere Insel im Westen, wurde für den ein oder anderen zum Ausgangspunkt einer kriminellen Karriere. Neben dem Mietshaus am Stuttgarter Platz, wo Mahmoud seine erste Unterkunft bezog, liegt der Laden „Angel Sport Filusch“. Der Alte in dem mit Ködern und Angeln bis zur Decke gefüllten Geschäft betreibt den Laden seit fünfzig Jahren. Ausgiebige Lagebeschreibungen sind nicht seine Sache. Er guckt skeptisch durch die Stahlrahmenbrille, bevor er feststellt, dass am Stuttgarter Platz früher, anders als heute, „nur Rotlicht“ gewesen sei. Dann nennt er die Namen einiger Zuhältergrößen – „hier haben alle verkehrt“, sagt er, „jetzt sind die Ausländer hier… alles durcheinander.“

Wie er das meine? Skeptischer Blick: „Früher war mehr Ordnung drinne…“ Die Reihe der Schischa-Bars ist für den Alten ein Hinweis darauf, dass am Stutti heute der Rauschgifthandel blüht. Vor ein paar Wochen nahm die Bundespolizei hier bei einer Razzia eine Truppe rumänischer Taschendiebe hoch.

Vom Rauschgifthandel und den Nebenjobs ihres Mahmoud ahnte die „Kleene“, der Gitta Mikati ein bisschen von ihrem Leben eingehaucht hat, erstmals etwas, als sie in der Ausländerwohnung am Stuttgarter Platz war, auf einen rauchschwaden-umwaberten „Omar“ traf, der ihr suspekt erschien. Auch diese Figur hat einen realistischen Hintergrund. Bei der Berliner Polizei galt es damals als gesicherte Erkenntnis, dass „Palästinenser-Gruppen aus dem Libanon den Heroin-Handel organisiert“ hätten. Ein Tagesspiegel-Bericht von damals zitiert Polizeipräsident Klaus Hübner mit dem Satz, dass 1,7 Prozent der ausländischen Bevölkerung Berlins aus Libanesen bestehe, aber elf Prozent der ausländischen Tatverdächtigen Libanesen seien. Hübner sprach damals auch von Palästinensern, die in West-Berlin Asyl beantragten, weil sie im Libanon politisch verfolgt würden – aber trotzdem immer wieder dorthin reisten.

Die Polizistin trennt sich von Mahmoud - er blieb ein Krimineller

Alles eine Frage der passenden Papiere, wie Gitta Mikati als Mitarbeiterin der Ausländerpolizei in der Puttkamer Straße in Kreuzberg erkannte. Auch einen Teil der Schmuggelroute lernte sie persönlich kennen. In ihrem Roman erzählt sie, wie die „Kleene“ mit Mahmoud in den Libanon fährt. Mit drei anderen Männern bringt das Paar vier Autos durch Südost-Europa, die Türkei und Syrien in den Libanon, die dort verkauft werden sollen. Die plötzlichen, bürgerkriegsartigen Schießereien, die sie in „Berlin-Beirut“ beschreibt, habe sie selbst erlebt, sagt sie, genauso wie die Freundlichkeit der Frauen in Mahmouds Familie ihr gegenüber.

Doch erlebt die junge Frau auf der Nahost-Tour auch zum ersten Mal, wie man als Mann von dort mit einer Frau umgeht. Beim Schwimmen wird sie von einem Bekannten befummelt, als wäre eine badende Frau Freiwild. „Meine Frau ist mein Eigentum“ – das sei Mahmouds Überzeugung gewesen, sagt Gitta Mikati. Natürlich gebe es auch Beispiele erfolgreicher Integration, sagt sie sehr betont. Aber ihr Roman spiele nun mal „im Milieu“. Und außerdem – das noch zum Thema Frauen als Eigentum – solle man nicht so tun, als gäbe es das nicht. Sie sagt: „Ich glaube nicht, dass das heute anders ist.“

Mit der jungen, romantischen, grenzenlosen Berliner Liebe war es bald vorbei. In ihrem Roman endet die Beziehung in einem dramatischen Streit. In Wirklichkeit hat sich Gitta Mikati schlicht von Mahmoud getrennt. Gescheitert sei die Beziehung „an seiner Kriminalität“. Kinder waren, anders als im Buch, nicht betroffen. Was aus ihm geworden ist, darüber schweigt sie, lächelnd und eisern.

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