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Brexit: Eine Niederlage, aus der Theresa May Stärke gewinnen kann

Tory-Rebellen haben mehr Einfluss des Parlaments auf den Brexit-Prozess durchgesetzt. Das schwächt die Hardliner. Eigentlich keine schlechte Nachricht für die Premierministerin.

 

Es war eine turbulente Sitzung des Unterhauses, und hernach herrschte bei den Brexit-Hardlinern in der Konservativen Partei schlechte Stimmung. Denn ihr bisher starker Einfluss auf die Regierungslinie ist schlagartig geringer geworden. Elf Rebellen in den eigenen Reihen hatten der Regierung von Premierministerin Theresa May eine Niederlage bereitet und zusammen mit der Opposition eine Gesetzesänderung durchgedrückt, mit der die Mitsprache des Parlaments bei der Austrittsvereinbarung mit der EU gestärkt wird. Diese wird der Kern der jetzt beginnenden zweiten Phase der Brexit-Verhandlungen sein, wobei einige Punkte bereits geklärt sind – die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien oder Briten auf dem Kontinent etwa oder der finanzielle Rahmen der „Austrittsrechnung“. Zweiter wichtiger Punkt werden die Übergangsregelungen sein, denn schon heute haben beide Seiten signalisiert, dass sich an den von den Briten gewählten Austrittstermin am 29. März 2019 eine längere, wohl mindestens zweijährige Übergangsphase anschließen muss. In dieser soll, zumindest aus EU-Sicht, der Status quo vorerst weiter gelten, Großbritannien wäre sozusagen weiterhin informelles Mitglied der EU (inklusive Binnenmarkt und Zollunion), ohne jedoch noch mitbestimmen zu können. In dieser Übergangsphase vor allem sollen dann auch die künftigen Wirtschaftsbeziehungen geklärt werden.

Mehr Einfluss für das Unterhaus

Der von der Opposition – Labour, schottische Nationalpartei und Liberaldemokraten – unterstützte Gesetzesantrag der Tory-Rebellen (zu denen immerhin vier Ex-Minister zählen) hat zum Ziel, dem Parlament mehr Einfluss auf die Gestaltung der Übergangsphase und damit auch des angepeilten umfangreichen Handelsabkommens Einfluss nehmen zu können. Mays Abstimmungsniederlage bedeutet letztlich, dass die Premierministerin mehr Rücksicht auf das Unterhaus nehmen muss. Die Regierung wollte zuvor das Parlament nur ganz am Ende abstimmen lassen über das Endergebnis der Verhandlungen mit der EU – nach dem Motto „fresst oder sterbt“. Nun aber ist ein Gesetzgebungsverfahren nötig. Und das bedeutet, dass May das Parlament einbinden muss, will sie nicht Gefahr laufen, am Ende keine Mehrheit für das Austrittsabkommen zu haben.

Die Tory-Rebellen – allesamt Gegner eines harten Brexits – haben sich in diesem Prozess in eine starke Position gebracht. Kein Wunder, dass die Brexit-Hardliner schäumten. Denn sie hatten bisher geglaubt, May vor sich her treiben zu können zu einem Abkommen mit der EU, das vor allem ihren Intentionen entspricht. Der frühere Parteichef Iain Duncan Smith, einer der gröbsten EU-Gegner, warf den Rebellen vor, sie wollten sich nur selbst darstellen. Eine andere konservative Abgeordnete verlangte sogar, die widerspenstigen Elf sollten zur nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt werden. Die Wut der „Brexiteers“ hat einen guten Grund: Sie fürchten, dass nun mehr konservative Parlamentarier als bisher den Mut finden könnten, eine weichere Brexit-Linie zu unterstützen. Die führende Rebellin und Austrittsgegnerin Anna Soubry, bis 2016 Kabinettsmitglied, sagte nach ihrem Erfolg: „Wir werden keinen harten Brexit bekommen, weil ich weiß, dass unsere Premierministerin ihn nicht will.“ Schon kommende Woche könnte die Regierung ein zweites Mal verlieren. Sie will den Austrittstermin im März 2019 auch gesetzlich verankern und damit noch verbindlicher machen. Die Tory-Rebellen lehnen das ab. Neben Soubry gehören auch die Ex-Minister Dominic Grieve, Kenneth Clarke und Nicky Morgan zu dem Kreis. Man habe „die Kontrolle zurück“, juxte Morgan unter Anspielung auf den Slogan „take back control“ der Befürworter des EU-Austritts.

Mehr Bewegungsfreiheit

Auf den ersten Blick hat Theresa May mit der Abstimmungsniederlage einen schlechten Moment erlebt. Doch angesichts der knappen Mehrheit ihrer Regierung im Unterhaus ist die Geschlossenheit der Fraktion entscheidend. Die Befürworter eines weicheren Brexit haben nun deutlich gemacht, dass sie zu rebellieren bereit sind. Das schwächt die bisher dominanten Austritts-Hardliner. May gewinnt also aus der Niederlage mehr Bewegungsfreiheit gegenüber diesen „Brexiteers“. Die mussten sich schon vorige Woche hinter sie stellen, obwohl die ersten Ergebnisse der Verhandlungen mit der EU nicht ihren Vorstellungen entsprachen.

Bei Labour herrschte Begeisterung über Mays Niederlage. Parteichef Jeremy Corbyn sprach von einem „erniedrigenden Verlust an Autorität“ für May, ausgerechnet einen Tag vor dem EU-Gipfel, auf dem die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen beschlossen werden soll. Freilich gelang diese „Erniedrigung“ nur, weil einige der Brexit-Hardliner in der Labour Party sich zurückhielten und – bis auf zwei notorische EU-Gegner – ebenfalls gegen die Regierung stimmten. Sonst hätten die Stimmen der Tory-Rebellen möglicherweise nicht gereicht, um dem Austrittsprozess eine etwas andere Richtung zu geben. 

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