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Leonard Schneider kandidiert für die SPD im Wahlkreis Dessau-Wittenberg.
© Samuel Trefzger

„Junge Menschen haben keine Lobby“: Eine neue Generation will in den Bundestag

Viele junge Menschen fühlen sich von der Politik nicht repräsentiert – das zeigen Umfragen. Fünf junge Kandidierende wollen das ändern.

In dem Jahr, in dem Leonard Schneider geboren wurde, verabschiedete der Bundestag das erste Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Dieses Jahr wurde der Einsatz beendet, die Soldat:innen kehrten nach Deutschland zurück und Leonard Schneider, inzwischen 20 Jahre alt, kandidiert für die SPD für den Bundestag.

"Junge Menschen haben keine Lobby", sagt der Student aus Sachsen-Anhalt. Daher wolle er ins Parlament. Der Bundestag und seine Abgeordneten sollten die Bevölkerung repräsentieren, das mache er aber nicht mit dem Altersdurchschnitt, kritisiert Schneider. Das Durchschnittsalter der Abgeordneten in der vergangenen Wahlperiode lag bei 49,4 Jahren.

Dass sich viele junge Menschen nicht von der Politik repräsentiert fühlen, zeigt auch eine im Juni veröffentlichte repräsentative Umfrage der "Generationen Stiftung", bei der 1500 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren befragt wurden. Demnach erklärten knapp 84 Prozent der jungen Menschen, ihre Interessen würden von der Bundesregierung ignoriert werden. Fast 55 Prozent sehen sich von keiner der zur Bundestagswahl antretenden Parteien repräsentiert. Dabei haben Bewegungen wie "Fridays for Future" gezeigt, dass junge Menschen mitreden und gehört werden wollen.

Leonard Schneider ist Direktkandidat im Wahlkreis Dessau-Wittenberg und wurde auf Platz sieben der SPD-Landesliste Sachsen-Anhalt gewählt. Dabei ist sein parteipolitisches Engagement noch recht jung, erst 2019 trat er der SPD bei. Politisch interessiert sei er schon immer gewesen, sagt er. Irgendwann kam der Punkt, da wollte er mitmachen, statt nur darüber zu diskutieren. "Ich habe gemerkt, ich rege mich sehr viel über Politik auf, aber versuche nicht aktiv mitzugestalten", erzählt er. "Das war ein bisschen blöd. Da wusste ich, ich muss jetzt was machen".

Im Raum Wittenberg, wo Schneider geboren und aufgewachsen ist, gebe es kaum politische Jugendstrukturen. Ein Jahr nach Eintritt in die Partei sei er in den Kreisvorstand Wittenberg gewählt worden. Sein Alter hat dabei immer eine Rolle gespielt. Er habe schnell gemerkt, dass seine Rolle die des "jungen Wilden" sei, sagt Schneider. Das bringe man automatisch mit, wenn man in eine Partei gehe, in der das Durchschnittsalter 60 Jahre sei. Trotzdem werde er von den älteren Menschen respektiert. “Die haben das Gefühl, es ist wichtig, dass junge Menschen jetzt nach vorne kommen", sagt Leonard Schneider.

Doch bei seiner Kandidatur spiele sein Alter schon eine besondere Rolle. "Wenn Eltern von Freunden sagen: Den Leonard kann ich nicht wählen, der hat noch nie was gemacht in seinem Leben", erzählt Schneider, da sei sein Alter schon wesentlich.

Karoline Otte ist Kandidatin für die Grünen im Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode in Niedersachsen.
Karoline Otte ist Kandidatin für die Grünen im Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode in Niedersachsen.
© Svenja Appuhn

Ähnliche Erfahrungen hat auch Karoline Otte, Grünen-Politikerin aus Niedersachsen, gemacht. "Es ist schon so, dass es ein gewisses Vorurteil gibt, dass man noch sehr jung und unerfahren ist", erzählt die 24-Jährige. Seit zehn Jahren engagiert sie sich für die Grünen, seit fünf Jahren macht sie Kommunalpolitik. In der eigenen Partei sei ihr Engagement immer unterstützt worden, aber sie habe aufgrund des Alters auch negative Erfahrungen gemacht.

Als sie mit gerade mal 20 Jahren in den Kreistag gewählt wurde, habe sie sich bei den anderen Fraktionen erst mal ein "Standing" erarbeiten müssen. "Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die mich für voll genommen haben." Oftmals hätten ihr ältere Kolleg:innen Ratschläge “von oben herab” gegeben oder sie für nicht erfahren genug gehalten. Auch als junge Mutter müsse sie sich Ratschläge zur Erziehung anhören.

Nun tritt sie für den Bundestag an, als Direktkandidatin im Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode und auf Platz neun der Landesliste. Damit die Kommunen mehr für den Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit tun könnten, bedürfe es mehr Unterstützung seitens des Bundes, ist sie überzeugt. Ihr Wissen aus dem Studium zur Verwaltungsbetriebswirtin und ihre Erfahrungen aus der Kommunalpolitik will sie in den Bundestag einbringen. "Ganz große Teile der Verkehrswende, gerade wenn es um Probleme beim Individualverkehr geht, passieren auf kommunaler Ebene. Und da müssen die angegangen werden und da muss eben das Geld hinfließen, damit das passiert", sagt Otte.

Zara Dilan Kiziltas kandidiert für die Linken in Heidelberg.
Zara Dilan Kiziltas kandidiert für die Linken in Heidelberg.
© FotoAgenten Heidelberg

Neben der Stärkung und Förderung der Kommunen ist Klimaschutz das wichtigste Thema, das Karoline Otte im Bundestag angehen will. Damit ist sie nicht allein. Für alle fünf Kandidierenden ist die Klimakrise die größte Herausforderung ihrer Generation. Aber auch soziale Gerechtigkeit, Europa und Bildung spielen eine große Rolle. Es sind Themen, die die Kandidat:innen persönlich betreffen.

"Meine Großeltern sind als Gastarbeiter:innen hergekommen, ich bin eine migrantisierte, junge Frau, meine Eltern sind Arbeiter:innen”, erzählt Zara Dilan Kiziltaş, die für die Linke in den Bundestag will. Die eigenen Erfahrungen hätten sie dazu bewegt, sich politisch zu engagieren. Als Teenager habe sie realisiert, welche Ungerechtigkeiten es in der Gesellschaft gebe. "Soziales, Anti-Rassissmus, Feminismus" seien Themen, die sie beschäftigen.

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Mit 15 habe sie angefangen, sich in einem Jugendforum, einer Art Interessenvertretung für Jugendliche, in ihrer Heimatstadt Philippsburg in Baden-Württemberg zu engagieren. In der kleinen Stadt mit 13.000 Einwohnern war die Parteienlandschaft überschaubar. "Es gab die SPD, CDU, Freie Wähler und eine unabhängige Liste", sagt sie. "Keine davon hat mein Interesse geweckt".

„Mein junges Alter kann auch von Vorteil sein“

Als sie 18 war, zog sie nach Heidelberg und engagierte sich bei den Linken. Mit 20 zog sie in den Gemeinderat. Heute ist Zara Dilan Kiziltaş 22 Jahre alt und Direktkandidatin der Linken im Wahlkreis Heidelberg. "Ich denke, mein junges Alter kann auch von Vorteil sein, da es mir so viele Perspektiven schafft, die in der Politik gerade nicht oder noch nicht gegeben sind", sagt Kiziltaş. Das motiviere sie, als junge Frau in den Bundestag zu gehen.

Auch Kiziltaş berichtet, ihr Engagement sei grundsätzlich immer positiv aufgenommen worden. Dennoch habe sie auch härter kämpfen müssen, um ernst genommen zu werden. Zudem habe es aufgrund ihrer Migrationsgeschichte und ihres Geschlechts auch den Vorwurf gegeben, sie sei nur wegen einer "Quote" da, wo sie ist, und nicht wegen ihrer Qualifikation.

Fabian Griewel ist Kandidat der FDP in Soest in Nordrhein-Westfalen.
Fabian Griewel ist Kandidat der FDP in Soest in Nordrhein-Westfalen.
© Fabian Griewel/Beylemans Fotografie

"Junge Leute haben genauso eine Verantwortung, sich für die Demokratie einzusetzen wie ältere Leute", sagt Fabian Griewel, der für die FDP für den Bundestag kandidiert. "Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Parlament auch alle Bevölkerungs- und Altersschichten vertreten muss". Mit der Politik hat Fabian Griewel 2014 angefangen, bei einem Planspiel im nordrhein-westfälischen Landtag, bei dem junge Menschen für drei Tage Abgeordnete vertreten durften. Griewel bewarb sich bei einem FDP-Abgeordneten. "Die Einstellung, wir schauen, was der Einzelne erreichen möchte und werten nicht alles gemeinsam, das hat mir damals schon gefallen", erzählt er.

Sieben Jahre später, mit 24 Jahren, ist er zum zweiten Mal Bundestagskandidat für die FDP. Schon 2017 wurde er aufgestellt – allerdings ohne Listenplatz. Der Erfolg blieb aus. Dieses Jahr tritt er sowohl als Direktkandidat im Wahlkreis Soest als auch mit Listenplatz 21 der FDP-Landesliste in Nordrhein-Westfalen an. Aktuell sitzen 20 FDP-Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen im Bundestag, es bräuchte also nur einen Sitz mehr.

Erst das Studium, dann die Politik

Neben seinem Studium arbeitete er bei der Deutschen Post und im Landtag, außerdem ist er für einen FDP-Europaabgeordneten tätig. "Viele Leute sagen, der hat noch nicht genug Erfahrung oder müsste erst mal arbeiten. Das mache ich seit sechs Jahren. Deshalb kann ich gut darauf kontern", sagt er. Es sei ihm wichtig gewesen, erst sein Studium abzuschließen, bevor er sich der Politik ganz widmet. Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Bildung – das sind die Themen, die er als Bundestagsabgeordneter angehen wollen würde.

Anna-Maria Auerhahn kandidiert für die CSU auf dem Listenplatz 34.
Anna-Maria Auerhahn kandidiert für die CSU auf dem Listenplatz 34.
© RCDS in Bayern e.V./Richard Schenk

Bildung spielt auch bei der CSU-Bundestagskandidatin Anna-Maria Auerhahn eine entscheidende Rolle. Sie ist Vorsitzende des Ring Christlich-Demokratischer Studenten in Bayern (RCDS) und damit kooptiertes Mitglied des CSU-Parteivorstands. Schon in der Schule sei sie politisch interessiert gewesen, habe viel Zeitung gelesen und sich Gedanken darüber gemacht, wie Themen wie Rente auch sie irgendwann betreffen würden.

Dann ging sie auf die Uni, studiert Jura. "Direkt im ersten Semester bin ich dem RCDS beigetreten", später ging sie ins studentische Parlament, erzählt Auerhahn. Sie trat in die CSU und die Junge Union ein, wollte mehr als Hochschulpolitik machen. "Ich wollte generell Themen anpacken, die uns junge Leute und unsere Zukunft betreffen", so Auerhahn.

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Zu den Themen, die sie besonders beschäftigen, gehören neben Bildung auch Klimaschutz, innere Sicherheit und Generationengerechtigkeit. "Es sind deutlich zu wenig junge Menschen im Bundestag", sagt sie. Natürlich könne man nicht das ganze Parlament mit unter 30-Jährigen besetzten. Aber es sei dennoch wichtig, dass man die “Synergien von Jung und Alt” nutze.

Mit 709 Abgeordneten hat der Bundestag Übergröße. Junge Menschen sind dennoch kaum vertreten.
Mit 709 Abgeordneten hat der Bundestag Übergröße. Junge Menschen sind dennoch kaum vertreten.
© Ralf Hirschberger/dpa

So sei sie während der Pandemie im CSU-Vorstand dafür eingetreten, dass Studenten mehr Beachtung finden und eine Öffnungsstrategie für die Universitäten entwickelt werde. "Ich werde als Studentin genauso gehört und ernst genommen wie jedes andere Mitglied", sagt Auerhahn.

Ob die fünf Kandidat:innen es in den Bundestag schaffen, bleibt abzuwarten. Viele von ihnen werden es bei der Direktkandidatur gegen gestandene Konkurrent:innen von anderen Parteien schwer haben. Immerhin zeigen ihre Kandidaturen eins: Auch die nachkommenden Generationen sind bereit, politische Verantwortung zu übernehmen.

Nicolas Lepartz

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