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Szene aus dem Berliner Stadtverkehr
© Thilo Rückeis

Mobilitätsgesetz: Eine grüne Ampel ist in Berlin keine Garantie fürs Überleben

Das neue Mobilitätsgesetz will Rad- und Autofahrer voneinander trennen. Aber wir sind in Berlin – und deshalb brauchen die Dinge länger. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Eigentlich sollten alle, die in Berlin unterwegs sind, dem Senat in dieser Sache Glück und gutes Gelingen wünschen. Das Mobilitätsgesetz, das an diesem Donnerstag vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll, sortiert den Verkehr neu. Es will Rad- und Autofahrer voneinander trennen und auf Sicherheitsabstand bringen.

Würden sich die Straßen der Stadt in raschem Tempo so ändern, wie es der rot-rot-grüne Senat im Sinn hat, wäre den Fußgängern gedient, die ihre Gehwege für sich hätten, den Radfahrern mit sicheren und gut befahrbaren Radwegen – und den Autofahrern. Jeder einigermaßen trockene Tag in Berlin zeigt, wie viele Leute das Fahrrad inzwischen allen anderen Verkehrsmitteln vorziehen. Die Stadt würde erleben, dass eine gesellschaftliche Bewegung die Politik in zügige Bewegung bringen kann.

Aber wir sind in Berlin, und deshalb brauchen die Dinge länger, um vom Volksentscheid über eine Senatsvorlage zur Wirklichkeit zu werden. Zwei Jahre nach der Ankündigung des Mobilitätsgesetzes kann man zwischenbilanzieren: Das Radfahren ist in Berlin noch immer so gefährlich, dass manche Leute es lieber lassen und die meisten anderen täglich ihre Gesundheit riskieren – mit mehr oder weniger eigenem Anteil an der Gesundheitsgefährdung, je nach Fahrstil.

Für Fußgänger ist eine grüne Ampel keine Garantie für eine gesunde Straßenüberquerung – leider ist es überlebenswichtig, genau zu gucken, wer auf sie zurast (nicht wenige Autofahrer verstehen eine auf rot schaltende Ampel als Ansporn zum Gasgeben). Und die Autofahrer? Sie könnten, sollten und müssten erkennen, dass die Zeiten der autogerechten Stadt vorbei sind. Sie könnten und sollten sich über jeden freuen, der aufs Auto verzichtet. Und sie sollten von diesem Senat verlangen, dass er die Straßen in einem gut benutzbaren Zustand erhält.

Benutzbare Straßen?

Weil wir in Berlin sind, funktioniert auch das nicht. Benutzbare Straßen wären solche, wo die Baustellenplanung klappt und zumindest bis 20 Uhr abends im Schichtbetrieb gebaut wird – damit Sperrungen nicht immer in Jahren gemessen werden müssen. Benutzbare Straßen wären solche, auf denen das Parken in zweiter Reihe nicht die Regel, sondern die absolute (und teure) Ausnahme ist.

Warum parken Busse vor Hotels in der zweiten Reihe statt am Fahrbahnrand? Warum können vor den Supermärkten keine Parkzonen für Lastwagen eingerichtet werden? Weil alle um Zuständigkeiten streiten? Warum dauert es Jahre, bis der Senat aus der polizeilichen Uralt-Erkenntnis von den missachteten roten Ampeln die Konsequenzen zieht und eine Blitzeroffensive beginnt? Niemand, auch nicht der leidenschaftlichste Autofahrer, kann Interesse am fortschreitenden Sittenverfall auf den Straßen haben, denn jeder, der in der Stadt unterwegs ist, kann von einem irren Über-Rot-Raser getötet werden.

Berlin ist nicht Kopenhagen oder Potsdam, wo Fahrradfreundlichkeit (und nochmal: auch zugunsten derer, die aufs Auto nicht verzichten können) in einem Jahr oder zweien vom Plan zur Realität werden kann. Verkehrspolitik in einer immer voller werdenden Stadt mit immer mehr Bewohnern, die sich gern ein großes, schweres Auto leisten, gehört zum Kompliziertesten, was sich eine Koalition vornehmen kann. Aber der Zwang zum Erfolg ist da. Sonst wird die Liste der Politpleiten (Behörden, Wohnen, ÖPNV, BER) noch länger.

Beteiligen Sie sich an unserem Projekt Radmesser. Verkehrssicherheit für Fahrräder auf Berlins Straßen soll endlich messbar werden. Durch einen innovativen Sensor wollen wir Abstände messen, mit denen Fahrzeuge Fahrradfahrer überholen.. Mehr dazu und die ersten Ergebnisse finden Sie auf unserer interaktiven Seite https://interaktiv.tagesspiegel.de/radmesser/

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