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Eine Mutter trauert in Awdijiwka um ihre Tochter, die vergangene Woche beim Beschuss der ostukrainischen Stadt getötet wurde.
© Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Zwei Jahre Minsker Abkommen: Eine Geschichte des Scheiterns in der Ukraine

Das Minsker Friedensabkommen für die Ostukraine ist nach zwei Jahren nicht umgesetzt. Europa muss einen neuen Anlauf wagen, um endlich einen Krieg zu beenden, in dem 10.000 Menschen getötet wurden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Das Abkommen sollte der Ostukraine endlich Frieden bringen. Nach einer langen Verhandlungsnacht, in der Deutschland und Frankreich unermüdlich vermittelt hatten, einigten sich die Staatschefs der Ukraine und Russlands am 12. Februar 2015 in Minsk auf 13 Punkte, die den Krieg im Donbass beenden sollten. Doch bisher ist kein einziger Punkt umgesetzt. Waren damals mehr als 5000 Tote in diesem Krieg zu beklagen, haben die Vereinten Nationen bis heute fast 10.000 Todesopfer verzeichnet. Gerade erst sind in der Ostukraine die Kämpfe erneut aufgeflammt. So erinnert der zweite Jahrestag des Minsker Abkommens nicht an eine Sternstunde europäischer Diplomatie, sondern an eine Geschichte des Scheiterns.

Dabei hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande gerade deshalb im Februar 2015 neue Verhandlungen angesetzt, weil ein erstes Abkommen, das im September 2014 in Minsk verabschiedete Protokoll, gescheitert war. Die neue Vereinbarung sollte die Kämpfe, die fast unvermindert weitergegangen waren, endlich beenden und Unklarheiten beseitigen. Doch auch dieses Abkommen zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Schon wenige Tage später rückten die Separatisten und ihre russischen Unterstützer demonstrativ in das umkämpfte Debalzewe vor. Spätestens im Sommer 2015 war klar, dass das Abkommen nicht wie geplant bis zum Jahresende umgesetzt sein würde.

Das Minsker Abkommen ist gescheitert. Doch in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten weigern sich Diplomaten seit mehr als einem Jahr, das öffentlich zu sagen. Denn dann müssten sie ebenfalls eingestehen, dass sie keinen anderen Plan haben. So blieb es bei der offiziellen Sprachregelung, dass das Abkommen umgesetzt werden müsse. Der gebetsmühlenartig vorgetragene Appell richtete sich stets an beide Seiten gleichermaßen. Die Vermittler wollten damit ihre Neutralität unter Beweis stellen.

Doch je weniger die europäischen Diplomaten Partei ergreifen wollten, desto mehr begünstigten sie eine der beiden Kriegsparteien. Denn der Kreml tut bis heute so, als sei er am Krieg in der Ostukraine gar nicht beteiligt, als seien die russischen Kämpfer nur Freiwillige und nicht reguläre Truppen, die mit Panzern und schwerer Artillerie über die Grenze kamen. Ohne die russische Intervention hätte es diesen Krieg nicht gegeben.

Der Westen spielt das Spiel der russischen Propaganda mit

Und ausgerechnet jene Regierungen, die sich jetzt am lautesten über „Fake News“ aufregen und vor russischen Desinformationskampagnen warnen, spielen im Ukraine-Konflikt das Spiel der russischen Propaganda bereitwillig mit. Das stärkt im Westen vor allem diejenigen, die „Lügenpresse“ schreien, sobald Medien über die Präsenz russischer Truppen im Donbass berichten.

Die Bundesregierung weiß recht genau, wie viele russische Soldaten dort im Einsatz sind. Antworten auf entsprechende Fragen aus dem Bundestag wurden jedoch als geheim eingestuft. Dass Diplomaten die Präsenz von Moskaus Truppen im Donbass als gegeben betrachten, hat zuletzt ein Interview des deutschen Botschafters in Kiew gezeigt – auch wenn der Sprecher des Auswärtigen Amtes umgehend beteuerte, damit sei dies keineswegs „regierungsamtlich festgestellt“.

Während die deutsche Außenpolitik immer wieder öffentlich gemahnt hat, die Ukraine müsse gemäß dem Minsker Abkommen das Wahlgesetz für die Ostukraine verabschieden und der Region in der Verfassung einen Sonderstatus zugestehen, forderte niemand Russland öffentlich auf, endlich Soldaten und Panzer aus dem Donbass abzuziehen.

Zu den Konstruktionsfehlern des Minsker Abkommens gehört, dass unklar blieb, wer welchen Punkt in welcher Reihenfolge umsetzen soll. Das lässt zu viel Platz für Interpretationen. Diejenigen, die geradezu verzweifelt am Minsker Abkommen festhalten, glauben, ein besseres Ergebnis sei nicht zu erreichen, und Neuverhandlungen könnten die Büchse der Pandora öffnen. Klar ist, dass es in diesem Konflikt keine schnelle Lösung geben kann.

Eine Friedenstruppe für den Donbass?

Doch die internationale Gemeinschaft kann und muss den Mut finden, in neuen Dimensionen zu denken, um endlich einen Friedensprozess in der Ostukraine in Gang zu bringen. Ein solcher neuer Ansatz kann am Ende auch die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe sein, um eine echte Waffenruhe zu ermöglichen und gleichzeitig zu verhindern, dass eine der beiden Seiten die Kontaktlinie überschreitet, um Geländegewinne zu machen.

Gleichzeitig könnte eine internationale Mission nach dem Abzug der russischen Soldaten die ukrainisch-russische Grenze überwachen und schließlich auch die Abhaltung von Wahlen begleiten. Wenn Moskau die Truppen und Panzer abgezogen hat und einer unabhängigen Grenzüberwachung zustimmt, könnten die gegen Russland verhängten Sanktionen sofort aufgehoben werden.

Der Ukraine wäre zu wünschen, dass die Europäer zwei Jahre nach Minsk einen neuen Anlauf wagen, um diesen vergessenen Krieg endlich zu beenden.

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