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Ein Pfleger hält im Alten-und Pflegeheim Joachim-Neander-Haus der Diakonie in Düsseldorf die Hand einer Bewohnerin (Archivfoto)
© picture alliance/dpa/Oliver Berg

Urteil zur Sterbehilfe erwartet: Eine Entscheidung zwischen Angst und Hoffnung

Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit von Sterbehilfe. Doch wann ist der Tod sozial verträglich? Ein Kommentar.

Ulrike Baureithel lebt als freie Journalistin in Berlin und schreibt seit vielen Jahren über bioethische Themen.

Das Bild, das eine Gesellschaft vom Tod hat, bestimmt die herrschenden Vorstellungen von Gesundheit. Es gibt Aufschluss darüber, wie die Menschen miteinander verkehren, wieviel Selbstvertrauen sie haben und wie lebendig sie sind.

So hat es der große, 2002 verstorbene Medizinkritiker Ivan Illich in seinem Buch „Nemesis der Medizin“ über die „Grenzen des Gesundheitswesens“ festgehalten.

Todesnähe und Todesabwehr speisen sich aus religiös-rituellen Praktiken und bürgerlichen Werterhaltungsregeln. Das heißt auch, dass man sich den Tod als Patient leisten können muss. Der mit industriellen Abläufen kompatible Tod in der Klinik ist die vorläufig letzte Etappe in diesem Prozess, begleitet von einer medizinischen Bürokratie, die Beginn und Ende des Lebens registriert.

„Der sozial anerkannte Tod tritt ein“, so Illich, „wenn der Mensch nicht mehr nur als Produzent, sondern auch als Konsument nutzlos geworden ist.“ Er wird unter hohen Kosten als Totalverlust abgeschrieben.

Diesen Hintergrund sollte man sich vergegenwärtigen, um die neu aufgeflammte Sterbehilfedebatte einzuordnen und die Motivationen der scheinbar unversöhnlichen Fraktionen von Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe zu erhellen.

Soziale Verträglichkeit

Denn in dem am heutigen Mittwoch erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ in §217 StGB geht es um unsere derzeitigen und künftigen Vorstellungen darüber, unter welchen Bedingungen der Tod sozial verträglich ist.

Eingeführt wurde die Bestimmung auf Betreiben von Ärzten und Abgeordneten 2015, nachdem der ehemalige Hamburger Senator Roger Kusch den „Verein Sterbehilfe Deutschland“ gegründet hatte. Dessen Mitglieder konnten gegen Zahlung eines Mitgliedsbeitrags von bis zu 7000 Euro auf Beihilfedienste beim Suizid hoffen.

Bis zum Verbot des Vereins haben nach eigenem Bekunden von diesem Angebot 254 Patientinnen und Patienten Gebrauch gemacht.

Im Juli 2019 hatte sich bereits der Bundesgerichtshof in Leipzig mit dem Fall zweier Ärzte beschäftigt, die zwei Frauen nach einer tödlichen Medikamenteneinnahme hatten sterben lassen.

Heftiger Widerspruch bei Funktionären

Die Diagnose: bilanzierte Lebensmüdigkeit. Obwohl die Betroffenen nicht an lebensbedrohlichen Krankheiten litten, bestätigte das Gericht den Freispruch, was bei Ärztefunktionären heftigen Widerspruch auslöste.

Die Beteiligung an Selbsttötungen, stellte der damals gerade neu gewählte Chef der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, klar, gehöre nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Fatal wäre es, wenn das Urteil eine solche Erwartung in der Bevölkerung weckte.

Entscheideen über die Zulässigkeit von Sterbehilfe: Die Richter des Bundesverfassungsgerichts (Archivbild)
Entscheideen über die Zulässigkeit von Sterbehilfe: Die Richter des Bundesverfassungsgerichts (Archivbild)
© dpa/Uli Deck

Dieser Eindruck könnte sich, wie die Fragen der Richter bei der Verhandlung nahelegten, nun festigen. Die Beschwerdeführer – Patienten, Sterbehilfevereine und Mediziner – machen zum einen den eingeschränkten Entscheidungsspielraum geltend, zum anderen die Rechtsunsicherheit, wenn etwa Palliativmediziner Opiate zur Selbsttötung mit nach Hause geben.

Denn die in §217 strafbewehrte „Geschäftsmäßigkeit“ meint weniger den finanziellen als vielmehr den zeitlichen Aspekt und zielt auf die Wiederholung einer solchen Handlung. Lediglich Angehörige oder enge Freunde, die Beihilfe zum Suizid leisten, sind von der Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ausgenommen.

Genehmigung todbringender Medikamente

Ging es in den Leipziger Fällen darum, ob die Ärzte lebensrettende Maßnahmen hätten einleiten müssen, stecken die Karlsruher Richter generell den ärztlichen Handlungsspielraum ab. Das gilt übrigens auch für denjenigen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, das auf Antrag die todbringenden Medikamente genehmigen muss.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte das Institut angewiesen, dies zu unterlassen.

In einem langen Streitgespräch mit dem ehemaligen Ärztepräsidenten Frank Ulrich Montgomery insistierte Sterbehilfebefürworter Roger Kusch in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ neuerlich auf der verfassungsrechtlich gestärkten Patientenautonomie, die sie gegen die „patriarchale“ Medizinerzunft aufbieten.

Die Ärzteschaft wiederum verweist auf ihren ureigenen Auftrag. Wenn Mediziner Sterbehilfe leisteten, würden sie „vom Heilenden zum Tötenden“ (Montgomery) gemacht.

Der Arzt als Henker

Diese Argumente sind nicht neu und wiederholen sich bei jeder Gelegenheit. Mobilisiert wird von den einen die Angst, nicht in Würde sterben zu können, von den anderen die Angst vor dem „Arzt als Henker“, die schon der Philosoph Hans Jonas in Anschlag brachte. Gerade die Schwächsten in einer Gesellschaft müssten sich vor Letzterem fürchten.

Drücken oder nicht drücken? Mit der freien Wahl in Notsituationen ist es so eine Sache.
Drücken oder nicht drücken? Mit der freien Wahl in Notsituationen ist es so eine Sache.
© imago/blickwinkel

Autonomieverlust ist ein starkes Moment in einer Gesellschaft, die das selbstbestimmte Subjekt zum Identitätskern erklärt hat. Weniger die Leidenssituation fürchten die Menschen, als von Anderen abhängig zu sein. Die freie Wahl zu haben suggeriert, man könne dieser Abhängigkeit entgehen – ungeachtet der Tatsache, dass,selbst wenn der assistierte Suizid erlaubt würde, der Weg dorthin mit langwierigen Expertenentscheidungen und damit Abhängigkeiten verbunden wäre.

Dabei ist der soziale Druck, der entsteht, wenn es plötzlich die Option zwischen teurer medizinischer Versorgung und selbstbestimmtem Suizid gäbe, noch gar nicht berücksichtigt.

Oregon ist ein schlechtes Beispiel

Der gerne von Sterbehilfebefürwortern herangezogene US-Bundesstaat Oregon und sein seit 2007 gültiger „Oregon Death with Dignity Act“ ist ein Beispiel dafür, wie gesetzliche Vorgaben umgangen und Patienten zu Tode gebracht werden, obwohl sie noch lange hätten leben können.

Die dortigen Ärzte bewilligten in 17 Prozent der Fälle Sterbehilfe bei nicht lebensbedrohlichen Diagnosen, und die staatliche Krankenversicherung Medicaid schlug einigen Hilfesuchenden statt einer möglichen Chemotherapie sogar vor, den assistierten Suizid zu wählen.

In einer Gesellschaft mit weitgehend privatem Versicherungssystem ist diese Form des „beschleunigten Sterbens“ durchaus ein Argument. Man kann nicht mehr von „Beihilfe“ sprechen, vielmehr muss von einer normalen Dienstleistung die Rede sein. Selbst in den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe erlaubt ist, entbrennt gerade eine neue Diskussion, weil die Zahl der Sterbewilligen rasant ansteigt, ohne dass es dafür medizinische Gründe gibt.

Leben ist eine riskante Angelegenheit, das bestärkt das Bedürfnis nach einem irgendwie geplanten Sterben. Dieses angenommene Verfügungsrecht kommt in Patientenverfügungen zum Ausdruck oder eben im Wunsch nach Sterbehilfe.

Gleichzeitig scheint in ihm die Furcht auf, dass alleine schon die sozialen Kosten für die eigene Abschreibung zu hoch werden könnten und wir deshalb lieber die Selbstzumutung, die ein Suizid bedeutet, auf uns nehmen. Die heutige Entscheidung wird diesen Prozess verzögern oder forcieren. Bei uns aber liegt die Wahl, ob wir lieber das eine oder das andere akzeptieren wollen.

Ulrike Baureithel

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