Schlussbericht im Fall Wirecard: Eine deutsche Selbstbetrugsaffäre
Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Wirecard-Skandal legt seine Bilanz vor. Darin zeigt sich ein Sittenbild unserer Zeit. Ein Kommentar.
Der 25. Juni 2020 wird ein besonderes Datum in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bleiben. An dem Tag vermeldete der Zahlungsdienstleister Wirecard die Insolvenz. Das deutsche Vorzeigeunternehmen, der globale Digitalisierungs-Star, die Börsenrakete – alle Superlative fielen in sich zusammen. Schnell war klar, dass es hier um eine grandiose Betrugsaffäre ging. Und dass diese ohne Versagen oder Wegschauen in der Justiz, bei Aufsichtsbehörden und auch in der Politik nicht möglich gewesen wäre. Die Opposition im Bundestag brachte einen Untersuchungsausschuss auf den Weg. Er war eine parlamentarische Sternstunde dieser Wahlperiode.
Ein Jahr nach der Pleite liegt nun der Abschlussbericht vor, am Freitag debattiert der Bundestag darüber. Dass die Arbeit des Ausschusses in der Politik keinerlei personelle Konsequenzen hatte, kann man als Indiz für übertriebene Erwartungen werten. Immerhin rummste es in den nachgeordneten Ebenen, nicht zuletzt die Spitze der Bafin, der Finanzmarktaufsicht, musste gehen.
Der eigentliche Wert des Ausschusses aber liegt darin, dass in vielen Befragungen von Zeugen eine Art Sittenbild unserer Tage entstanden ist. Ohne den Digitalisierungs-Hype, ohne die Illusion von der schönen, neuen Welt, die uns nach dem globalen Umbau der Wirtschaft erwartet, ohne die Träume von schnellem und dauerhaftem Reichtum an der Börse hätte es die Wirecard-Posse nicht gegeben.
Wo war die Skepsis?
Denn was in Justiz, Verwaltung und Politik (auch bei Anlegern) erkennbar fehlte, war das nötige Maß an Skepsis und Kritikfähigkeit, um auf all die Hinweise zu reagieren, die jahrelang nahelegten, bei Wirecard zumindest mal etwas näher hinzuschauen. Es hat sich im Verlauf der Ausschussarbeit immer mehr der Eindruck aufgedrängt, dass man genau dies auch gar nicht wollte. In der Justiz nicht, die sich regelrecht einspannen ließ und sogar Wirecard-Kritiker verfolgte. Bei den Aufsichtsbehörden nicht, die zunächst als Helfer des Unternehmens erschienen und viel zu spät zu ahnen begannen, was sich da ereignete – wenn überhaupt. Und auch in der Politik gefiel die bayerische Firma zu vielen zu sehr.
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Die Wirecard-Story war eben einfach zu schön, um sich stören zu lassen. Der deutsche Champion sollte im Licht seiner Selbstinszenierung weiter glänzen. Es durfte nicht sein, was nicht sein sollte. Aber die Story war halt auch zu schön, um wahr zu sein. Und so sind politisch Verantwortliche bis hinauf ins Kanzleramt Teil einer Posse geworden, die filmreif ist. Dass man im Bundesfinanzministerium noch in den Tagen der Pleite zumindest erwog, Wirecard mit Staatsgeld zu retten, spricht Bände.
Fundgrube für Historiker
Was der Untersuchungsausschuss ergeben hat, wird eine Fundgrube für Drehbuchautoren sein. Und auch für Historiker, die einmal aufschreiben werden, wie das so war in den Tagen der digitalen Aufregung. Als es genügte, die Fassade eines global erfolgreichen Unternehmens aufzubauen, indem man fern in Asien einige Treuhandkonten führte, auf denen zwar kein Geld lag, es sich aber arrangieren ließ, dass das den Bilanzprüfern nicht auffiel.
Dabei hatten Whistleblower, einige Journalisten (vor allem der „Financial Times“) und gewitzte Shortseller an den Börsen längst den Boden bereitet für den gebotenen nüchternen Blick auf Wirecard. Man sei getäuscht worden, sei Opfer eines Betrugs, hieß es gern aus den betroffenen Ecken. Das mag schon sein. Aber der Fall Wirecard ist auch eine Selbstbetrugsaffäre.
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