SPD-Pleite in Sachsen-Anhalt: Eine Brandmauer zum Schutz des Kanzlerkandidaten
Die Wahl in Sachsen-Anhalt war ein Sonderfall, lautet die Erklärung der SPD-Spitze. Andere sehen das ganz anders: Für Olaf Scholz gibt es einige Lehren.
Wer den beiden SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Tag nach der Wahl zuhört, gewinnt den Eindruck, die SPD habe eigentlich nichts falsch gemacht, sei nur nicht richtig bei den Leuten angekommen. Olaf Scholz ist gar nicht erst zur Pressekonferenz gekommen, die Vorsitzenden bestreiten sie alleine mit der Spitzenkandidatin Sachsen-Anhalt, Katja Pähle. Verbissen versuchen sie, die Landtagswahl als einen Sonderfall darzustellen, der mit dem Bund und dem Wahlkampf ihres Kanzlerkandidaten wenig zu tun habe.
Unter ganz besonderen Bedingungen sei die Landespartei mit ihrer Spitzenkandidatin Pähle dort Opfer der Polarisierung zwischen CDU- Regierungschef Rainer Haseloff und der AfD geworden, heißt ihre Lesart. Es klang, als wollte die SPD-Spitze eine Brandmauer errichten zwischen der Wahl in Sachsen-Anhalt und der kommenden im Bund.
Ex-Parteichef Sigmar Gabriel rät dagegen zur Selbstbefragung: „Wenn Parteien Niederlagen bei Wahlen erhalten, vor allem dann, wenn sie so hart ausfallen, darf man die Gründe nur bei sich selbst suchen und nicht bei anderen“, sagte Gabriel dem Tagesspiegel. Seiner Erfahrung nach sei es „geradezu befreiend, wenn man der Wahrheit ins Auge sieht und sich ernsthaft die Frage stellt, warum die Wählerinnen und Wähler kein Zutrauen mehr fassen“.
Scholz anerkannt, die Vorsitzenden auch intern umstritten
Aber will die SPD das rund drei Monate vor der Bundestagswahl? Früher hätte sie lange debattiert und gestritten, wie es sein kann, dass sie mit 8,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl einfährt.
Wer durch das Land fuhr vor der Wahl, sah SPD-Botschaften, die einer Oppositionspartei glichen, dabei regierte die SPD zusammen mit den Grünen ja mit: „Mit unserer Gesundheit zockt man nicht“, „Chaos an den Schulen beenden“, „Tariflohn bei jedem öffentlichen Auftrag“, „Und jetzt die Zukunft: Junge Ideen statt Alter Rezepte“. Erneut bekam die SPD von Demoskopen rückgespiegelt, dass die meisten Menschen nicht wüssten, wofür sie stehe. Doch paradoxerweise könnte es wegen des CDU-Triumphes jetzt sogar eine Koalition der CDU allein mit dem Wahlverlierer SPD geben, auch ohne Grüne gäbe es eine knappe Mehrheit dafür.
Das mit der Glaubwürdigkeit ist auch Scholz‘ zentrales Problem: Der Bundesfinanzminister hat gerade mit der G7-Einigung auf eine globale Mindestbesteuerung von Konzernen wie Apple und Facebook einen großen Erfolg erzielt, laut Umfragen in Sachsen-Anhalt hat er im Vergleich zu den Konkurrenten Armin Laschet und Annalena Baerbock die höchsten Zustimmungs- und Kompetenzwerte, aber das wirkt sich für die Partei bisher kaum aus, auch wenn die Umfragen im Bund zuletzt etwas besser wurden. Er weiß, dass er die SPD vor die Grünen bringen muss, um eine Chance auf das Kanzleramt zu haben – die Option Rot-Rot-Grün scheint nach dem schlechten Abschneiden der drei Parteien am Sonntag im Bund endgültig Geschichte sein, Scholz dürfte vor allem auf eine Ampel setzen.
Aber der Vizekanzler wird in Verbindung gebracht mit einer Partei, die weit nach links gerückt ist und die Grünen zu kopieren versuchte. Im Flächenland Sachsen-Anhalt wird das Klimathema jenseits der Städte aus einer eigenen Perspektive gesehen. Dort ist ein Auto mit Verbrenner oft die einzige Option, um Kinder zur Schule zu bringen, zur Arbeit zu fahren oder zum Einkaufen.
SPD-Kenner: Zu viel "grün" schadet
Geradezu erschüttert über die Reaktion der Parteispitze ist Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel, Mitglied der SPD-Grundwertekommission: „Wenig Reflexion, ja nicht einmal Nachdenklichkeit“, nimmt er wahr. Die These, die Landtagswahl habe mit dem Bund wenig zu tun, hält er für Unsinn: „Ich befürchte, es verhält sich umgekehrt: Die SPD erhielt für Ihre Arbeit in der Kenia-Koalition in Magdeburg recht gute Noten und trotzdem ein peinigend schlechtes Wahlergebnis.“
Dies sei die Wählerantwort auf das Gesamtbild der SPD. „Man nimmt Programm, Sprache und Habitus als zu grün wahr. Für die traditionellen Wähler aus der unteren Hälfte der Gesellschaft steckt da zu wenig drin.“ Die SPD müsse sich im Wahlkampf deutlich von den Grünen abgrenzen, „sonst erlebt sie auch im Bund ihr blaues Wunder“.
Auf Abgrenzung von den Grünen hatte Scholz zuletzt gesetzt, als er Kanzlerkandidatin Baerbock in der Debatte um einen höheren Spritpreis angriff: „Wer jetzt einfach immer weiter an der Spritpreisschraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind.“ Aber auch diese Reaktion birgt Gefahren, nämlich die, zu überdrehen und sich unglaubwürdig zu machen. Schließlich führen die von der großen Koalition verschärften Klimaziele automatisch schon bald zu einem CO2-Preis, der Sprit um Baerbocks 16 Cent pro Liter verteuern kann.
Solche gefährlichen Widersprüche können dann auch die scharfen Attacken der SPD gegen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wegen angeblich untauglicher Masken für Behinderte und Obdachlose nicht auflösen.
Scholz und die Mobilisierungsreserve
Längst werden in der SPD Planspiele vorangetrieben für die Zeit nach der Bundestagswahl. Einige in den oberen Etagen setzen bereits auf eine Ablösung der beiden Vorsitzenden nach 26. September. Hoch gehandelt wird eine Doppelspitze von Manuela Schwesig mit Lars Klingbeil oder Hubertus Heil. Seit Wochen werden viele Gespräche geführt. In der Opposition würde auch das Amt des Fraktionschefs ein äußerst wichtiger Faktor bei der Neuaufstellung der Partei.
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Dabei hatte das Wochenende für die SPD gut angefangen, bevor am Sonntag um 18 Uhr die ersten Prognosen aus Magdeburg verkündet worden waren. In einer Insa-Umfrage für die "Bild-"Zeitung ließ Olaf Scholz in der Kanzlerfrage sowohl Laschet als auch Baerbock hinter sich. Und das ist auch die große Hoffnung eines Wahlkampfkenners in der SPD, da gebe es nun einmal bestimmte Dynamiken: "Olaf Scholz hat im Moment die größte Mobilisierungsschwäche der drei Kandidaten, aber laut der Persönlichkeitswerte auch die größten Mobilisierungsreserven."