Wolfgang Merkel zum Streit um Wolfgang Thierse: „Das nenne ich unreflektierten Zeitgeist-Opportunismus“
Der Ex-Bundestagspräsident hat seinen Parteiaustritt angeboten, weil er sich von der SPD-Spitze angegriffen fühlt. Die macht Fehler, sagt der Politologe Wolfgang Merkel.
Wolfgang Merkel (69) ist Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwertekommission. Er leitete lange die Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Herr Merkel, eines der zentralen Versprechen des neuen SPD-Wahlprogramms heißt „Respekt“. SPD-Chefin Saskia Esken und Parteivize Kevin Kühnert haben einen Brief an die Arbeitsgruppe SPDqueer geschrieben, wonach sie „beschämt“ darüber seien, dass einige Vertreterinnen oder Vertreter der Partei ein „rückwärtsgewandtes Bild“ der SPD zeichneten. Wolfgang Thierse fühlte sich gemeint und hat seinen Parteiaustritt angeboten. Ist der Umgang von Esken und Kühnert mit Thierse respektvoll?
Die sprachliche Respektlosigkeit von Frau Esken und Kevin Kühnert erinnert an Franz-Josef Strauß` bajuwarischen Superlativ: „Feind, Todfeind, Parteifreund“. Mit keinem einzigen Argument begründen sie ihr unerbetenes Fremdschämen. Das wäre ein Minimum an intellektueller Redlichkeit gewesen. So reißt man Brücken ab, die eine Volkspartei braucht.
Ist Wolfgang Thierse mit den Thesen seines FAZ-Aufsatzes über die Tücken der Identitätspolitik vom 22. Februar für die SPD ein Gewinn oder eine Belastung?
Ein Gewinn. Wer jenseits der aufgeregten Partikulardiskurse aggressiver Minderheitsvertretungen etwas von der aufklärerischen Bedeutung der sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Solidarität versteht, muss den brillanten und respektvollen Aufsatz Thierses als den Versuch lesen, Brücken zu bauen. Thierse hat das Ganze im Blick, seine sich schämenden Kritiker das Kleine, Partikuläre. Das nenne ich unreflektierten Zeitgeistopportunismus. Das passt nicht zu einer Volkspartei.
Hat es für die SPD auch Kosten, wenn sie identitätspolitisch an der Spitze marschieren will, weil andere, etwas konservativere Gruppen von Wählerinnen und Wählern darin eine Missachtung ihrer materiellen oder kulturellen Interessen sehen? So lautet zumindest die These des US-Autors Michael Sandel, auf den sich der Kanzlerkandidat gerne beruft.
Sandel hat recht. Ich bezweifle aber, dass Frau Esken ihn gelesen hat. Die SPD will Volkspartei sein. Dazu gehört die Wahrung von Minderheits- und Mehrheitsinteressen. Das Gleichheitsgebot bietet da Orientierung. Genau so schreibt Thierse. Wenn Frau Esken und Kevin Kühnert das nicht so lesen können, stehen sie quer zu den sozialdemokratischen Traditionen und sind fehl in der Führung einer Partei, die verzweifelt darum kämpft, Volkspartei zu bleiben.
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