Die VW-Krise: Ein Weltreich wankt
Wann ein Haken hinter die Krise von VW gemacht werden kann, ist nicht abzusehen. Und ob der Konzern den Vertrauensverlust überlebt, hängt vor allem von den Kunden ab. Ein Kommentar.
Schon mal erwischt worden? Vielleicht bei einem kleinen Betrug, etwa gegenüber der Versicherung? Oder sogar einer Straftat, womöglich im Umgang mit den Steuern? Regel Nummer eins für alle Ertappten: schnell hoch mit der Weißen Fahne. Die Verfehlung zugeben, Strafe akzeptieren und Besserung geloben. So wie VW. Wie VW?
Der Skandal um die manipulierten Abgaswerte in Dieselfahrzeugen ist auch nach knapp vier Wochen noch für neue Facetten gut, wie jetzt die Rückrufanordnung des Kraftfahrtbundesamtes. Und er wird den Konzern, wird Behörden und Öffentlichkeit, Umweltschützer und Politiker noch Monate beschäftigen; die Legionen von Anwälten nicht zu vergessen. Mit welchem Ergebnis dann irgendwann ein Haken hinter die Krise gemacht werden kann, ist nicht abzusehen. Auch nicht für den neuen Konzernchef Matthias Müller. Der bisherige Porsche-Chef kann Autos bauen, keine Frage. Aber kann er auch Krisenmanagement?
Das größtmögliche Opfer des Abgasbetrugs, nämlich der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, hat der Aufsichtsrat wenige Tage nach dem Bekanntwerden des Skandals geliefert. Das war ebenso unvermeidlich wie die kurz darauf beschlossene neue Struktur des Konzerns, der künftig dezentraler und demokratischer geführt wird. Wenn es stimmt, dass Winterkorn nichts gewusst hat von der Manipulation des Motors der Baureihe EA 189, dann ist das nur erklärbar mit dem unter Ferdinand Piëch in den 1990er Jahren entstandenen Herrschaftssystem. Widerstand zwecklos, Widerworte tödlich. So wäre es plausibel, dass die unteren Chargen den Befehl empfangen haben, einen Diesel auf dem US-Markt zu ganz bestimmten Kosten und Margen einzuführen. Mit welchen Mitteln auch immer. Über Tricksereien oder sogar Betrug wollten die großen Bosse nicht informiert werden.
Die Frage, wer was wann wusste, werden die Ermittler der US-Kanzlei Jones Day beantworten. Hoffentlich so schnell wie möglich, denn in der Gerüchteküche ist Hochbetrieb. Alle möglichen mehr oder weniger sachkundigen Bescheidwisser jonglieren mit Verdächtigungen und irren Schadensersatzsummen. Dabei scheint es keine Grenze nach oben zu geben, und deshalb rückt auch die größte Frage wieder in den Vordergrund: Schafft Volkswagen das alles?
Sicher. Dazu müssen aber die richtigen Leute auf den Schlüsselpositionen sitzen. Die Hauptaufklärer sind jetzt Vorstandschef Müller und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch. Wenn diese beiden über den Betrug im Bilde gewesen sein sollten, wäre das ein verheerender Rückschlag. Jones Day wird hoffentlich bald mitteilen, dass dieses Duo sauber ist und damit legitimiert zur Krisenbewältigung. Die erforderlichen Milliarden sind von den Aktionären (weniger Dividende) und Mitarbeitern (weniger Boni), vom Gemeinwesen (weniger Steuern) und den Lieferanten (weniger Investitionen) aufzubringen. Wenn es nicht reicht, gibt es noch die Möglichkeit, das Beteiligungsportfolio anzufassen: Zum Volkswagen-Konzern gehören zwölf Marken, darunter sehr wertvolle wie Audi oder Porsche, aber auch Bentley, Bugatti oder Lamborghini. Die eine oder andere Marke kann man zu Geld machen. Das wäre indes das Ende des Weltreichs der Herren Piëch/Winterkorn.
Was tatsächlich passiert in den kommenden Monaten und Jahren, hängt nicht allein von Behörden und Gerichten ab, sondern auch von den Kunden. Kaufen die noch Diesel, weil sich an den wirtschaftlichen Argumenten für den Antrieb - relativ niedriger Verbrauch und günstiger Kraftstoff – nichts geändert hat? Oder überträgt sich der enorme Vertrauensverlust auf alle Marken und Modelle, weil man dem Konzern und seinen 600 000 Mitarbeitern nicht mehr traut? Das wäre ebenso bitter wie irrational. Denn die Autos aus den 119 Fabriken des Konzerns sind ja nicht wegen Betrugs in vielen Marktsegmenten und großen Teilen der Welt so beliebt. Volkswagen baut gute Fahrzeuge – das darf bei aller Empörung über den Betrug nicht vergessen werden.
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