Bundespräsident über AfD-Äußerungen: "Ein Tiefpunkt in der politischen Auseinandersetzung"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reagiert auf rassistische Angriffe führender AfD-Politiker. Ohne diese konkret zu benennen, sprach er von "geistiger Brandstiftung".
- Antje Sirleschtov
- Stephan Haselberger
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich in die laufende Debatte um rassistische Äußerungen führender AfD-Politiker eingeschaltet. Deutschland erlebe derzeit „einen Tiefpunkt in der politischen Auseinandersetzung“, sagte das Staatsoberhaupt dem Berliner „Tagesspiegel“ (Freitagsausgabe), ohne die rechtspopulistische Partei direkt zu nennen. „Deutschlands dunkelstes Kapitel der Geschichte begann, als Deutsche zu Nicht-Deutschen erklärt wurden, ihnen Bürgerrechte und Staatsangehörigkeit entzogen und sie zur Ausreise getrieben wurden“, sagte Steinmeier. „Wer heute die Ideen und die menschenverachtende Sprache von damals im Wahlkampf benutzt, vergiftet das Klima in unserem Land. Wer das auch noch wiederholt, macht sich zum geistigen Brandstifter.“
Der Bundespräsident reagierte damit auf wiederholte Angriffe führender AfD-Politiker auf die türkischstämmige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz. Die SPD-Politikerin hatte im Mai in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ geschrieben, eine spezifisch deutsche Kultur sei „jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar“. Daraufhin hatte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland auf einer Wahlveranstaltung in Thüringen gefordert, Özoguz „in Anatolien zu entsorgen“. Nach heftiger Kritik erklärte Gauland, der Begriff „entsorgen“ sei „wohl zu hart“ gewesen. Wer sich aber äußere wie Özoguz, gehöre nicht nach Deutschland. Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel bezeichnete Gaulands Wortwahl als „Geschmackssache“, schloss sich der Aussage ihres Parteifreundes aber an. Özoguz gehöre „besser in die Türkei“.
Die Angriffe der AfD-Spitze auf Staatsministerin Özoguz waren parteiübergreifend auf entschiedenen Widerspruch gestoßen. Im Namen der gesamten Bundesregierung verurteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Gaulands Äußerungen als „rassistisch“. Die AfD wolle politische Gegner systematisch verunglimpfen, sagte Merkel bereits zum Wochenbeginn. „Der Versuch, es immer wieder nach demselben Muster zu machen – erst die Provokation, dann ein kleiner Rückzieher –, der spricht für sich und zeigt, wessen Geistes Kind die Autoren solcher Schmähungen sind.“
Der ehemalige Strafrichter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer hat mittlerweile gegen den AfD-Spitzenkandidaten Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet, da Gauland zu Willkürmaßnahmen gegen Türkischstämmige aufrufe. Zudem habe er den darin enthaltenen Tatbestand der „Verletzung der Menschenwürde durch Beschimpfen und böswilliges Verächtlichmachen“ erfüllt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft im thüringischen Mühlhausen liegen neben der Anzeige Fischers „eine Vielzahl“ weiterer Anzeigen in dieser Sache vor. Die Staatsanwaltschaft prüfe den Sachverhalt auch aus eigener Initiative.
Dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend zufolge kann die rechtspopulistische AfD auf elf Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl am 24. September hoffen. Damit würde sie erstmals in den Bundestag einziehen – als drittstärkste Kraft.