Maaßen und die Hetzjagd: Ein Politiker, der keiner ist
Jedem Denkenden steht es jederzeit frei, sich wieder in den Griff zu kriegen. Maaßen wird dazu Gelegenheit bekommen. Ein Kommentar.
Nach der Eskalation auf der Straße folgt die der Worte. War es eine „Hetzjagd“, die in Chemnitz stattgefunden hat? Tobte der „Mob“ auf den Straßen, gab es „Pogrome“? Die nur kurz sprachlos machende Scham über Unerträgliches – eine mutmaßlich vorsätzliche Tötung mit entfesselter Rechtsdemo im Anschluss – war unverzüglich einem lautstarken Deutungskampf gewichen. Alles plötzlich doch nicht so schlimm? Politikerstatements, Videoschnipsel, Zeugen- und Medienberichte verdichten sich zu einem Szenario, das langsam ähnliche Eindrücke erweckt wie der Vorfall selbst: Hier gerät etwas außer Kontrolle.
Angesichts dieser erhitzten Umstände kommentiert sich der Auftritt des Verfassungsschutz-Präsidenten via Volksblatt „Bild“ weitenteils von selbst. Er befeuert die Wortschlacht mit der nur scheinbar harmlos-neutralen Einlassung, für Hetzjagden lägen ihm „keine Informationen“ vor. Damit amtlich beglaubigt: Die Kanzlerin, die so davon gesprochen hatte, lügt. Oder ist auch nur ein linker Gutmensch, der es nicht besser weiß.
Es ist jedoch nicht nur diese kaum bemäntelte politische Kriegserklärung, die andeutet, dass sich der aktuell wieder besonders umstrittene Spitzenbeamte in einer Art finalen Phase befindet. Es sind Formulierungen wie jene, in denen er von seiner „Skepsis gegenüber Medienberichten“ erzählt – was an dieser Stelle unnötig war –, die ihn vor großem Publikum aber als einen ausweisen, der anders als die ewige Lügenpresse nichts als die Wahrheit zu sagen pflegt. Und es ist seine unerklärt vorgenommene Einordnung der allem zugrunde liegenden Tat als „Mord“, während die Ermittlungen offiziell wegen Totschlagverdachts laufen. Maaßen, der die Unterschiede sehr gut kennt, fordert hier Lebenslang für die Messerstecher. Eine vollendete Vorverurteilung aus hoher amtlicher Warte. Wenn ihm seine Pflichten egal geworden sind – sein Anstand ist es ihm wohl auch.
Maaßen als Politiker
Hans-Georg Maaßen wäre nicht der erste Geheimdienstchef, der sich mit zunehmender Amtszeit als Politiker verortet. Seine einschließlich AfD knapp 200 Politiker-Visiten, deren tieferer Sinn weiterhin schwer zu enträtseln bleibt, hat er womöglich nicht als Last empfunden. Ähnlich bedeutungsspendend dürfte ihm der vielstimmige Chor erklungen sein, der von seinem Amt eine Beobachtung der AfD verlangt, als entscheide sich daran deren politisches Schicksal. Und nicht zuletzt ist es die Herrschaft über Information und Nicht-Information, die ihm offenkundig allzu viel Freude bereitet. Man sieht es an seinem Geraune, dass er die Bilder von Chemnitz für Fälschungen hält, freilich ohne näher darzulegen, woraus er seine Erkenntnis schöpft.
Muss so einer „weg“, wie es in einer sich Bahn brechenden politischen Umgangssprache heißt? Jedem Denkenden steht es jederzeit frei, sich wieder in den Griff zu kriegen. Maaßen wird dazu Gelegenheit bekommen. Das eigentliche Drama ist, dass alle in Gräben springen, um sich ernsthaft zu bekriegen, ob einer drei Schritte oder dreißig rennen muss, damit seine Flucht den Namen Hetzjagd verdient. Maaßens Gerede ist daher nur ein Symptom für die krankhaft gewordene Leichtfertigkeit, mit der Politiker ihre Worte wählen. Und das gilt, mit Einschränkungen, möglicherweise auch für eine Kanzlerin, die Parolen übernimmt statt zu einer eigenen Sprache zu finden, mit der ebenfalls alles hätte gesagt werden können, was hier zu sagen war.