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Am Mittwoch wird Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.
© Leah Millis/REUTERS

Biden hat viele Sorgen zu lindern: Ein neuer Präsident an der Spitze der USA – aber auch eine neue Zeit?

Trump hat den Rassismus seiner Anhängern gepflegt und gefüttert. Das macht es Biden nicht leicht, die USA zu vereinen. Doch es besteht Hoffnung. Ein Essay.

Ein Essay von Anna Sauerbrey

Am Mittwochvormittag amerikanischer Zeit hat Donald Trump das Weiße Haus verlassen. Die Air Force One brachte ihn nach Florida, wo er auf seinem Anwesen Mar-a-Lago leben will. Am Mittwochmittag wurde Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt, Kamala Harris als seine Vizepräsidentin. Ein neues Team an der Spitze der Vereinigten Staaten – aber auch eine neue Zeit? Fest steht, der Trumpismus wird bleiben.

Zwischen der Wahl am 3. November und dem Tag der Amtseinführung lagen quälende Wochen. Alles, was Trumps Präsidentschaft ausgemacht hatte, verdichtete und beschleunigte sich: Zappelnd und zuckend versuchte der Narzisst, sich der Realität seiner Wahlniederlage zu entwinden. Er schickte eine Armee von Anwälten los, um Amerika sein Narrativ von der „gestohlenen Wahl“ mit juristischen Mitteln aufzuzwingen.

Als die Realität auch noch der bizarrsten Zeugenaussage und dem dritten Nachzählen Stand hielt, rief er seine Anhänger dazu auf, „wild“ zu werden. Am 6. Januar stürmten sie das Kapitol.

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Es war ein Coupversuch, doch er war nicht nur auf den Machterhalt gerichtet. Er richtete sich gegen die Wahrheit. Trump wollte die Realität stürzen und sie durch „alternative Fakten“ ersetzen: durch Lügen.

Trumps Coupversuch war auch der Versuch, die Wahrheit zu stürzen

Der Populismus ist als der Versuch beschrieben worden, einem von einer vermeintlichen, elitären Minderheit unterdrückten „wahren Volk“ zu politischer Macht zu verhelfen. Die Geschichte von der gestohlenen Wahl, aber auch Verschwörungstheorien wie der QAnon-Kult sind letztlich nur Varianten der Erzählung, die „wahre Mehrheit“ werde unterjocht.

Bilder, die in die Geschichte eingehen: Unterstützer des abgewählten US-Präsidenten Trump stürmen am 6. Januar das Kapitol.
Bilder, die in die Geschichte eingehen: Unterstützer des abgewählten US-Präsidenten Trump stürmen am 6. Januar das Kapitol.
© AFP/Saul Loeb

Der politische Populismus in Europa und den USA hat dieses Narrativ aber oft mit echten politischen Problemen verbunden: mit den Herausforderungen, die Migration und Integration mit sich bringen, mit Armut und Ungleichheit. Der Trumpismus hingegen hat sich während Trumps Amtszeit fast vollständig von echten politischen Problemen entkoppelt.

Weiße Männer ohne Collegeabschluss brachten Trump an die Macht

Als er 2016 an die Macht kam, wurde Trumps Wahlsieg vor allem einer Gruppe zugeschrieben: Weiße Männer, häufig ohne College-Abschluss, häufig aus ländlichen Gebieten, die sich jahrelang politisch nicht beteiligt hatten, waren plötzlich zur Wahl gegangen. Sie wollten sich Gehör verschaffen und fanden es.

Selbstkritisch gestanden sich viele liberale Politiker ein, dass sie diesen Menschen und den Regionen, in denen sie lebten, nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hatten, dass man im Zuge der Globalisierung deindustrialisierte oder von Armut bedrohte Gebiete zu lange sich selbst überlassen hatte.

In vielen, gerade ländlichen Wahlkreisen änderten Demokrat:innen daraufhin ihre Sprache und Politik, mit Erfolg. Bei den Kongresswahlen 2018 gewannen sie mit „blue collar“-Botschaften Sitze im Abgeordnetenhaus.

Trumps Populismus entwickelte sich zu einem Kult

Doch unter dem anschwellenden Strom lügnerischer Tweets und dem Beat der Dauerpropaganda rechter Lautsprecher in den Medien verloren die echten Sorgen und Nöte für Trumps Populismus an politischer Bedeutung. Immer mehr wurde der Präsident selbst zum Zentrum eines politisches Kultes.

Donald Trump lässt sich gern feiern (hier auf einer Wahlkampfveranstaltung in Tulsa im Sommer 2020).
Donald Trump lässt sich gern feiern (hier auf einer Wahlkampfveranstaltung in Tulsa im Sommer 2020).
© dpa/Evan Vucci

Die Russlandaffäre wurde als Versuch gesehen, ihn zu entmachten – und damit seine Anhänger. Seinen Höhepunkt fand das in der Geschichte von der verlorenen Wahl und dem Sturm auf das Kapitol: Trumps Anhänger kämpfen nur noch für das Fantasma, die Mehrheit zu sein. Der Populismus ist zum Trumpismus mutiert.

Die Angst seiner Anhänger ist durchdrungen von Rassismus

Möglich war das auch, weil Trumps Erfolg sich von Anfang an eben nicht nur aus der Wut Globalisierungsverlierer speiste. Die Angst, die viele seiner Anhänger eint, ist auch die Angst der Weißen davor, eine Minderheit zu werden, sowohl kulturell (unter ultrakonservativen Christen) also auch demografisch.

Ihre Angst ist durchdrungen von rassistischen Ressentiments. Die hat Trump gepflegt und gefüttert. Er hat Rechtsextreme als „gute Leute“ bezeichnet, Abgeordneten mit dunkler Hautfarbe nahegelegt, sie mögen „in ihre Länder“ zurückgehen und die Black-Lives-Matter-Proteste zu einem Angriff auf die (weiße) Ordnung amerikanischer Vororte stilisiert. Der Sturm auf das Kapitol war auch der Coupversuch von Weißen, die drohen, ihre politische Macht zu verlieren.

Seit Jahrzehnten versuchen Republikaner, Minderheiten an der Wahl zu hindern

Trump hat damit die jahrzehntelange Entwicklung der Republikaner zur Partei der Weißen auf die Spitze getrieben, wie Stuart Stevens, ein ehemaliger republikanischer TopStratege, sie in seinem Buch „It Was All a Lie“ beschreibt. Die Republikaner haben es sich zur Aufgabe gemacht, trotz veränderter demografischer Realitäten die politische Macht weißer Wähler zu erhalten, etwa, indem sie es erschwerten, sich für die Wahl zu registrieren oder per Brief zu wählen – was zu einer geringeren Wahlbeteiligung unter People of Color führt.

Auch Trump wollte die Briefwahl juristisch unterbinden und hat sogar die Post boykottiert. Doch die Methode ist ausgereizt, wie der Wahlsieg der Demokraten in Georgia zeigt. Der Coupversuch wurde zum letzten Mittel des „wahren“ weißen Volkes.

Joe Biden wird das diverseste Kabinett in der amerikanischen Geschichte bilden

Joe Biden wird nun das diverseste Kabinett der amerikanischen Geschichte bilden. Die amerikanische Realität hat gesiegt, sie erhält ein Abbild in Washington. Doch der Umsturz ist gleichzeitig gelungen: Der Trumpismus hat nicht die politische Macht errungen, aber er hat einen großen Anteil der Wähler von der Realität entfremdet. Kann Biden die Anhänger eines Kultes vom Fantasma lösen?

Es gibt kein politisches Angebot, mit dem Biden die rassistischen Ängste der Trumpisten lindern könnte. Er kann ihre Realität nicht anerkennen. Er kann aber ihre realweltlichen Sorgen und Nöte lindern, in der Hoffnung, so mittelbar den Bann des Kultes zu brechen. Insofern ist – so pervers das klingen mag – die Pandemie eine riesige Chance. Denn kaum eine Wahrheit zwingt sich den Menschen mit so großer Brutalität auf wie das Coronavirus.

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Es ist Trump selbst, der seinen Anhänger diese Realität durch das Missmanagement der Pandemie erst aufgebürdet hat: das Erkranken und Sterben im engsten Umfeld, gerade da, wo „Skeptiker“ leben und keine Masken tragen. Je stärker diese Realität geleugnet wird, desto härter schlägt sie zu. Sie ist deshalb auch eine Chance, zu beweisen, was konkrete Politik bewirken kann.

Joe Biden will als erstes ein 1,9 Billionen schweres Coronahilfspaket verabschieden lassen. Es enthält Wirtschafts- und Sozialhilfen und Geld für eine Impfkampagne.

50 Millionen Amerikaner sollen in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit geimpft werden. 50 Millionen Kontakte mit konkreter Politik. Es ist auch eine Chance, vor Ort zu wirken: Die Regierung stellt das Geld zu Verfügung, handeln werden Bürgermeister und Gouverneure, keine abstrakte „Elite“ weit weg in Washington. Es besteht noch Hoffnung für die Realität.

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