zum Hauptinhalt
Polizisten begleiten in Hannover den Demonstrationszug des Bündnisses "#noNPOG" gegen das neue niedersächsische Polizeigesetz.
© Swen Pförtner/dpa

Polizeigesetz für alle Bundesländer: Ein Mustergesetz ohne Wert

Eine Arbeitsgruppe entwirft ein einheitliches Polizeigesetz für alle Bundesländer - doch die Chancen, dass es umgesetzt wird, erscheinen gering.

Von Ronja Ringelstein

Geplant ist es schon lange, ob es tatsächlich umgesetzt wird, weiß keiner: das Musterpolizeigesetz. Nach Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) im vergangenen Jahr soll eine Arbeitsgruppe ein gemeinsames Polizeigesetz für alle Bundesländer entwerfen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht: „Wir wollen keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit in Deutschland.“ Denn was der Polizei in Hessen erlaubt ist, muss nicht auch für die Beamten in Bremen gelten. Häufig heißt es, die 16 verschiedenen Gesetze der Länder sowie das BKA-Gesetz des Bundes seien ein „Flickenteppich“. Nun sollen die Länder die Befugnisse der Polizeien angleichen. Allein, die Umsetzung ist schwer. Und so richtig will kaum jemand glauben, dass sie gelingt.

Das Grundgesetz bestimmt, dass Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht Sache der Länder ist. Das neue Muster würde also schlicht als Vorlage dienen, sich den Regeln anzupassen, bindend wäre es nicht. Ähnliches hatte die Innenministerkonferenz schon 1974 einmal beschlossen – als Antwort auf den RAF-Terror.

Den diesjährigen Vorsitz der Innenministerkonferenz hat Sachsen-Anhalt. Der dortige Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagte dem Tagesspiegel, sein Verständnis ende da, wo Gefahren nicht mehr bekämpft werden können, weil es unterschiedliche Zuständigkeiten oder Normierungen gebe. „Deshalb brauchen wir ein gemeinsames stabiles Fundament.“

Wann der Entwurf vorliegt, ist unklar. Polizeirechtsexperten aus jedem Bundesland, dem Bund sowie der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster sind mit der Erarbeitung des Musterentwurfes befasst. Laut Knud Dietrich, dem Leiter der Geschäftsstelle des Projekts Musterpolizeigesetz an der DHPol, arbeiten die Experten in einer gemeinsamen sowie in mehreren Unterarbeitsgruppen. Auch er nannte kein Datum. Doch Holger Stahlknecht warnt vor Schnellschüssen, „frei nach dem Motto: Wir nehmen das Polizeigesetz eines Landes mit den meisten Eingriffsmaßnahmen als Blaupause und tauschen nur die Überschrift gegen Musterpolizeigesetz aus.“

Tatsächlich befürchten viele, dass Bayerns neues Polizeiaufgabengesetz (PAG), das schärfste aller Polizeigesetze, als Vorlage für den länderübergreifenden Musterentwurf dienen soll. In einer Sitzung des Innenausschusses im April habe Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Nachfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke), ob sich das Musterpolizeigesetz an der Novelle des bayerischen PAG orientieren solle „klar bejaht“, wie Renner damals der „taz“ berichtete. Sollte der Musterentwurf tatsächlich so weit reichen, erscheint die Umsetzung durch andere Bundesländer noch unwahrscheinlicher, zumal in Bundesländern wie dem Rot-Rot-Grün regierten Thüringen oder Berlin. Auch Bundestagsabgeordnete halten das Bayerische PAG für verfassungswidrig. Am Montag hatten die Fraktionsvorsitzenden von FPD, Linken und Grünen bekannt gegeben, dass sie mit einem Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetzes überprüfen lassen wollen. Auf Anfrage des Tagesspiegels sagte das Bundesinnenministerium nun: „Eine Orientierung am bayerischen PAG ist dem BMI nicht bekannt.“

Bayern hat einen umstrittenen unbestimmten Rechtsbegriff

Für Irene Mihalic, Mitglied der Grünen-Fraktion im Bundestag, bedeutet das keine Entwarnung: „Es bleibt weiterhin zu befürchten, dass ein Musterpolizeigesetz dazu missbraucht werden soll, um bundesweit extrem weitreichende Verschärfungen an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit einzuführen.“ Grundsätzlich findet Mihalic die Idee einer Angleichung der Polizeigesetze sinnvoll. Jedoch hält sie eine Einigung für unrealistisch, während die Gesetze in den Ländern gleichzeitig auseinanderdriften. „Fraglich bleibt natürlich, welche Bundesländer ein etwaiges neues Musterpolizeigesetz umsetzen werden und vor allem wie“, sagte Mihalic, „es ist leider kaum vorstellbar, dass Bayern sich dann wieder von der ,drohenden Gefahr’ verabschieden würde, wenn dies nicht in einem Musterpolizeigesetz enthalten sein sollte.“

Bayern hat mit der „drohenden Gefahr“ einen höchst umstrittenen unbestimmten Rechtsbegriff in die Novelle seines Polizeigesetzes geschrieben. Bisher erlaubt das Polizeirecht den Einsatz von Zwangsmitteln durch die Polizei nur, wenn eine konkrete Gefahr besteht. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das Anfang August veröffentlicht wurde, hatte sich mit der Frage, ob das Bayerische PAG als Muster für alle Ländergesetze in Frage käme, auseinandergesetzt. Es war zu dem Schluss gekommen, dass die Aufnahme des Begriffs der „drohenden Gefahr“ eine deutliche Ausweitung der polizeilichen Befugnisse schaffe, die über die Bekämpfung von Terrorismus hinausgehe.

Nicht zuletzt deshalb erscheinen die Erfolgschancen für ein Mustergesetz als nicht hoch. Wie die meisten Bundesländer bastelt auch Berlin derzeit an einer Novellierung des eigenen Polizeirechts. Bis etwa Herbst 2019 will Innensenator Andreas Geisel (SPD) dem Berliner Abgeordnetenhaus einen neuen Entwurf für das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) vorlegen. „Jeder Innenminister eines Bundeslandes wird wohl sicher sagen: Wenn die Basis für das Musterpolizeigesetz mein Polizeigesetz ist, können wir uns sofort einigen“, sagte Geisel dem Tagesspiegel. Gerade da die Länder derzeit an den Novellen arbeiten, sei eine erneute Anpassung, nachdem ein Musterentwurf veröffentlicht wurde, unwahrscheinlich. Geisel hält die Diskussion für sehr theoretisch. „Nachdem Bayern mit seinem Polizeigesetz vorgeprescht ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Musterpolizeigesetz bekommen, nicht gerade gewachsen“, sagte Geisel. „Die bayerischen Regeln gehen so sehr an die Grenzen des Rechtsstaats, dass ich mir das für Berlin nicht vorstellen kann.“

So leicht will Uli Grötsch (SPD) die Hoffnung nicht aufgeben. Grötsch ist Innenpolitiker im Bundestag und Generalsekretär der Bayern-SPD. Notwendig sei es, die Diskussionen mit einem „kühlen Kopf“ zu führen. „Wer ernsthaft Interesse hat, ein Musterpolizeigesetz durch den Bundestag zu bringen, der legt einen Entwurf vor, der für alle gangbar ist“, sagt Grötsch. „Es kann nicht sein, dass sich die ganze Nation nach den Bedürfnissen der CSU in Bayern richtet. Da erwarte ich von der CSU, dass die sich da auch bewegt." Am Ende wird es einen Kompromiss geben müssen. Sonst wird das Mustergesetz bleiben, was es ist: nicht mehr als ein Entwurf.

Zur Startseite