Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel: Ein Mann erfindet sich neu
Leicht ist es ihm nicht gefallen, für Martin Schulz zu verzichten. Doch inzwischen ist Sigmar Gabriel angekommen im Auswärtigen Amt.
So wird es kommen: Erst werden die Delegierten des SPD-Parteitags Sigmar Gabriel feiern, danach ihren Hoffnungsträger Martin Schulz. Der Respekt, den die Genossen ihrem scheidenden Vorsitzenden zollen, wird nicht geheuchelt sein. Sie werden es ernst meinen. Bei der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur die eigene Person und eigene Ambitionen zurückzustellen, um etwas Größeres, Wichtigeres möglich zu machen, ist eine Leistung, die nur Wenige in der Politik fertigbringen. Und in mehr als sieben Jahren als Parteichef hat Gabriel eine verzagte, zunehmend verunsicherte Partei zusammengehalten und alle Voraussetzungen geschaffen, damit der andere Kandidat nun Erfolge einfahren kann. Ohne das Fundament, das Gabriel gelegt hat, würde die Republik nur lächeln über einen Sozialdemokraten, der Anspruch auf die Führung des Kanzleramts erhebt. Auch ein angeblicher Messias braucht einen stabilen Unterbau.
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass es viele Genossen als Erlösung empfanden, als Gabriel Platz machte. Vieles kam zusammen: Die Angst, mit ihm unter die 20 Prozent zu rutschen; der Überdruss an seinen Kapriolen; die persönlichen Verletzung auch jener, die mit ihm lange große Hoffnungen verbanden. Für welche Richtung er in der Partei stand, wechselte über die Jahre: Er startete auf dem Leipziger Parteitag als Erneuerer sozialer Gerechtigkeit, versuchte als Wirtschaftsminister dann, seiner Partei ökonomische Kompetenz zu erobern und damit die politische Mitte zu beeindrucken. Nachdem der Berliner Parteitag ihn Ende 2015 abgestraft hatte, drohte er erst, die Mitte-Linie durchzuziehen, um das Versprechen dann zu kassieren und links einzuschwenken.
Nun hat er eine andere Aufgabe – und die scheint ihm zu liegen. Der SPD-Politiker, der an der Spitze der Partei mit ständig neuen Ideen, Kurswechseln und vollmundigen Versprechungen ohne Folgen immer wieder auch die gutmütigsten Mitstreiter zur Verzweiflung gebracht hatte, beweist als Außenminister bisher eine Stetigkeit, die ihm viele gar nicht zugetraut haben. Fast scheint es, als sei er inzwischen nicht nur einige Pfund Gewicht, sondern auch andere Belastungen losgeworden. Zwar ist noch offen, ob der ausgewiesene Instinktpolitiker Gabriel in der heißen Wahlkampfphase der Versuchung widerstehen wird, an die Friedenssehnsucht der Deutschen und speziell der SPD zu appellieren – und sei es auf Kosten der Regierungslinie oder bisheriger Festlegungen.
Aber ausgerechnet auf seiner Reise nach Moskau hat er gezeigt, dass er für Verständigung und Ausgleich werben kann, ohne dabei gemeinsame EU-Positionen aufzugeben. Jüngst hielt der Außenminister eine Rede über Egon Bahr, bei der das Nicht-Gesagte das Bemerkenswerteste war: Der SPD-Minister pries die Bahr’sche Ostpolitik eben nicht als platte Modell für den Umgang mit Russland. Sozialdemokraten, die an die Übertragbarkeit glauben, übersehen, dass die Politik der Sowjetunion mit dem aggressiven Ausgreifen von Wladimir Putin kaum vergleichbar ist.
Der Imagewandel, den Gabriel als SPD-Chef und Wirtschaftsminister nie hinbekommen hatte, nun scheint er ihm zu gelingen. Dabei geht es nicht nur um Stolz und Anerkennung, sondern auch um Machtpolitik: Wer die Rolle des Außenministers überzeugend ausfüllt, wird von den Deutschen geachtet und gemocht. Und der persönliche Zuspruch, den ein Politiker genießt, ist eine harte Währung, wenn es dann nach der Bundestagswahl um die Verteilung wichtiger Posten geht.
Gabriels Freund Martin Schulz macht vieles anders als sein Vorgänger an der Parteispitze. Dabei geht es nicht nur um Stil und Umgang, sondern auch um zentrale Fragen wie etwa den Umgang mit Flüchtlingen. Gabriel hatte beides versucht – an die Solidarität der Genossen für Schutzsuchenden zu appellieren und gleichzeitig Verständnis für Ängste vor Überfremdung und wirtschaftlicher Benachteiligung zu zeigen. Der Versuch, die Verunsicherten zu beruhigen, verstörte viele Funktionäre, die sich als bessere Deutsche verstehen.
Der Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen anderen Ansatz: Er geht auf viele Ängste der Deutschen ein: davor, Beruf, Kindererziehung und Pflege gleichzeitig schaffen zu müssen, davor, keine bezahlbare Wohnung zu finden, davor, arbeitslos zu werden. Die Befürchtungen im Zusammenhang mit Flüchtlingen hingegen spielen in seinen Reden kaum eine Rolle. Seine Botschaft ist klarer und reißt die Partei mit. Ob sich jener Teil der SPD-Wählerschaft, der konservativer geprägt ist und innere Sicherheit für ein wichtiges Thema hält, allein von Schulzens Entschiedenheit und Dynamik überzeugen lässt, ist eine offene Frage. Als Angreifer von außen scheint er auch einige AfD-Wähler zu überzeugen, die sich abgehängt fühlen. Der Positionswechsel im Umgang mit Zuwanderung hat übrigens Folgen: Nun blockieren SPD-Ministerien ein Gesetz zur Einschränkung des Kindergelds für EU-Ausländer, das Gabriel einst selbst in Auftrag gegeben hatte.
Der Parteitag wird beide feiern. Den einen für das, was er geleistet hat. Den anderen für das, was er verspricht.