Otto von Bismarck: Ein Mann des Jahres?
Vor 200 Jahren wurde Otto von Bismarck geboren. Steht nun der nächste Gedenk-Hype an? Oder sieht man den Reichskanzler heute in Deutschland etwas nüchterner als einst?
Natürlich bekommt er seine Sonderbriefmarke. Es wird auch die eine oder andere Ausstellung geben, zweifellos ein paar Features im Fernsehen mit nachgespielten Szenen, und am 200. Jahrestag seines Geburtstags am 1. April einen Festakt im Deutschen Historischen Museum. Mit Präsidial- und Regierungsreden. Otto von Bismarck ist ja nicht vergessen. Aber wie es scheint, wird das Gedenken an ihn nicht ganz so üppig ausfallen wie an den Ersten Weltkrieg im abgelaufenen Jahr. Bisher weiß man nur von zwei neuen Biographien, eher wenig angesichts der Neigung der Verlage, jeden Jahrestag mit einigermaßen einträglich klingendem Titel zu nutzen (man denke an die Bücherflut unlängst zur Varus-Schlacht).
Ein Auslaufmodell?
Otto von B., ein historisches Auslaufmodell also? Er sei gespannt und lasse sich überraschen, sagt der Historiker Ulrich Lappenküper, der die Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh leitet. Anfang 2014 habe man auch nicht abgesehen, wie groß der „Hype“ um den Kriegsbeginn hundert Jahre zuvor dann wurde. Was ein Hype ist, hat Bismarck schon zu Lebzeiten gemerkt (und genossen). Nach seinem Tod nahm die Verehrung die Züge einer Götterverherrlichung an. Obwohl nüchterne Zeitgenossen schon bei seinem Abgang als Reichskanzler meinten, dass der Mann sich politisch selbst überlebt habe und es Zeit gewesen sei, dass er gehe. Die in ihrer herrschenden Mehrheit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein national bis nationalistisch gefärbte deutsche Geschichtsschreibung hat dann ein Bild von ihm gezeichnet, von dem sich Deutschland bis heute nicht ganz erholt hat. „Dieses Dasein war so groß, in sich so gewaltig, für sein Volk so umfassend bedeutungsreich, dass an ihm alles, soweit es nur Leben hat, historisch wertvoll ist.“ Der Satz von Erich Marcks, einer professoralen Größe zwischen Kaiserzeit und Drittem Reich, macht deutlich, wie nahe am Kitsch man damals schrieb. Nach dem Tod des zum Nationalgiganten umgedeuteten Erzpreußen wurde ganz Deutschland, selbst Bayern, mit steinernen Ungetümen überzogen, die man Bismarckturm nannte – am beliebtesten war das Standardmodell namens Götterdämmerung.
Ohne Glorienschein
Erst nach 1945, also am Ende jener gut siebzig Jahre währenden Epoche großpreußisch-deutschnationaler Machtausbreitung, die mit Bismarcks Kriegen begann, hat man wirklich versucht, dem „Reichsgründer“ seinen Glorienschein zu nehmen. Blut und Eisen waren jetzt nicht mehr ganz so nach dem Geschmack der Deutschen. Die hetzerischen Züge in Bismarcks Politik (gegen Sozialisten, Katholiken, Linksliberale, Juden, überhaupt alle Reichsfeinde), die Neigung zum Manipulieren, zum Täuschen und Belügen (auch seiner selbst) wurden nun klarer herausgestrichen. Des Reichskanzlers Agieren an einer parlamentarischen Öffentlichkeit vorbei passte vielleicht noch zur Adenauer-Ära, aber dann wurde Bismarck langsam peinlich als nationale Größe. Das allgemeine Männerwahlrecht im Reich war zu wenig, ihn zum Ahnherrn demokratischer Verhältnisse zu machen. Den Freunden des Etatismus rechts wie links blieben immerhin seine Sozialgesetze. Spätestens mit Lothars Galls Biographie von 1981 setzte eine „Normalisierung im Sinne einer Historisierung“ ein, wie Lappenküper es formuliert. „Der Bismarck-Mythos greift nicht mehr.“ Das ist ganz gut so.
Eine Ironie der Geschichte
Es gibt da übrigens eine Ironie in dieser Geschichte. 2015 jährt sich auch die Gründung des Deutschen Bundes zum zweihundertsten Mal. Jenes Gebildes, das Bismarck an vorderster Front (nun ja, als politischer Architekt der dazu gedachten Feldzüge) zu zerschlagen trachtete, um Preußens Macht zu mehren. Wie man weiß, mit Erfolg. Sein Versuch, zur Milderung der internationalen Folgen dieser Tat und der nachfolgenden kleindeutschen Reichsgründung europäische Gleichgewichtspolitik zu betreiben, war wohl beeinflusst von dem einzigen seiner Universitätslehrer, der ihm etwas für sein politisches Leben mitgab. Der Göttinger Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren, heute vergessen, in seiner Zeit eine akademische Berühmtheit, hatte dem jungen Bismarck die Bedeutung der Gleichgewichtspolitik im europäischen Staatensystem nahe gebracht. Heeren war freilich auch ein vehementer Verteidiger des Deutschen Bundes, den er, gerade wegen seiner nur defensiven machtpolitischen Anlage, als nötigen Mittelpunkt dieses Staatensystems sah – ausgleichend nach innen (im Hahnenkampf zwischen Wien und Berlin) wie im Äußeren zwischen den anderen Machtpolen Europas. Eine Sicht, den Bismarck zum Zwecke der preußischen Machtsteigerung missachtete und die der expansive deutsche Nationalismus später dann vollends verachtete. Es wird interessant sein zu hören, ob und wie sehr Bismarck als Außenpolitiker in diesem Gedenkjahr wieder hoffähig gemacht werden wird.
Ein Schattendasein
Dem Deutschen Bund wird’s wenig helfen, das man nun an ihn im Verein mit seinem Zerstörer gedenkt. Wenn man es überhaupt tut. Denn der Bund war zwar „nicht schlecht von Haus“, wie der Dichter Grillparzer nach dem Ende schrieb. Aber er hat in der Geschichtsschreibung bei uns stets sein Schattendasein geführt, wiewohl eine relativ friedliche, wohlständige Zeit, aber eben auch viel Biedermeier, viel Reaktion - und dann noch dieser Fehlschlag von 1848. Der Bismarck gefiel, notabene. Aber der Deutsche Bund hat ja zu seinem 150. Todestag im kommenden Jahr noch eine Chance. Bismarcks nächster Gedenktag wird erst 2021 sein, wenn wir anderthalb Jahrhunderte „Reichseinigung“ begehen.
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