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Sicherheitskräfte riegeln nach dem Attentat den Bereich um die Basilika im Zentrum von Nizza ab.
© REUTERS

Frankreich nach dem Attentat von Nizza: Ein Land im Ausnahmezustand

Das Attentat von Nizza trifft auf eine verunsicherte Nation. Neben der Terrorbedrohung sind die Franzosen von der Pandemie stark betroffen. Eine Analyse.

Erneut wird Frankreich von einem mutmaßlich islamistischen Attentat heimgesucht. Nach einer Messerattacke in einer Kirche mitten in Nizza sind zwei Frauen und ein Mann tot. 

Das Attentat von Nizza hat Frankreich nicht völlig unvorbereitet getroffen. Bereits vor knapp zwei Wochen war der Geschichtslehrer Samuel Paty in einem Pariser Vorort auf offener Straße von einem 18-jährigen Islamisten enthauptet worden, nachdem er Mohammed-Karikaturen im Rahmen eines Unterrichts über die Meinungsfreiheit gezeigt hatte.  

Attentat erinnert an Angriff in einer Kirche von 2016

Trotzdem wirkt die neuerliche Bluttat in der Basilika Notre-Dame wie ein Schock. Die Tat erinnert in ihrer Grausamkeit an einen Angriff in einer Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie im Juli 2016, für das die Terormiliz „Islamischer Staat“ die Verantwortung übernahm. Damals schnitt ein Attentäter dem 80-jährigen Geistlichen Jacques Hamel in dem Gotteshaus die Kehle durch.  

Damals war in Frankreich noch der Sozialist Francois Hollande Staatspräsident. Seinerzeit appellierten Politiker nach dem Attentat in der Normandie, dass sich Frankreich von den Fundamentalisten nicht in einen Bürgerkrieg hineinziehen lassen dürfe. Ähnliche Aufrufe sind auch jetzt wieder nach der Attacke von Nizza zu hören.  

Doch für die Franzosen ist es heute schwieriger denn je, die Fassung zu bewahren. Denn die Morde von Nizza treffen eine Nation, die durch die Corona-Pandemie und den herrschenden Gesundheitsnotstand ohnehin schon stark verunsichert ist. Als die ersten Meldungen über das Attentat publik wurden, war es gerade keine 15 Stunden her, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Lockdown verkündet hatte. In der Nacht zum Freitag treten Beschränkungen in Kraft, die weitaus strikter sind als in Deutschland. Die Pandemie trifft Frankreich auch brutaler als Deutschland. Macron warnte davor, dass in jedem Fall damit zu rechnen sei, dass die Zahl der Intensivpatienten bis Mitte des Monats auf 9000 steigen könne. 

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Die Franzosen waren gerade dabei, sich am Donnerstagvormittag auf die neuen Beschränkungen einzustellen, als der Messerangriff von Nizza erneut eine ganz andere Frage in den Mittelpunkt stellte: Wie kann Frankreich den Kampf gegen den Islamismus gewinnen und dabei gleichzeitig die Nation – Muslime und Nicht-Muslime - zusammenhalten? 

In Nizza wird das Trauma von 2016 wachgerufen

Es ist eine Herausforderung, die sich für das Land immer wieder aufs Neue stellt, wenn Dschihadisten zuschlagen. Für die südfranzösische Stadt Nizza kommt hinzu, dass dort für viele Menschen jetzt das Trauma vom Nationalfeiertag des Jahres 2016 wieder wachgerufen wird. Damals steuerte ein Attentäter einen Lkw in die abgesperrte Strandpromenade „Boulevard des Anglais“, auf der fröhlich feiernde Menschen entlangschlenderten und das Feuerwerk beobachteten. Der Attentäter, ein 31-jähriger Tunesier, fuhr den Lkw im Zickzack-Kurs, um möglichst viele Opfer zu erfassen. Mindestens 86 Personen wurden getötet. 

Frankreichs Schreckensjahr 2015

Vor der Todesfahrt auf dem „Boulevard des Anglais“ hatte Frankreich bereits 2015 ein Schreckensjahr erlebt, das vom Terror geprägt war: Zu Beginn des Jahres hatten Islamisten Karikaturisten von "Charlie Hebdo" und Kunden eines jüdischen Supermarktes ins Visier genommen, dann traf es bei einer Terrorserie im November in Paris unter anderem junge Menschen im Konzertsaal Bataclan. 

Seitdem hat das Land gelernt, mit der permanenten Terrorbedrohung umzugehen. Patrouillierende Soldaten gehören in den Innenstädten inzwischen zum Straßenbild. Allerdings sagte David-Olivier Reverdy von der Polizeigewerkschaft „Alliance Police nationale“ am Donnerstag in einem Interview mit dem Fernsehsender BFM-TV auch, dass es kaum möglich sei, permanent Polizisten vor sämtlichen Kirchen Frankreichs zu postieren.  

Macron, der sich am Donnerstag nach Nizza begab, steht nun vor der schwierigen Aufgabe, den richtigen Ton in dieser Krise zu treffen. Hinter seinen Appell während des Staatsaktes für den enthaupteten Lehrer Samuel Paty, die Meinungsfreiheit hochzuhalten und auch künftig religionskritische Karikaturen zu zeigen, wird er schwerlich zurückgehen können. Allerdings dürfte er gleichzeitig auch bemüht sein, nicht noch weiter Öl ins Feuer zu gießen. Derzeit läuft in Paris der Prozess gegen die mutmaßlichen Unterstützer während des Attentats auf das Magazin "Charlie Hebdo"; da ist die Stimmung schon angespannt genug.

Zuletzt war Macron im Karikaturen-Streit um Entspannung bemüht

Am vergangenen Wochenende war der Karikaturen-Streit zur diplomatischen Krise zwischen Paris und Ankara eskaliert. Paris hatte den französischen Botschafter zurückgerufen, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gehöhnt hatte, Macron solle sich auf seinen Geisteszustand hin untersuchen lassen. In der muslimischen Welt gab es anschließend Boykottaufrufe gegen französische Produkte. Daraufhin hieß es im Elysée-Palast, dem Amtssitz Macrons, dass eine weitere Zuspitzung des Streits vermieden werden müsse. 

Vergleiche zwischen Faschismus und Islamismus

Aber auch ohne das Zutun des türkischen Präsidenten steht Macron politisch stark unter Druck. Vor allem Vertreter auf der rechten Seite des politischen Spektrums forderten einen härteren Kurs im Kampf gegen den Islamismus. Dabei hatte der Staatschef mit der Berufung seines neuen Innenminister Gérald Darmanin, einem Vertrauten des früheren Staatschefs Nicolas Sarkozy, im vergangenen Juli ohnehin schon einen Rechtsschwenk markiert. Doch das hinderte am Donnerstag Christian Estrosi, den Bürgermeister von Nizza, nicht zu erklären: „Genug ist genug.“ Nach den Worten des konservativen Politikers von der Partei "Les Républicains“ sei der Zeitpunkt gekommen, „um den Islam-Faschismus auf unserem Territorium auszulöschen“. 

Zu ähnlich kriegerischen Worten griff auch die Vorsitzende des rechtsextremen „Rassemblement National“, Marine Le Pen. Zum ersten Mal seit der Besatzung durch die Nazis sei Frankreich kein freies Land mehr, polemisierte sie nach dem Attentat von Nizza. „Unser Land ist im Krieg, wir sind im Krieg", erklärte sie.  

Die 52-Jährige hat ein festes Ziel: Sie möchte bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 Macron ablösen.  

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