Deutscher Botschafter im Libanon: Ein Land, drei Mächte
Georg Birgelen ist deutscher Botschafter im Libanon. Das Land kennt sich mit Krisen aus: fehlende Wirtschaftsreformen und ein ungelöstes Flüchtlingsproblem.
Seit dem September 2018 ist Georg Birgelen deutscher Botschafter in Beirut. Jahrgang 1955, verheiratet mit Sibylle Birgelen, ebenfalls im diplomatischen Dienst, vier Kinder, promovierter BWLer, Wahlfach Informatik und IT-Anwendungen, begeisterter Musiker, in seiner Moskauer Zeit hatte er eine Botschaftsrockband.
Aber diese Geschichte über Georg Birgelen beginnt nicht in Beirut. Sie beginnt in Istanbul. Dort leitete er von 2015 bis 2018 das Generalkonsulat. Dort lernte er den deutsch-türkischen Journalisten Denis Yücel kennen. Gab ihm Schutz vor der Verfolgung durch die türkische Justiz. Yücel, 46 Jahre alt, geboren in Flörsheim am Main, arbeitet für die Zeitung „Die Welt“. Er hatte 2016 über geleakte Emails des türkischen Energieministers berichtet. Der aber ist Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten. Das reicht. Es gab weder einen Haftbefehl, noch war ihm eine Vorladung zugestellt worden. Aber er wusste, dass man ihn sucht.
Über einen Kontakt zum Auswärtigen Amt, mit der Frage, was er tun solle (wir schreiben den 26. Dezember 2016), kam die Empfehlung, sich in die Residenz des deutschen diplomatischen Vertreters in Istanbul zu begeben. Wie er dort aufgenommen wurde, hat Denis Yücel in seinem gerade erschienenen Buch „Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie“ berichtet. Hier einige Sätze daraus: „Trotz Weihnachten besuchen mich gleich am ersten Vormittag Generalkonsul Georg Birgelen und seine Frau Sibylle. Birgelen ist Anfang 60, wirkt mit seiner bunten Hornbrille aber um einiges jünger. Kein Apparatschik, sondern jemand, der mitdenkt und mitfühlt. Der mit kritischer Distanz über 'Berlin' sprechen kann, ohne illoyal zu werden. Ein wahrer Diplomat und ein Mensch, den man in einer Notlage gerne an seiner Seite weiß.“
„Keine Stadt der Welt ist so schön wie Istanbul.“
Georg Birgelen sagt ihm irgendwann, Yücel zitiert ihn so: „Von mir aus können Sie bleiben, so lange Sie möchten.“ Aber das will er nicht, lässt sich mit einem Wagen der Botschaft zum Polizeipräsidium fahren. Vom 27. Februar 2017 bis zum 16. Februar 2018 befand sich Yücel wegen angeblicher Terrorpropaganda in türkischer Haft. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Deutschland zurück. Jetzt befasst sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Fall.
Als wir uns treffen, ist die Istanbuler Zeit Vergangenheit, aber in Birgelens Gedanken dennoch präsent: „Keine Stadt der Welt ist so schön wie Istanbul.“ Dabei ist er nun an einem Platz, der auch landschaftlich überaus reizvoll ist, politisch und kulturell aufregend, eine Krisenregion allerdings, umkämpft, missbraucht und umworben von den größeren Mächten des Mittleren Ostens. Das Land war in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Schweiz oder das Paris des Nahen Ostens genannt worden. Es hatte die positiven Eigenschaften beider - Wohlhabenheit, Freiheit und Leichtigkeit, die Lust am Vergnügen, das Geld, es zu genießen. Dafür sorgten der Handel - neben den Griechen waren die Libanesen traditionell die international engagiertesten Kaufleute im mediterranen Raum - und die gemeinsamen Interessen von Amerikanern, Franzosen und Engländern an einem stabilen, westlich orientierten Staatswesen in dieser labilen Region.
Flüchtlinge als Unruheherd
Die Palästinenser, die entweder vor den Israelis flüchteten und von ihnen vertrieben wurden, konnten nur in den Libanon oder nach Jordanien ausweichen. In keinem der beiden Länder hatte man auf sie gewartet. Im Libanon wurden sie niemals integriert. Das wollten die Libanesen nicht, und es wollten alle anderen arabischen Staaten auch nicht. Für sie sind die Flüchtlinge von damals - nach nicht verifizierbaren Angaben 200 000 - und ihre Nachkommen ein Pfahl im Fleisch des Nahen Ostens, ein latenter Unruheherd. Ihr ungewisses Schicksal, die Unterbringung in Lagern, die Abhängigkeit von den Nahrungsmittellieferungen des UNRWA, sollten permanente Mahnung und Erinnerung an die Vertreibung sein, und den Anspruch der arabischen Nachbarn Israels legitimieren, dieses Israel müsse als Staat wieder verschwinden.
UNRWA, das steht für „United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the near east“, gegründet 1949, regelmäßig alle drei Jahre neu mandatiert, zuletzt im Dezember 2016 bis Dezember 2019. Eine neuerliche Verlängerung will der amerikanische Präsident verhindern.
Heute hat der Libanon 4,5 Millionen Einwohner, vermutet der Botschafter. Im Land leben aber außerdem noch 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Die letzte Volkszählung fand 1932 statt. Niemand in den an der Macht im Staat beteiligten Gruppen will eine neue Zählung. Das Staatsprinzip des Libanon ist, dass keine der etablierten Kräfte die Funktionsfähigkeit des Ganzen gefährden darf, denn das beruht auf einer überaus sensiblen Balance - niemand sollte auf die Idee kommen, die Gewichte neu tarieren zu wollen. „Im Libanon leben ein Drittel Christen, ungefähr ein Drittel Sunniten und ungefähr ein Drittel Schiiten zusammen - das ist ein Konsenssystem, wo die drei Gruppen sich die Macht aufgeteilt haben“, erklärt Georg Birgelen die Statik des Landes, in dem er die deutsche Botschaft leitet.
Proteste auf Beiruts Straßen
Doch derzeit ist das Gleichgewicht massiv gestört. Seit Tagen gehen die Einwohner Beiruts auf die Straße, die Proteste hatten einen scheinbar geringfügigen Anlass: Die Regierung hatte geplant, eine Steuer auf Whatsapp-Nachrichten zu erheben. Doch rasch ging es auch um die verbreitete Korruption und die zahlreichen Ausfälle von Strom und Wasserversorgung. Am Montag machte die Regierung nun den Weg für Wirtschaftsreformen frei. Auch Neuwahlen soll es geben, versprach Saad Hariri.
An der Macht in Libanon ist de facto die vom Iran am Leben erhaltene Hisbollah, und auch Syrien spielt eine Rolle im Gefüge der politischen und gesellschaftlichen Gruppen - dies vor allem über die 1,5 Millionen Flüchtlinge. „Es gibt eine sich verdüsternde Stimmung gegen die syrischen Flüchtlinge“, hat Georg Birgelen festgestellt. Das liegt, sagen auch andere politische Beobachter, an den Lehren, die die Libanesen aus dem jahrzehntelangen Zusammenleben mit den palästinensischen Flüchtlingen gezogen haben. Wer aus Syrien geflüchtet war, sollte auf keinen Fall Wurzeln schlagen im Libanon. Deshalb wehrt sich die Regierung gegen die Errichtung fester Bauten in den Flüchtlingslagern. Zu viele Hilfe führt dazu, dass sie nicht mehr gehen - das ist die Sorge. Dabei würden, nach Befragungen durch internationale Organisationen, 80 Prozent dieser Flüchtlinge gerne wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Aber der dank militärischer und politischer Unterstützung durch die Russen wieder fest im Sattel sitzende Diktator in Damaskus will genau das nicht. Seine Ablehnung ist, aus seiner Sicht, völlig rational: Wer seinetwegen das Land verließ, wird ihm gegenüber nie wieder ein loyaler Staatsbürger sein. So ergibt sich für den Libanon eine fast schon tragische Situation: Siegt Assad und endet der Krieg in Syrien, ist das Flüchtlingsproblem nicht gelöst - es könnte sich eher verstetigen.
Intensive Hilfe der deutschen Botschaft
Die deutsche Botschaft leistet intensive Hilfe. Die Frau des Botschafters, selber im diplomatischen Dienst, kümmert sich an der Botschaft um die Familienzusammenführung syrischer Flüchtlinge. Seit die Mission in Damaskus geschlossen ist, sind das in Beirut 1000 Fälle im Monat, 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich ausschließlich darum. Deutschland arbeitet im Libanon mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen zusammen. „Wir reparieren kaputte Schulen, da gehen am Morgen die libanesischen Kinder hin und am Nachmittag die syrischen Flüchtlingskinder“, erzählt Birgelen, „wir bauen Wasserleitungen, Wasseraufbereitungsanlagen, Wassersammler, Kläranlagen - frisches, sauberes Wasser ist ein großes Problem.“
Wenn die große Politik die Probleme der Menschen nicht lösen kann, muss sie im Kleinen das Leid vermindern. So einfach und so schwer ist das. Einer wie Georg Birgelen, temperamentvoll, zugewandt, ist da wohl richtig am Platz. Das Paris des Ostens nannte man die libanesische Hauptstadt Beirut lange Zeit. Wie schön die Stadt am Mittelmeer liegt, kann man erahnen, wenn man sich ihr vom Wasser her nähert. Der deutsche Diplomat Georg Birgelen ist seit einem Jahr Botschafter der Bundesrepublik im Libanon.