Wikileaks-Enthüllungen über CIA: Ein Kern amerikanischer Macht wurde geknackt
Für die CIA, Amerika und den Westen sind die jüngsten Wikileaks-Enthüllungen der Gau. Denn der Krieg der Knöpfe, geführt mit Maustaste und Tastatur, entscheidet über die globalen Machtverhältnisse. Ein Kommentar.
Wer meint, Geheimdienste seien gefährlich oder überflüssig und gehörten abgeschafft, braucht an dieser Stelle nicht mehr weiter zu lesen. Wer meint, Berichte über NSA oder CIA interessierten ohnehin keinen mehr, braucht an dieser Stelle nicht mehr weiter zu lesen. Wer meint, die jüngsten Enthüllungen über die Spionage-Methoden des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA seien vor allem für die Silicon-Valley-Konzerne ein Problem, braucht an dieser Stelle nicht mehr weiter zu lesen. Wer meint, die US-Regierung unter Donald Trump möge ihre neueste Schlapphut-Schlappe gefälligst alleine ausbügeln, braucht an dieser Stelle nicht mehr weiter zu lesen.
Wer aber meint, dass der Krieg der Knöpfe, geführt mit Maustaste und Tastatur, über die globalen Machtverhältnisse der Zukunft entscheidet, weil die gesamte Infrastruktur moderner Gesellschaften digital geworden ist – von der Strom- und Wasserversorgung über die Finanzströme bis zur Kommunikation -, der sollte einen Augenblick lang nachdenken über die Konsequenzen des leicht abgewandelten Sponti-Spruches: Stell Dir vor, es ist Krieg – und Amerika verliert.
Gegen wen? Das ist nicht ganz klar. Spätestens seit 1991 findet im Internet ein ehrgeiziger Rüstungswettlauf statt. Wer ihn gewinnt, hat mehr Macht über andere, als je durch Panzer, Maschinengewehre oder Kampfjets erreichbar war. Die Kapazitäten im Cyberwar definieren den Status einer Supermacht neu. Doch nicht nur Staaten beteiligen sich daran, sondern auch Drogenkartelle und Terrororganisationen.
Laut Wikileaks sollen bald weitere Dokumente folgen
Die neuen Wikileaks-Enthüllungen, wenn sie sich als authentisch erweisen, geben die Instrumente preis, derer sich die Cybertruppen der CIA bedienen. Sie können Betriebssysteme von Apple und Google infiltrieren, verschlüsselte Apps, etwa bei WhatsApp, knackten. Die CIA kann auf IPhones und Smartphones zugreifen, Hackerangriffe anderer Nationen imitieren, um falsche Fährten zu legen, sie kann Gespräche mithören, die in der Nähe von ausgeschalteten Fernsehern geführt werden, die mit dem Internet verbunden sind. Das alles und noch viel mehr wird auf 7818 Webseiten, die 943 Anlagen enthalten, unter den Namen "Vault 7" detailliert beschrieben. Laut Wikileaks sollen bald weitere Dokumente folgen.
Für die CIA ist das der Gau, der größte anzunehmende Unfall. Er ist vergleichbar mit den NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden. Ging es bislang vor allem um Namen, Orte und Operationen, die über Wikileaks bekannt wurden – was für die Betroffenen bedrohlich genug war -, werden diesmal Quellen und Methoden ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Das Wie von Geheimdiensten aber ist der Kern ihrer Macht. Wer dieses Wie aufdeckt, knackt den Kern. Man denke an den Zaubertrank der Gallier um Asterix und Obelix: Nur Miraculix, der ehrwürdige Druide des Dorfes, darf das Rezept kennen. Andernfalls könnten die Römer sich den Zaubertrank auch mixen.
Über das Internet können Armeen und Großstädte, Flughäfen und Verkehrsstraßen lahmgelegt werden. Auch in vielen Ländern außerhalb des Westens – Russland, China, Nordkorea, Iran – werden deshalb Unsummen investiert, um mehr als nur bedingt abwehrbereit zu sein. Allein in der legendären Einheit 61398 der chinesischen Volksbefreiungsarmee sollen mehrere tausend englischsprachige IT-Experten arbeiten, die sich mit Spionage und Sabotage von Computersystemen in den USA beschäftigen.
Wikileaks, Russen und Trump: Das schien eine Koalition zu sein
Die hochbrisanten Wikileaks-Enthüllungen treffen Amerikas Sicherheitsarchitektur zur ungünstigsten Zeit. Zwischen Präsident Donald Trump und den Geheimdiensten herrscht Misstrauen, das an Feindschaft grenzt. Im Wahlkampf sagte Trump, er liebe Wikileaks, weil das Unternehmen kompromittierende Dokumente der Demokraten um Hillary Clinton veröffentlicht hatte. Wikileaks, die Russen und Trump: Das schien eine Art Koalition zu sein.
Diese Koalition muss Trump spätestens jetzt sprengen, damit sein Land nicht zum wehrlosen Opfer fremder Cyberwar-Aktivitäten wird. Der Schaden für die Geheimdienste ist schon immens groß. Eine weitere Erosion der Autorität des Präsidenten würde ihn potenzieren.
Amerika schaut auf Obamacare, Einreisestopp und Trumps sonstige Kapriolen. Dass zur selben Zeit Wohlergehen und Sicherheit der Bevölkerung in einem Maße bedroht werden, wie es seit dem Kalten Krieg nicht mehr geschah, wird von den medialen Radaren kaum erfasst. Bereits vor vier Jahren warnten die US-Geheimdienste davor, dass vom Cyberwar eine größere Gefahr für ihr Land ausgehe als vom internationalen Terrorismus. Nun stehen sie selbst im Fadenkreuz.
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Malte Lehming