Der Fall Arkadi Babtschenko: Ein inszenierter Mord und seine Folgen
Warum die ukrainischen Sicherheitsbehörden den Mord an einem Journalisten inszenierten - und welche Folgen die Aktion hat.
Die Nachricht schockierte nicht nur Journalisten weltweit: Ihr russischer Kollege Arkadi Babtschenko, so hieß es, sei am Dienstag in seiner Wohnung in Kiew erschossen worden. Einen Tag später tauchte er plötzlich auf einer Pressekonferenz in der ukrainischen Hauptstadt wieder auf. Der Mord war nur eine Inszenierung.
Was ist genau passiert?
Vor zwei Monaten erfuhr Babtschenko von ukrainischen Sicherheitskräften, dass ein Mordanschlag gegen ihn in Auftrag gegeben worden sei. Offenbar gab es auch ein Dossier über seine Person, das Informationen über seine Arbeit und sein Privatleben enthielt, auch über seine Frau und seine Kinder. Babtschenko berichtete auf der Pressekonferenz, das Dossier habe ein altes Foto enthalten, das es nur in seinem Pass und bei den russischen Behörden gebe. So sei klar gewesen, dass die Informationen von Regierungsbehörden stammten.
Für Babtschenko schien die Bedrohung glaubwürdig. Im Jahr zuvor hatte der ehemalige Soldat, der in beiden Tschetschenien-Kriegen gekämpft hatte und später Moskaus Kriege in Syrien und der Ukraine scharf kritisierte, Russland verlassen müssen, nachdem in Politik und kremlnahen Medien eine regelrechte Kampagne gegen ihn begonnen hatte.
Als Babtschenko von ukrainischen Sicherheitskräften gefragt wurde, ob er bei der geplanten Operation mitmachen wolle, sagte er zu. Diese Geheimdienstoperation gipfelte in der inszenierten „Ermordung“ des Journalisten. Er sei in seiner Wohnung von drei Kugeln in den Rücken getroffen worden, hieß es. Seine Frau habe ihn in einer Blutlache gefunden, auf dem Weg ins Krankenhaus sei er gestorben. Im Internet tauchte später ein Foto auf, das einen Mann, der Babtschenko zumindest ähnlich sieht, auf dem Boden in seinem Blut liegend zeigte.
Wie erklären die ukrainischen Behörden die Aktion?
Der ukrainische Geheimdienst SBU betonte, durch die Operation habe man nicht nur einen Auftragsmord verhindert, sondern auch die Vorbereitung des Verbrechens dokumentiert. Der Mord an Babtschenko sei „von russischen Geheimdiensten in Auftrag gegeben“ worden, erklärte der SBU. Ziel der Operation sei es gewesen, „unstrittige Beweise für die terroristische Aktivität von Russlands Geheimdiensten in der Ukraine“ zu erlangen, sagte der SBU-Chef Wassili Grizak. Nach dessen Darstellung rekrutierten russische Geheimdienste einen Ukrainer, der einen Auftragskiller engagieren sollte.
Der Mittelsmann soll einem ukrainischen Ex-Soldaten 30000 US-Dollar für die Tat versprochen haben, doch dieser informierte die Behörden. Außerdem habe der Mittelsmann von russischem Geld größere Mengen an Waffen und Munition kaufen sollen. Warum sich die ukrainischen Sicherheitsbehörden dafür entschieden, den Tod des Journalisten vortäuschten, wurde bisher kaum erklärt. Offenbar hoffte der SBU darauf, dass der Mittelsmann nach der Tat mit seinen Auftraggebern in Kontakt treten würde. Am Mittwoch wurden Bilder von der Verhaftung eines Mannes gezeigt, bei dem es sich um den Mittelsmann handeln soll.
Wer wusste Bescheid?
Nur ein kleiner Kreis von Menschen war vorab eingeweiht. Babtschenkos Freunde und seine Kollegen wussten nichts von den Plänen. Sie schrieben Nachrufe und trauerten um den vermeintlich ermordeten Weggefährten. Die Tatsache, dass er sich in der Pressekonferenz bei seiner Frau entschuldigt hatte, war zunächst von Beobachtern so interpretiert worden, als habe er auch ihr vorab nichts erzählt. Seine Familie war allerdings in die Pläne eingeweiht, wie es später hieß.
Mit der Entschuldigung spielte er möglicherweise auf die besondere Belastung für seine Frau an, schließlich hatte sie öffentlich seinen angeblichen Tod bestätigen müssen. Unklar ist, ob die gesamte ukrainische Regierung eingeweiht war. Es gilt aber als sicher, dass eine solche Geheimdienstoperation nicht ohne Zustimmung von Präsident Petro Poroschenko möglich gewesen wäre.
Wie wird die Aktion in Deutschland und anderen Ländern bewertet?
Die westlichen Partner Kiews verließen sich auf die offizielle Darstellung und wurden getäuscht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich während eines Aufenthalts in der Ukraine am Mittwoch zu der vermeintlichen Tat und sprach von einer „traurigen, erschütternden Nachricht“. Am Donnerstag reiste Außenminister Heiko Maas (SPD) zu einem lange geplanten Antrittsbesuch nach Kiew. Vor der Abreise forderte er von der Ukraine Aufklärung im Fall Babtschenko. Er habe die Erwartung, dass er die notwendigen Informationen erhalten werde, um sich daraus eine Meinung zu bilden, betonte der Minister.
Es müsse alles getan werden, um die Vorgänge aufzuklären. Zugleich stellte Maas einen Zusammenhang zum ukrainischen Reformprozess her: Das Land könne beweisen, dass es bei Reformen für Rechtsstaatlichkeit vorangekommen sei. „Es wäre eine gute Gelegenheit, einen solchen, für viele Menschen absolut nicht nachvollziehbaren Vorgang rechtsstaatlich aufzuarbeiten“, sagte Maas. So könne man Vertrauen schaffen. In der Sprache der Diplomaten lässt sich das als kaum versteckter Hinweis darauf lesen, dass die Ukraine durch die Aktion bei ihren Partnern viel Vertrauen verspielt hat.
Wie sind die Reaktionen in Russland?
Das Außenministerium in Moskau warf der Ukraine vor, die Inszenierung sei eine weitere „antirussische Provokation“. Die Weltgemeinschaft sei zugunsten eines „kalkulierten Propagandaeffekts“ getäuscht worden. Im Hinblick auf die Erklärung des SBU, wonach russische Geheimdienste einen Anschlag auf Babtschenko geplant hätten, sprach das Außenministerium von „russophoben Lügen“ und erklärte weiter: „Wir stellen fest, dass Fragen von Leben und Tod in der Ukraine – und ebenso das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in ihre Politik –, nicht mehr als ein Pfand sind, um die anti-russische Hysterie des Regimes in Kiew zu befeuern.“ In sozialen Netzwerken meldeten sich prorussische Stimmen zu Wort, die den Fall Babtschenko nutzten, um Zweifel an dem Anschlag auf den Ex-Spion Sergej Skripal in Großbritannien zu wecken.
Welche Folgen hat die Inszenierung?
Der mutmaßliche Mittelsmann ist in der Ukraine in Haft. Spätestens wenn ihm der Prozess gemacht wird, müssen die ukrainischen Sicherheitsbehörden mehr Informationen über den Fall auf den Tisch legen. Unklar ist beispielsweise, ob es abgehörte Gespräche zwischen dem Verdächtigen und möglichen Hintermännern gibt. Für Babtschenko selbst ist die Geschichte ebenfalls nicht vorbei: Er und seine Familie sollen rund um die Uhr Polizeischutz erhalten – offenbar glauben die Sicherheitskräfte, dass der Journalist noch in Gefahr ist.
Babtschenko selbst fand bereits kurz nach seiner unverhofften Auferstehung wieder zu seiner alten Form und seinem gewohnt polemischen Ton zurück: Er habe vor, 96 Jahre alt zu werden und auf Putins Grab zu tanzen.
Auf der politischen Ebene sind die Folgen noch nicht absehbar. Die Ukraine ist auf internationale Finanzhilfen ebenso angewiesen wie auf Unterstützung beim schwierigen Reformprozess und dem stockenden Kampf gegen Korruption. Sollte das Vertrauen westlicher Regierungen in die ukrainische Führung und deren Glaubwürdigkeit erschüttert werden, wäre dies ein weiterer Rückschlag für das Land.