Der Justizminister und die Kinderehen: Ein generelles Verbot wäre inhuman
Heiko Maas will schärfere Gesetze gegen Kinderehen. Vielen gehen die Reformen nicht weit genug. Doch unter Radikalität darf die Menschlichkeit nicht leiden. Ein Kommentar.
Kinder an die Macht, singt Herbert Grönemeyer, und in dem Lied heißt es: „Gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun.“ Was für eine absurde Logik! Ausgerechnet jene, die die Folgen ihres Handelns noch nicht abschätzen können, sollen möglichst weitreichende Entscheidungen treffen, eben weil sie die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen können. Dabei ist nur eines sicher: In einem Staat, der von Kindern regiert würde, wäre jeden Tag Halloween.
Um Bundespräsident werden zu können, muss man in Deutschland vierzig Jahre alt sein. Kanzler geht schon mit 18, für ein Bürgermeisteramt gilt als Mindestalter 25 als Richtwert. Auch im privaten Verhältnis der Menschen muss es ein festgelegtes Alter geben, ab dem etwa jemand als reif für die Ehe gilt. Natürlich lassen sich immer Einzelfälle finden, die eine solche Setzung als ungerecht erscheinen lassen. Manch 17-Jähriger ist „erwachsener“ als manch 21-Jähriger.
Eine Ehe zu führen und Kinder wachsen zu lassen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Grundsätzlich sollten in Deutschland daher nur Erwachsene heiraten dürfen. Für Ausnahmeregelungen – bereits ab 16, wenn der andere Ehepartner volljährig ist und ein Familiengericht eine sogenannte Befreiung erteilt – gibt es keine überzeugende Begründung. In Deutschland müssten Kinder- und Jugendlichen-Ehen verboten werden.
Was aber ist mit verheirateten minderjährigen Ausländern, die entweder eingewandert sind oder um Asyl bitten? Zum Stichtag 31. Juli 2016 waren in Deutschland 1475 minderjährige Ausländer mit dem Familienstand „verheiratet“ registriert. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Davon stammte knapp die Hälfte aus Syrien, zwei Drittel sind zwischen 16 und 18 Jahren alt, 361 der verheirateten Kinder jünger als 14 Jahre.
Malte Lehming hat recht! [...] Übertriebener Idealismus führt im Leben nicht immer zum Ziel. Und ein dogmatisches Herangehen erst recht nicht. Dafür hat das Leben viel zu viele Grautöne.
schreibt NutzerIn heiko61
Es muss speziell geschulte Familienrichter geben
Dabei sind Kinderehen beileibe kein Islam-Phänomen. In Indien etwa weisen Bundesstaaten wie Jammu und Kaschmir, die einen hohen muslimischen Bevölkerungsanteil haben, sehr niedrige Kinderehen-Raten auf. Soziale Faktoren, wie Unterentwicklung und Armut, sind die treibenden Kräfte. Für das Mädchen, das früh verheiratet wird, muss eine Familie nicht mehr aufkommen.
Ein Kind, das jünger ist als 14 Jahre, kann die Tragweite einer Ehe nicht einschätzen. Solche Ehen wurden in Deutschland bisher nicht anerkannt, dabei muss es bleiben. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 sollte es verpflichtende Einzelfallentscheidungen speziell geschulter Familienrichter unter Einbeziehung des Jugendamtes geben. Folgende Fragen sind zu berücksichtigen: Haben die Personen selbstbestimmt in die Ehe eingewilligt? Existiert ein soziales Netz, das sie im Falle einer Auflösung der Ehe auffängt? Gibt es Kinder, die unter einer Zwangstrennung leiden würden? Würde das Ehepaar selbst unter einer solchen Trennung leiden?
Aus dem sinnvollen und humanen Prinzip, Kinderehen verbieten zu wollen, folgt nicht die Devise, alle bereits geschlossenen Kinderehen zwangsweise auflösen zu müssen. Die Ausnahmen müssen allerdings gut begründet sein. In Entwicklungsländern ist jedes dritte Mädchen bei einer Eheschließung unter 18. Die weltweit häufigste Todesursache bei Mädchen zwischen 10 und 19 Jahren ist Aids, an zweiter Stelle stehen Suizide. Diese Skandale zu bekämpfen, ist ebenso notwendig wie die Einsicht, dass staatlich verordnete Zwangstrennungen von Eheleuten vorangegangenes Unrecht meist nicht mehr aus der Welt schaffen.
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