Olaf Scholz reist nicht nach Kiew: Ein fataler Hang zur Selbstverzwergung
Der Bundeskanzler will nicht nach Kiew, weil der Bundespräsident dort ausgeladen wurde. Verletzter Stolz dominiert über politische Verantwortung. Ein Kommentar.
Montagabend, ab 19 Uhr 20, ZDF. Eine halbe Stunde lang wird Olaf Scholz in der Sendung „Was nun?“ zu seiner Ukrainepolitik befragt. Der Bundeskanzler sagt viel Richtiges, er wirkt klar und entschlossen, fast ein wenig kämpferisch.
Am Ende wird Scholz gefragt, wann er nach Kiew reist. Daraufhin holt er weit aus. Dem stehe die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entgegen, antwortet er. Das sei „ein bemerkenswerter Vorgang“ gewesen, „das kann man nicht machen“.
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Steinmeier sei von einer sehr großen Mehrheit in der Bundesversammlung gewählt worden, Deutschland habe der Ukraine viel militärische und wirtschaftliche Hilfe geleistet. Da könne es nicht sein, dass man sage, „der Bundespräsident kann aber nicht kommen“.
Ein deutscher Bundeskanzler muss die Interessen seines Landes vertreten. Wenn Scholz, wie er mehrmals beteuert, zu dem Urteil gelangt, dass in der Ukraine auch die Sicherheit Deutschlands, Europas und des Westens verteidigt wird, muss die Solidarität mit Kiew die oberste Richtschnur seines Handelns sein.
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Das schließt demonstrative Besuchsgesten ein. Alles andere ist nebensächlich. Ob Steinmeier desavouiert wurde, Friedrich Merz auf eigene Kappe nach Kiew reist, deutsche Regierungsvertreter nicht immer mit Würde und Respekt behandelt werden: All das mag wichtig sein, ist aber zweitrangig.
Insofern offenbart die Antwort von Scholz einen fatalen Hang zur Selbstverzwergung. Gefühle wie verletzter Stolz und geraubte Ehre diktieren ihm sein Handeln, nicht zuvörderst das politisch Gebotene. Im Kriegsfall aber zählen Klarheit und die Kunst, über den eigenen Schatten springen zu können. Wenn es denn der Sache dient, um die es geht.