Energiewende: Ein Experiment in Demokratie
Gesine Schwan zieht eine erste Bilanz des Trialogs aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Gesine Schwan verteidigt die Demokratie, auch da, wo sie weh tut. Ein Weg, den die Chefin der Berliner Demokratiehochschule Humboldt Viadrina School of Governance, dafür gewählt hat, sind sogenannte Trialoge. Sie bringt zu komplexen und hoch umstrittenen Themen Akteure aus Politik, Wirtschaft, organisierter Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Medien zusammen, und erwartet einen ernst zu nehmenden Austausch darüber. Das funktioniert tatsächlich, selbst wenn es um die Energiewende geht. Nach einem guten Jahr Debatte hat Schwan nun ein erstes Forderungspapier des Energiewende-Trialogs veröffentlicht. Darin geht es vor allem darum, die wichtigsten Anforderungen an die Energiewende-Politik zu formulieren, um zu verhindern, dass sie im politischen Nahkampf umkommt, wie sich das im Bundestagswahljahr bereits andeutet.
Der Energiewende-Trialog begann im März 2012 auf der Grundlage des Abschlussberichts der Ethikkommission unter dem Vorsitz von Klaus Töpfer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Ethikkommission nach der Atomkatastrophe in Fukushima eingesetzt, um schnell eine fundierte Begründung für den Atomausstieg unter Beachtung des Klimaschutzes zu bekommen. Das Papier der Ethikkommission war die Grundlage für die Beschlüsse des Bundestags im Juni 2011, wenn auch zwei Kernforderungen der Ethikkommission nicht ihren Weg in die Umsetzung der Energiewende fanden. Die Ethikkommission hatte einen Energiewende-Beauftragten im Parlament gefordert, und sie hat die Energiewende als „Gemeinschaftswerk“ definiert. Im Verlauf der Diskussion ist die Energiewende immer mehr zum Partikularwerk geworden, in dem jede Interessengruppe ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Blick aufs große Ganze ihre jeweiligen Teilinteressen vertritt. Mit dem Ergebnis, dass Teilinteresse immer mehr als Gesamtinteressen wahrgenommen werden, je nach publizistischer oder tatsächlicher Macht der jeweiligen Akteure. Genau das will Schwan mit ihrem Energiewende-Trialog vermeiden.
Gesine Schwan: Geduldige partizipatorische Arbeit
Gesine Schwan nennt den Trialog eine „geduldige partizipatorische Arbeit“, ein „fortlaufendes Experiment“. In vier Plenumstreffen mit jeweils rund 80 Teilnehmern und vier Unter-Trialogen zu Einzelaspekten haben die Teilnehmer eine Prioritätenliste erarbeitet, nach der die Energiewende entwickelt werden sollte, um sie zu einem Erfolg zu machen. Im Trialog sind Unternehmensvertreter aus der klassischen Energiewirtschaft und aus den erneuerbaren Energien vertreten, dazu kommen Politiker oder ihre Bundestagsmitarbeiter, Vertreter aus Umweltverbänden, Gewerkschaften, Energieforschung und europäischen Botschaften. Ihr Fazit aus den bisherigen Debatten: Die Energiewende ist ein Prozess von wirtschaftlichen Handlungen und politischen Entscheidungen, für die die Regierung mehr Prozessverantwortung übernehmen muss. Dafür braucht es kein Energieministerium aber eine fortlaufende Zusammenarbeit der beteiligten Ressorts – und vor allem eine fortlaufende Einigung darüber, was eigentlich zu entscheiden ist. Außerdem müsse die soziale und wirtschaftliche Bezahlbarkeit der Energiewende im Blick behalten werden. Der Trialog war sich einig, dass die Energiekosten auf jeden Fall steigen würden, weil aktuell die bestehenden Kraftwerke an ihr technisches Lebensalter kommen und auf jeden Fall investiert werden muss. Bei der Umsetzung der Energiewende kann also nicht jede Investition dem umweltfreundlichen Umbau der Energiewirtschaft angelastet werden. Es müsse aber auch darüber diskutiert werden, ob es sinnvoll ist, alle Energieformen parallel zueinander weiterhin möglich zu machen, wenn das Ziel ist, bis 2050 die Stromversorgung nahezu zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu bewältigen. Das dritte Thema, auf das sich der Energiewende-Trialog geeinigt hat, ist eine bessere Einbeziehung der europäischen Nachbarn in die Entscheidungen zur Energiewende. Denn Deutschland als größter Strommarkt in der Mitte Europas prägt die Entwicklungen bei den Nachbarn mit – bisher oft ohne deren Beteiligung.
Für Gesine Schwan ist der Energiewende-Trialog ein gutes Beispiel dafür, wie „Partizipationspolitik“ in der Demokratie aussehen kann. Sie ist überzeugt davon, dass die Debatten über komplexe Themen wie die Energiewende – die beiden anderen Trialoge, die sie organisiert befassen sich mit der „partnerschaftlichen Familie“ und den Reformen im Finanzmarkt – mit allen beteiligten Akteuren geführt werden können, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Auch wenn die Auswahl der Trialog-Teilnehmer nie alle Interessengruppen genau abbilden kann, gelingt es Schwan doch bisher immer, zumindest die verschiedenen Sichtweisen in einen Raum zu bekommen. Das Maecenata-Institut hat bei seinem Begleitforschungsprojekt übrigens herausgefunden, dass es Schwan in den Trialogen jedenfalls gelungen ist, einen Dialog zu ermöglichen. Die Teilnehmer hören einander nicht nur zu, sondern beziehen sich in ihren Beiträgen sogar aufeinander. Schwan sagt: „Es muss gelingen, ein Gespräch in Gang zu bringen, in dem Taktik eine untergeordnete Rolle spielt.“ Dafür scheine sich ihr Trialog-Modell zu eignen, sagt sie.
Dagmar Dehmer
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