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Die Karikatur von Klaus Stuttmann zu den Terroranschlägen in Paris.
© Klaus Stuttmann

Terror in Paris: Ein dritter Weltkrieg wird uns aufgezwungen

Deutschland und Europa und die Welt sind seit den Anschlägen von Paris nicht mehr, was sie vorher waren. Was muss getan werden? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Das ist Krieg. Mehr als 120 Tote, hunderte Verletzte, ein ganzes Land im Ausnahmezustand –  Frankreich wird schon wieder von einem Angriff der selbsternannten Gotteskrieger des islamistischen Terrors getroffen. Die Bilder der vergangenen Nacht sind so grausig, so unfassbar, so archaisch blutig,  dass es unmöglich erscheint, nicht zu erkennen, was uns, dem Westen, ja dem ganzen Planeten aufgezwungen wird: ein dritter Weltkrieg, ein asymmetrischer Konflikt ohne Grenzen. Der mit Verdun und Stalingrad nicht zu vergleichen ist und doch eine Dimension annimmt, die noch über den globalen Charakter konventioneller Kriege hinausreicht. Diesmal gibt es keine neutralen Staaten, keine Inseln des Friedens. Und es gibt eine perverse, aber sehr effektive Medienstrategie: Die Bomben explodieren, während die Welt bei einem Fußball-Länderspiel zuschaut. Terror in Echtzeit, im Wohnzimmer. Die spontane Antwort des Weltbürgertums kann jetzt nur lauten:  Wir stehen zu Frankreich. Wir helfen Euch, wo wir können. Wir lassen Euch nicht im Stich.

Nous sommes tous la France

Im Januar hieß es, je suis Charlie. Heute sagen wir: Nous sommes tous la France. Aber zu bedenken ist auch: Die Anschläge in Paris sind nicht einmal die härtesten der Terrorszene. Auch nicht in Europa. In Madrid starben im April 2004 mehr als 190 Menschen, als Islamisten in mehreren Vorortzügen Rucksackbomben zündeten. Und der Schrecken des 11. September 2001, die Selbstmordflüge gegen Amerika, sind bislang unerreicht. Aber es geht nicht darum, dem Horror zu relativieren. Das wäre zynisch. Zumal es Länder gibt, die beinahe wöchentlich von verheerenden Anschlägen heimgesucht werden: Syrien, Irak, Afghanistan, Nigeria, Somalia…  Wir haben uns an die einschlägigen Meldungen gewöhnt: 100 Tote hier bei einem Anschlag von Selbstmordattentätern, 80 dort beim Sturmlauf einer Terrormiliz. Und die Solidarität der Welt ist oft erschreckend gering. Der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ , gegen die Taliban und Boko Haram wird nicht mit der Intensität geführt, die in einem Weltkrieg nötig wäre. Doch solche Gedanken helfen heute erstmal nicht weiter. Zu überlegen ist nun doch primär, was die Anschläge in Paris für Deutschland und Europa bedeuten. Was wir tun sollten –  und was nicht. Denn Frankreich, Deutschland und Europa sind seit der gestrigen Nacht nicht mehr das, was sie vorher waren.

Wie können wir reagieren? Auf die Herausforderung durch die militanten Islamisten und die Gefahr, dass diese Wahnsinnigen eine Eskalation des Hasses bewirken, dass sie rassistische Fanatiker animieren, nun ihrerseits loszuschlagen, gegen Flüchtlinge, gegen Migranten und Muslime überhaupt? Geboten  ist da vor allem –  Sachlichkeit. Nüchternes Abwägen. Was hilft, was wäre zu überlegen, was könnte eine Übertreibung sein. Deklinieren wir es durch.

Ein Polizist legt Blumen an der Veranstaltungshalle Bataclan nieder. Charles Platiau
Ein Polizist legt Blumen an der Veranstaltungshalle Bataclan nieder. Charles Platiau
© Charles Platiau/Reuters

Polizei und Nachrichtendienste müssen verstärkt werden

Sollten Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland und Europa weiter aufgerüstet und noch stärker vernetzt werden? Auf jeden Fall. Das dürfte eine der wichtigsten Lehren aus dem Terrorangriff in Paris sein. Trotz der deutlich erhöhten Wachsamkeit nach „Charlie Hebdo“  und den weiteren Attacken, denen Frankreich in diesem Jahr ausgesetzt war, konnten Islamisten jetzt wieder den Sicherheitsapparat überraschen. Die Gefahr hätte womöglich durch eine gemeinsame Antiterrorzentrale der EU, mit Polizei und Nachrichtendiensten in einem Komplex, verringert werden können. Und für Deutschland gilt auch: Die für die Bundespolizei vorgesehenen, schwer bewaffneten und schnell zu verlegenden Einheiten werden womöglich schneller gebraucht, als selbst ihre Befürworter ahnen. Aber genauso dringend ist ein Ausbau der Programme zur Deradikalisierung. Bei Islamisten, Rassisten und anderen Extremisten.

Sind nun Sicherheitsschleusen und Leibesvisitationen bei weit mehr „weichen Zielen“  des Terrors nötig, also in jedem Stadion, jedem Konzertsaal, jeder U-Bahn, jedem Kaufhaus? Nein. Wenn größere Fußballspiele oder gar Weihnachtseinkäufe im KaDeWe als hochgradig riskant eingestuft werden, haben die Terroristen schon gewonnen, ohne einen einzigen Sprengstoffgürtel gezündet zu haben. Paranoia darf keine Antwort auf Terror sein. Allerdings wäre mehr Sicherheitspersonal an potenziell gefährdeten Orten durchaus sinnvoll.

Wer jetzt hingeht und den Ausbau des Sicherheitsstaats fordert, mehr Überwachung, mehr Kontrollen und damit einen Abbau der bürgerlichen Freiheitsrechte, der zerstört genau das Wertefundament, das die Terroristen angreifen wollen.

schreibt NutzerIn Diskutant999

Die EM in Frankreich absagen? Auf keinen Fall

Die für kommendes Jahr in Frankreich geplante Fußball-Europameisterschaft in Frankreich absagen? Auf keinen Fall. Der Terror darf nicht diktieren, ob Sportturniere oder andere Großveranstaltungen stattfinden, oder nicht. Es wird gespielt. Es wird gefeiert. Mit Sicherheit. In jeder Hinsicht.

Das Militär stärker in den Schutz der inneren Sicherheit einbeziehen? Ja. In Frankreich ist es selbstverständlich, dass die Armee jetzt der Polizei hilft und Präsenz zeigt. Das muss auch in Deutschland möglich sein. Schon bei größerer Terrorgefahr, nicht erst wenn es knallt, sollte die Bundeswehr sofort verfügbar sein und zumindest in den Schutz gefährdeter Gebäude und Straßenzüge einbezogen werden.

Islamistische Moscheen schließen? Nur im Einzelfall. Wenn sie eindeutig als Brutstätte des Terrors identifiziert sind. Und selbst dann kann es noch sinnvoll sein, eine Moschee intensiv zu observieren, anstatt die radikalisierten Vorbeter und ihre Anhänger in Konspiration und Untergrund zu treiben. Was auf jeden Fall vermieden werden muss, ist ein Generalverdacht gegen Moscheen und islamische Gemeinden, die sich betont konservativ geben. Staat und Zivilgesellschaft sollten auch jetzt wieder deutlich machen, dass strenggläubige Muslime in Deutschland nicht ausgegrenzt werden. Was eine entschlossen geführte Diskussion um Inhalte keinesfalls ausschließt.

Das Internet muss stärker überwacht werden 

Das Internet stärker überwachen, vor allem Facebook und die weiteren sozialen Netzwerke, in denen islamistischer Hass genauso wuchert wie Rassismus? Unbedingt. Polizei, Nachrichtendienste und Justiz,  gerade auch in der Bundesrepublik, müssen sich viel stärker mit den Untiefen des World Wide Web befassen. Und es erscheint dringend geboten, Konzernen wie Facebook härter zu verdeutlichen, dass sie den öffentlichen Frieden stören und mit dem Strafrecht kollidieren, wenn sie extremistische Hetze wuchern lassen.

Abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben? Gegenfrage: Was hat das mit dem Terror zu tun? Bis auf Einzelfälle gibt es keine Hinweise, dass Flüchtlinge in Deutschland als Vollstrecker militanter Netzwerke agiert haben.

Es gäbe noch viel mehr Fragen, die zu beantworten sind. Sie werden gewiss in den nächsten Tagen und Wochen gestellt und diskutiert werden, bestimmt auch heftig. Doch eine Leitlinie, ein Grundmotiv der westlichen Zivilisation darf nie aus dem Blick geraten: Unsere Demokratie ist unantastbar. Der Weltkrieg des islamistischen Terrors wird hoffentlich keine schleichende Mutation des Westens zu einem autoritären, intoleranten und angstbeißenden Regime in Gang setzen.  Vive la liberté. 

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