Dominic Cummings belastet Boris Johnson: Ein Chaos wie bei der „Ankunft der Außerirdischen“
Zu Beginn der Corona-Pandemie habe „völliges Chaos“ in der Regierung geherrscht: Sein ehemaliger Berater Dominic Cummings belastet Boris Johnson schwer.
Voriges Jahr war er noch Boris Johnsons „stiller Teilhaber“ in der Regierungszentrale – der wohl einflussreichste Berater eines Premierministers in neuerer Zeit. Als Johnsons „Wunderwaffe“ im Kampf gegen Brexit-Verächter, Tory-Rebellen und Oppositionsparteien galt er. Ohne Dominic Cummings wäre Johnson nie an die Macht gekommen, ist tatsächlich allgemeine Überzeugung im Vereinigten Königreich.
Seit der Regierungschef seinen Hauptstrategen aber verstieß, hat sich Cummings gegen seinen früheren Chef gerichtet. In den letzten Wochen hat er diesem vorgeworfen, er habe in der Coronakrise völlig versagt. Er sei „weit hinter den Standards von Kompetenz und Integrität zurück geblieben“, die das Land verdient habe. Um sich zu erklären, wurde der 49-jährige jetzt vor zwei Unterhaus-Ausschüsse geladen, die Rückschlüsse auf mögliche Verfehlungen der Regierung während der Pandemie ziehen sollen. Cummings hatte Johnson schon vorab beschuldigt, mit seinem Zaudern Lockdowns sträflich verzögert und so den „unnötigen Verlust von zehntausenden von Leben“ verschuldet zu haben. Auch das britische Testsystem sei lange Zeit „ganz schlecht“ und die Politik zur Abschottung der Grenzen „der reinste Witz“ gewesen, klagte Cummings. Zeitweise habe die Regierung gezielt eine Politik der „Herden-Immunität“ verfolgt, die zu einer „echten Katastrophe“ hätte führen können, hätte man Johnson nicht noch in letzter Minute davon abgebracht.
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Vor den Unterhaus-Ausschüssen am Mittwoch bekräftigte Cummings seine Überzeugung, dass zu Beginn der Krise „völliges Chaos“ in der Regierung geherrscht habe – ein wenig wie „bei der Ankunft der Außerirdischen“ in einem schlechten Katastrophenfilm im Kino. Einen richtiggehenden Plan zur Covid-Bekämpfung habe es in No 10 lange nicht gegeben. Zusätzliche Experten seien nicht zu Rate gezogen worden, trotz seines Drängens in diesem Punkt.
Unglücklicherweise, fügte er an, sei Johnson stets „abgelenkt“ gewesen, da es ihm mehr um die Stimmung in der Presse gegangen sei und bei den eigenen Hinterbänklern, als um die wirklichen Gefahren. Noch im Februar habe der Premier Covid-19 als „bloßes Schauermärchen“ abgetan. „Nicht die Pandemie“ sei die wahre Gefahr, habe er erklärt, sondern die „wirtschaftliche Konsequenz“ harter Restriktionen. Vor Ende Februar habe Johnson gar keinen Bedarf für dringliches Handeln gesehen.
Scharfe Vorwürfe erhob Cummings auch gegen Gesundheitsminister Hancock
Die Ausschuss-Vorsitzenden, die eher moderaten Tory-Abgeordneten Greg Clark und Jeremy Hunt, hielten Cummings vor, dass er seinerzeit ja ein ziemlich wichtiges Rädchen der Regierungsmaschinerie gewesen sei, und nicht einfach nur ein Zuschauer in der Regierungszentrale. Für seine eigenen Versäumnisse entschuldigte sich der frühere Chef-Berater. Er beharrte darauf, dass er früher als andere die Gefahr erkannt und sie, ohne Gehör zu finden, den Regierenden deutlich gemacht habe.
Scharfe Vorwürfe erhob Cummings auch gegen Gesundheitsminister Matt Hancock, den er beschuldigte, „immer wieder gelogen“ zu haben.
Von Oppositionsführer Sir Keir Starmer auf die Anschuldigungen seines Ex-Assistenten angesprochen, beteuerte Johnson, seine Regierung habe die Bevölkerung von Anfang an nach bestem Vermögen zu schützen gesucht. Nun sei es aber Zeit, endlich „nach vorn zu blicken“. Bisher war Cummings nur ein einziges Mal öffentlich aufgetreten – als er vor genau einem Jahr seine heimliche Fahrt nach Durham und Barnard Castle gerechtfertigt hatte, mit der er gegen den Lockdown verstoßen hatte. Damals stand Johnson noch zu seinem wichtigsten Berater, obwohl dessen Verstoß gegen die Regeln den Respekt vor dem Lockdown vielerorts untergrub und einen „Cummings-Effekt“ wachsender Missachtung vor den Regeln zur Folge hatte. Mittlerweile hofft man im Regierungslager, dass Cummings sich damit so viel Schaden zufügte, dass er als Zeuge unglaubwürdig geworden ist.
Peter Nonnenmacher