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Kontrollen am Tempelberg. Besucher müssen neu installierte Metalldetektoren passieren.
© REUTERS

Sicherheitsmaßnahmen in Jerusalem: Ein Berg voller Probleme in Israel

Neue Gewalttaten und der Einsatz von Metalldetektoren: Die aufgeheizte Stimmung am Tempelberg verheißt nichts Gutes für die nächsten Monate.

Der Nahe Osten wird von Gewalt erschüttert – wieder einmal: Ein Palästinenser hat am Freitag drei Israelis erstochen, bei Demonstrationen kamen Medienberichten zufolge vier Palästinenser ums Leben. Auslöser sind Metalldetektoren, die Israel als Reaktion auf eine Terrorattacke am Tempelberg installiert hat. Die aufgeheizte Stimmung verheißt nichts Gutes für die nächsten Monate.

Kleinste Veränderungen schaffen Unruhe

Zunächst klang alles wie eine vernünftige, einleuchtende Sicherheitsmaßnahme: Nach einer Terrorattacke auf dem Tempelberg, bei der zwei israelische Polizisten ums Leben kamen, baute Israel vor den Eingängen Metalldetektoren auf. Nicht-muslimische Besucher des Tempelbergs müssen seit jeher solche Sicherheitsmaßnahmen passieren, man kennt sie von Eingängen zu öffentlichen Einrichtungen, an Flughäfen, ja sogar zur Klagemauer, dem Heiligtum der Juden.

Die Entscheidung für diese Detektoren, so berichtete die israelische Tageszeitung „Haaretz“, sei fast beiläufig gefällt worden, in einer halbstündigen Telefonschaltung zwischen Armee, Inlandsgemeindienst, Polizei, zwei Ministern und Premier Benjamin Netanjahu. Der Regierungschef war gerade auf dem Weg nach Frankreich und Ungarn. Lange diskutiert habe man über die Detektoren nicht.

Am Tempelberg, einem der heikelsten Orte der Welt, geschichtsträchtig und religiös umstritten, bedeutet jede noch so winzige Veränderung Risiko für Unruhen. Selbst einfache Metalldetektoren haben hier enorme Symbolkraft. Muslime sehen darin eine Veränderung des fragilen Status quo, der seit Israels Eroberung von Ostjerusalem 1967 besteht: Die jordanische, islamische Waqf-Behörde verwaltet das Heiligtum, Israel ist für die Sicherheit zuständig. Bisher gab es nur vereinzelte Kontrollen, an manchen Tagen auch Zugangssperren für Männer unter 50 Jahren – allein das führte immer wieder zu Gewalt vonseiten der Muslime.

„Die Metalldetektoren sind erniedrigend“, sagte eine Muslima vergangene Woche. Sie breitete mit Hunderten anderen aus Protest ihren Gebetsteppich vor dem Löwentor der Altstadt statt in der Al-Aksa-Moschee aus. Der 60-jährige Hamed Ali, der ebenfalls zum Protestgebet erschienen war, ging noch weiter: „Es ist der schrittweise Versuch der Israelis, hier ihren dritten Tempel zu errichten.“

Die drei monotheistischen Religionen – Islam, Judentum und Christentum – sind eng miteinander verknüpft und haben Abraham als gemeinsamen Stammvater. So kommt es, dass auch die religiösen Heiligtümer eng beieinander liegen. Auf dem Tempelberg, dem drittheiligsten Ort der Muslime, steht heute die Al-Aksa-Moschee. Früher war es der Ort der beiden jüdischen Tempel, der zweite wurde 70 nach Christus von den Römern zerstört.

Tatsächlich gibt es unter nationalreligiösen Israelis den Versuch, den Tempelberg wieder jüdischer zu machen, manche Hardliner wollen dort gar einen dritten jüdischen Tempel errichten. Immer wieder versuchen Gruppen, auf dem Berg zu beten, was allerdings nur Muslimen erlaubt ist. In den Jahren 2015 und 2016 führte das bereits zu Krawallen zwischen jungen Muslimen und der Polizei.

Maßnahmen zur Deeskalation

Inlandsgeheimdienst und Armee haben schon in der vergangenen Woche signalisiert, dass man in Sachen Metalldetektoren nachgeben sollte, weil es den Zorn und die Gewalt schürt. Nun hat die Polizei in der Nacht zum Sonntag High-Tech-Überwachungskameras installiert, mit denen bewaffnete Verdächtige identifiziert werden können. Die Geräte sollen eventuell die Metalldetektoren ersetzen. Doch auch in dieser neuen Maßnahme sehen Muslime eine Verletzung des Status quo. Vertreter der Waqf teilten israelischen Medien mit, dass sie auch neue Methoden als „Maßnahme der Besatzung“ komplett ablehnen.

Wie geht es weiter?

Die Lage für Netanjahu und Abbas

Die Anführer beider Seiten befinden sich in einer Zwickmühle. Premier Netanjahu kann nur schwer die neuen Sicherheitsmaßnahmen wieder abschaffen, ohne als Schwächling zu gelten – schon gar nicht als Chef einer Regierung, die so rechts ist, dass er selbst fast gemäßigt erscheint. Und erst recht nicht nach dem blutigen Attentat auf drei jüdische Siedler am Freitagabend. Innenpolitisch könnte eine angespannte Sicherheitslage von den Korruptionsvorwürfen gegenüber Netanjahu ablenken. Zuletzt ist der Premierminister durch die U-Boot-Affäre unter Druck geraten. Beim Kauf deutscher U-Boote von ThyssenKrupp sollen Schmiergelder geflossen sein. Zwar ist Netanjahu selbst kein Verdächtiger, dafür aber ein enger Vertrauter, sein Anwalt und Cousin David Schimron.

Auf der anderen Seite hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schon lange an politischem Rückhalt verloren. Er gilt als volksfremd, seine Fatah-Partei als korrupt, Wahlen gab es lange keine mehr. So schürt er nun die aufgebrachte Stimmung, rief den vergangenen Mittwoch zum Tag des Zorns aus und kündigte am Freitag an, alle diplomatischen Kanäle zu den Israelis abzubrechen. „Ich friere alle Kontakte auf allen Ebenen zum Besatzungsstaat ab, bis Israel die Maßnahmen gegen das palästinensische Volk, gegen Jerusalem und die Al-Aksa-Moschee rückgängig macht.“

Morde grausamer Höhepunkt

Die Bilder zeigen einen blutverschmierten weißen Boden im Esszimmer des Hauses der Familie Salomon in der jüdischen Siedlung Halamish. Yosef Salomon (70) und seine Kinder Elad ( 36) und Haya (47) sind hier am Freitagabend ermordet worden. Sie waren gerade beim Schabbatmahl und feierten die Geburt eines Enkelkindes, erwarteten deshalb Besuch von den Nachbarn und öffneten dem Angreifer nichtsahnend die Tür. Der 19-jährige Omar al Abed aus dem benachbarten muslimischen Dorf Koba stach mit einem Messer auf die Gäste ein, Yosefs Frau wurde dabei schwer verletzt.

Die Tat ist bislang grausamer Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzungen der vergangenen Tage. Familien wie die Salomons haben natürlich eigentlich nichts mit Metalldetektoren zu tun. Doch der Hass der Palästinenser richtet sich undifferenziert und schonungslos gegen alle Israelis. Taten wir diese werden in der muslimischen Gesellschaft als heldenhafte Verteidigung des Tempelberges und der Ehre gesehen. „Die Ehre der Muslime ist der einzige Haram“, zitieren israelische Medien den Vater des Täters, Mohammed al Abed. Haram al Sharif wird der Tempelberg auf Arabisch genannt – das edle Heiligtum. „Wenn er fort ist, ist auch die Ehre der Muslime fort. Das war das Motiv meines Sohnes“.

Taten wie diese befeuern den Streit um die Metalldetektoren, fördern Radikalität und schmälern die Kompromissbereitschaft. Netanjahu kündigte beim Auftakt der wöchentlichen Kabinettssitzung am Sonntag an, dass das Haus des Terroristen zerstört werde – eine Maßnahme, die Israel nach Terrorattacken immer wieder anwendet. Und Regierungsmitglieder wie Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sowie Justizministerin Ajelet Schaked und Bildungsminister Naftali Bennett fordern gar die Todesstrafe für den Täter, der derzeit in einem israelischen Krankenhaus behandelt wird.

Neuer Krieg eher unwahrscheinlich

Im Sommer vor drei Jahren wurden schon einmal drei Israelis Opfer einer Terrorattacke, was der Auslöser für die Militäroperation „Fels in der Brandung“ in Gaza war. Damals entführten und ermordeten palästinensische Terroristen drei Jeschiwa-Schüler. Israelische Sicherheitskräfte identifizierten die Angreifer als Hamas-Aktivisten. Es folgten Verhaftungen im Westjordanland, was zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israels führte und schließlich im Gazakrieg mündete.

Doch heute ist einiges anders. Der Gazastreifen ist noch immer vom Krieg zermürbt, nur vier Stunden pro Tag gibt es Strom. Dass die Hamas ihrer Bevölkerung einen neuen Krieg verkaufen kann, scheint unwahrscheinlich. Für einen blutigen Massenaufstand, eine dritte Intifada, scheinen die Palästinenser im Westjordanland und in Ostjerusalem zu lethargisch. Viele sind mittlerweile politikverdrossen, und immer öfter hört man von jungen Palästinensern, dass sie einfach nur arbeiten und ihre Familie ernähren wollen und sich Smartphone, Fernseher und Auto leisten möchten.

Wie schnell so ein sensibles Thema wie der Tempelberg Tausende Palästinenser auf die Straßen treiben kann, hat allerdings der vergangene Freitag gezeigt. Ob das anhält, ist fraglich. Denkbar ist auch, dass es wie im Herbst 2015 wieder vermehrt einzelne Angriffe gibt. Damals gingen Attentäter mit Messern auf Israelis los oder fuhren mit Fahrzeugen in Menschenmengen.

Die Rolle der USA

Von US-Präsident Donald Trump war zur Lage in Nahost in den vergangenen Tagen nichts zu hören. Kein Statement über Twitter, keine Interview-Äußerungen. Hinter den Kulissen, so berichtete es Samstagabend die „Haaretz“, führe das Weiße Haus unter Leitung von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der vom Präsidenten zum Nahost-Berater ernannt worden war, jedoch Gespräche mit Israel, Jordanien, den Palästinensern und anderen Staaten und Gruppen in der arabischen Welt, um eine Lösung in der Tempelberg-Krise zu finden und eine weitere Eskalation zu verhindern. Vergangene Woche habe Kushner Medienberichten zufolge Abbas bei einem Telefonat aufgefordert, die Situation zu beruhigen. Und in einer Telefonkonferenz mit Netanjahu, US-Botschafter David Friedman und dem US-Sondergesandten für den Friedensprozess, Jason Greenblatt, sei es um einen Plan gegangen, um die Spannungen zu reduzieren. Öffentlich aber hält sich die US-Regierung zurück. Ein einziges Statement am vergangenen Mittwoch blieb vage: die Administration sei „sehr besorgt“ über die wachsenden Spannungen auf dem Tempelberg.

Die Situation für Touristen in Jerusalem

Die Situation in Jerusalem ist angespannt, Touristen sind aber nach wie vor in der Altstadt unterwegs und können sich dort auch frei bewegen. Bewaffnete israelische Sicherheitskräfte stehen wie sonst auch in der Altstadt und führen Personenkontrollen durch. Das Leben geht im krisenerprobten Jerusalem weitgehend normal weiter. Dennoch ist es ratsam, sich tagesaktuell zu informieren und jene Orte im Osten Jerusalems sowie im Westjordanland zu meiden, an denen Proteste und Kundgebungen angekündigt sind.

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