Festnahmen von Jimmy Lai und Agnes Chow: Ein Anschlag auf das freie Wort in Hongkong
Was die Festnahmen des Verlegers Jimmy Lai und der Aktivistin Agnes Chow für Hongkong und seine Demokratiebewegung bedeuten.
Sie kamen am Vormittag, mehr als 200 Polizeibeamte, und was sie in dem Hongkonger Gebäude machten, ist ungewöhnlich gut dokumentiert. Denn die Beamten durchsuchten die Büros der Firma Next Digital, zu der auch die Redaktion der regierungskritischen Zeitung „Apple Daily“ gehört.
Die Redakteure schossen Fotos und berichteten auf Social-Media über die Polizeiaktion, einer streamte den Beginn der stundenlangen Durchsuchung der Redaktionsräume live ins Internet, obwohl ihn ein Beamter aufforderte, damit aufzuhören. Als der festgenommene Medienmogul und Aktivist Jimmy Lai aus den Büroräumen herausgeführt wurde, versuchte der Journalist ein kurzes Interview mit ihm zu führen.
Es war der bisher größte Schlag gegen die Demokratiebewegung in Hongkong. Neben Jimmy Lai wurden auch zwei seiner Söhne und sechs weitere Personen abgeführt. Am Nachmittag nahm die Polizei auch noch die Demokratieaktivistin Agnes Chow fest. Sie alle wurden wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das neue Sicherheitsgesetz festgenommen.
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Der prominente Medienunternehmer Jimmy Lai hatte in der Vergangenheit Chinas autoritäre Regierung scharf kritisiert. Nun wird ihm vor dem Hintergrund des erst im Juli erlassenen Sicherheitsgesetzes vorgeworfen, er habe geheime Absprachen mit Kräften im Ausland, Betrug und andere Verstöße begangen.
Jimmy Lai spielte für die Demokratiebewegung in der ehemaligen britischen Kronkolonie eine herausragende Rolle. „Er war der einzige vermögende Hongkonger Unternehmer, der die Bewegung offen und tatkräftig unterstützt hat“, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Berliner Institut für Chinastudien Merics dem Tagesspiegel. „Durch sein unternehmerisches Engagement im Mediensektor hat er, besonders mit der populären Tageszeitung Apple Daily, der Bewegung eine zentrale öffentliche Plattform geboten.“
Ein Sprecher des Pekinger Büros für die Angelegenheiten Hongkongs und Macaus erklärte nach Informationen der „South China Morning Post“, dass Peking die Maßnahmen der Hongkonger Polizei „entschieden unterstützt“. Er nannte Lai, seine Kollegen und Söhne eine „Gruppierung, die Chinas Regierung umstürzen und Chaos in Hongkong erzeugen will“.
Zuvor hatten die USA Sanktionen gegen Hongkonger Verantwortliche ausgesprochen
China hatte Hongkong anlässlich seiner Rückgabe im Jahr 1997 für 50 Jahre lang den Status einer Sonderverwaltungszone mit dem politischen System „Ein Land, zwei Systeme“ garantiert. Doch das neue Sicherheitsgesetz gefährdet nun in Hongkong grundlegende Rechte wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, die es in der Volksrepublik ohnehin nicht gibt.
„Die Festnahmen und die Durchsuchung des Newsrooms sind ein direkter Anschlag auf Hongkongs Pressefreiheit und signalisieren eine dunkle neue Phase der Erosion des guten Rufs der Stadt“, schreibt der Hongkonger Klub der Auslandskorrespondenten in einer Stellungnahme. Erstmals wurden auch ausländische und regierungskritische Medien von einer Polizeipressekonferenz ausgeschlossen. „Das ist sehr besorgniserregend“, sagt China-Expertin Kristin Shi-Kupfer.
Die Hongkonger Opposition kritisierte ebenfalls das Vorgehen der Polizei. Die Civic-Partei teilte mit, Razzien wie diese seien darauf angelegt, unter dem Deckmantel des nationalen Sicherheitsgesetzes die Pressefreiheit und Stimmen von Dissidenten zu unterdrücken.
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Die Festnahmen ereigneten sich auch vor dem Hintergrund der jüngsten Sanktionen, die von den USA gegenüber prominenten Hongkonger Verantwortlichen wie Verwaltungschefin Carrie Lam ausgesprochen worden sind. „Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China haben vermutlich für den Zeitpunkt des Zugriffs eine Rolle gespielt“, sagt die China-Expertin Shi-Kupfer.
Auch Angestellte der „Apple Daily“ sprechen von einem Racheakt. „Den Schlag gegen die von Lai unterstützten Medienunternehmen hatte die Hongkonger beziehungsweise Pekinger Regierung aber vermutlich schon länger geplant“, sagt Shi-Kupfer.
Einige Hongkonger reagierten auf die Durchsuchung, indem sie Aktien von Next Digital kauften, weshalb der Kurs in die Höhe schoss. In zahlreichen Läden war nach Berichten auf Twitter die Zeitung „Apple Daily“ ausverkauft. Und die Redaktion twitterte die Worte ihres ebenfalls verhafteten Herausgebers Cheung Kim Hung: „Apple Daily muss weiterkämpfen.“