NSA-Affäre: Edward Snowden und die deutsche Zwickmühle
Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hat den Kontakt zu Edward Snowden hergestellt. Er ist bereit, sein Wissen an Deutschland weiterzugeben. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages könnte ihn anhören. Was steht dem im Wege?
- Jost Müller-Neuhof
- Christoph von Marschall
- Matthias Schlegel
- Christian Tretbar
Nach dem Gespräch des Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele mit dem US-Whistleblower Edward Snowden in Moskau ist in Deutschland die Hoffnung gewachsen, dass der einstige NSA-Mitarbeiter Licht in das Dunkel der Ausspähungen durch den US-Geheimdienst bringen könnte. Doch ob es dafür überhaupt eine realistische Chance gibt, ist höchst ungewiss.
Auf welchem Wege könnte Snowden befragt werden?
Diskutiert wird derzeit die Einsetzung eines Bundestagsuntersuchungsausschusses, der den Whistleblower als Zeugen laden und anhören könnte. Denkbar wäre aber auch eine Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft, nachdem diese Vorermittlungen aufgenommen hatte, als bekannt geworden war, dass das Handy der Bundeskanzlerin von der NSA abgehört worden sein soll. Eine entscheidende Frage ist aber, wo solche Anhörungen stattfinden könnten: in Deutschland oder aber in Russland, dem Land, in dem Snowden seit dem Sommer dieses Jahres ein auf ein Jahr begrenztes Asyl erhalten hat.
Sollte Snowden eher in Russland oder eher in Deutschland angehört werden?
Für beide Varianten gibt es Argumente, die dafür und dagegen sprechen – und widersprüchliche Signale. Die Bundesregierung hält eine Vernehmung in Russland für grundsätzlich möglich. Einer Anhörung eines Zeugen in einem anderen Land stehe nichts entgegen, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums am Freitag. Er betonte aber, dass die russische Regierung hierfür ihr Einverständnis geben müsse. Snowdens Anwalt Anatoli Kutscherena sagte am Freitag dem Radiosender Moskauer Echo, deutsche Vertreter könnten Snowden nur in Russland zur Spähaffäre befragen. „Snowden wird sich nicht nach Deutschland begeben“, betonte Kutscherena.
Eine Befragung in Deutschland sei unmöglich, weil sein Mandant nicht das Recht habe, „russische Grenzen zu überqueren“. Hintergrund ist die Sorge, der Amerikaner könnte dadurch den russischen Asylstatus verlieren. Snowden könne aber „im Rahmen internationaler Vereinbarungen in Russland aussagen“, wenn deutsche Stellen dies wünschten, fügte der Anwalt hinzu. Im Gegensatz dazu steht, was Grünen-Politiker Ströbele gesagt hatte: Snowden wolle nicht vor deutschen Vertretern auf russischem Boden aussagen. „Da hat er bisher erhebliche Vorbehalte, die ich nicht näher erklären darf oder will.“
Unter welchen Bedingungen könnte Snowden in Deutschland aussagen?
Ströbele betonte, Snowden „kann sich vorstellen, nach Deutschland zu kommen“. Dazu müsse allerdings gesichert sein, dass Snowden danach in Deutschland oder in einem vergleichbaren Land bleiben könne und dort in Sicherheit sei. Das spielt zum einen auf die allgemeine Sicherheitslage des Whistleblowers an, zum anderen aber darauf, dass dem Bundesjustizministerium seit dem 3. Juli ein Festnahmeersuchen der USA für Snowden vorliegt. Allerdings heiße das nicht, dass Snowden bei einer Vernehmung automatisch verhaftet würde, sagte ein Sprecher der Bundesjustizministerin. Im Gegenteil. Eine Zeugenvernehmung sei eine ganz andere Sache. Notwendig dafür sei eine ladungsfähige Anschrift und die Kooperation vonseiten Russlands.
Welche rechtlichen Hürden gibt es für eine Aussage Snowdens in Deutschland?
Zwischen Deutschland und den USA existiert ein Auslieferungsabkommen. Voraussetzung für eine Auslieferung ist, dass die vorgeworfene Tat in beiden Staaten strafbar ist. Ein Auslieferungsersuchen könnte aber von Deutschland auch abgelehnt werden – zum Beispiel wenn es wegen „einer aus deutscher Sicht politischen Straftat gestellt wurde“, wie es in einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages auf Anfrage der Linksfraktion heißt. Es komme dabei nicht darauf an, ob die USA dies als politische Straftat einordnen, sondern ob nach deutschem Recht eine Straftat mit politischem Charakter gegeben sei.
In jedem Fall bräuchte der Zeuge Snowden bei seiner Einreise einen Aufenthaltstitel. Er kann erteilt werden, „wenn hierfür völkerrechtliche oder dringende humanitäre Gründe“ oder „politische Interessen“ Deutschlands vorliegen, heißt es in dem Papier. Damit sei dem Bundesinnenministerium, das über die Aufnahme entscheiden muss, „ein weitreichender Beurteilungsspielraum eingeräumt“. Bei einem Zeugen aus dem Ausland müsse der Bundesinnenminister den Weg für eine Aufenthaltserlaubnis ebnen, soweit nicht schwerwiegende, das Staatswohl Deutschlands gefährdende außenpolitische Belange dagegen sprechen.
Für Snowdens Reise nach Deutschland könnte ihm auch sicheres Geleit zugestanden werden. Das gilt nach Paragraph 295 der Strafprozessordnung (StPO) bislang nur für Gerichte, für parlamentarische Untersuchungsausschüsse gibt es bisher keine Festlegungen dazu. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kommen aber zu dem Schluss, dass dieser Paragraph auch bei der Ladung von Zeugen vor einen Untersuchungsausschuss des Bundestages anwendbar sei.
Wie sollte sich die Bundesregierung verhalten?
Wäre Edward Snowden wirklich ein Verräter, täte die Regierung gut daran, auf Distanz zu bleiben. Er ist es aber nicht. Er ist eine Quelle. Die gespaltene Sicht auf die Tat(en) des Enthüllers sollte sich jedenfalls aus deutscher Sicht mit den Weiterungen des Skandals erledigt haben. Dank Snowden ist bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst illegal die Spitze des deutschen Staates ausforscht. War zuvor Skepsis gegenüber der Heldenrolle des Amerikaners durchaus angebracht, weil die Details über die Spähprogramme auch die (berechtigten) Interessen der USA an der Effektivität ihrer Terrorabwehr gefährden, so ist mit der Nachricht von der Merkel-Überwachung eine neue Situation eingetreten. Es gibt kein Argument, das diese Aktionen rechtfertigt.
In den USA verfolgt man Snowden wegen Verstoßes gegen den Espionage Act von 1917, ein ehemals für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg ersonnenes und in den vergangenen Jahren erfolgreich reanimiertes Schutzgesetz. Danach macht man sich bereits strafbar, wenn man Kenntnisse mitteilt, die zum Schaden der USA verwendet werden könnten. Ein Tatbestand, der viel zu offen formuliert ist und keine Abwägung mit den Absichten des Täters zulässt. Doch Snowden hat niemanden abgeschöpft, sondern nur mit Beweisen dargelegt, dass andere abschöpfen.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), sagte dem Tagesspiegel, es sei „Aufgabe der Bundesregierung, des Bundestages und der Behörden, die Rechte der Deutschen zu schützen. Dieser Anspruch muss auch gegen Staaten durchgesetzt werden, denen eine Vernehmung Snowdens nicht gefällt“.
Wer hat eigentlich die Hoheit über Snowdens Material?
Als Snowden sich im Mai aus den USA absetzte, hatte er bereits seit Monaten über verschlüsselte E-Mails mit Adressaten telefoniert, denen er vertraute: den Journalisten Barton Gellman von der „Washington Post“ und Glenn Greenwald vom britischen „Guardian“ sowie der Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Bis dahin hatte er ihnen nur Kostproben des Materials angeboten, um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen. Im Juni besuchten ihn Poitras, Greenwald und Ewen MacAskill, US-Korrespondent des „Guardian“, in Hongkong, der ersten Station der Flucht. Sie befragten Snowden eine Woche lang über die Bedeutung der Akten und seine Motive. Dort bekamen sie Zugang zum gesamten Material, sagt MacAskill dem Tagesspiegel – und ebenso die „Washington Post“, obwohl Gellman nicht mitgereist war.
Laut MacAskill entscheiden die drei Eingeweihten, welches Material sie selbst auswerten und welches sie an andere Medien weitergeben. Der „Guardian“ kooperiere mit der „New York Times“, Poitras habe dem „Spiegel“ Material zu deutschen Aspekten gegeben und Greenwald brasilianischen Medien Unterlagen, die dieses Land betreffen.
Bei der Auswertung der NSA-Akten gebe es eine große Herausforderung, sagt MacAskill. Im Gegensatz zu den „Wikileaks“-Unterlagen, die von Diplomaten geschrieben und für Außenstehende leicht verständlich waren, müsse man bei Snowdens Material den geheimdienstlichen Kontext kennen, um den Inhalt richtig zu interpretieren. Der „Guardian“ setze sich deshalb vor jeder Veröffentlichung mit der NSA in Verbindung, um ihr die Gelegenheit zu Stellungnahmen zu geben – und auch um sicherzustellen, dass keine Menschenleben durch die Veröffentlichung gefährdet werden.