Bodo Ramelow zu AfD und Landtagswahlen: "Dunkeldeutschland liegt nicht nur im Osten"
Mehr als 24 Prozent der Wähler in Sachsen-Anhalt haben am Sonntag AfD gewählt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warnt trotzdem davor, Fremdenfeindlichkeit vor allem in Ostdeutschland zu verorten.
Herr Ramelow, in Ostdeutschland hat es in den vergangenen Monaten zahlreiche Demonstrationen von Fremdenfeindlichkeit und Angriffe gegen Flüchtlinge gegeben, die rechtspopulistische AfD haben am Sonntag in Sachsen-Anhalt mehr als 24 Prozent der Wähler gewählt. Warum gibt es in Ostdeutschland so große Ressentiments gegen Fremde?
Hass, Fremdenfeindlichkeit und nationalpopulistische Strömungen darf man nicht auf Ostdeutschland reduzieren. Der Thüringer AfD-Chef Höcke ist kein Ostdeutscher und Fremdenfeindlichkeit ist kein neues und schon gar kein ostdeutsches Thema. In Hessen haben letzte Woche Wähler in Büdingen und Wetzlar im zweistelligen Bereich die NPD gewählt. AfD war wohl nicht auf dem Wahlzettel und der Denkzettel war heftig braun.
Warum fallen nationalistische und fremdenfeindliche Parolen in Ostdeutschland auf fruchtbareren Boden als im Westen?
Im Osten Deutschlands gibt es so gut wie keine Menschen nichtdeutscher Herkunft und schon gar nicht muslimischen Glaubens. In Thüringen sind es vielleicht 7000 Muslime. Das ist kaum messbar. Vielleicht liegt in der Unkenntnis des Fremden eine Erklärung dafür, warum sich Ressentiments eher zeigen als im Westen. Aber die Akteure sind stark vernetzt im Westen Deutschlands. Brennende Häuser und Übergriffe auf Flüchtlinge sind in ganz Deutschland weit verbreitet. Rechte Umtriebe gibt es zuhauf in Dortmund und anderswo. Denken Sie an die brennenden Häuser von Mölln oder Mannheim Und auch der NSU hat seine Taten im Westen begangen. Die Verrohung unserer Gesellschaft ist ein gesamtdeutsches Problem. Ich warne alle, die Augen davor zu verschließen und sich jetzt mit dem Fingerzeig auf Ostdeutschland selbst zu entlasten. Dunkeldeutschland liegt nicht nur im Osten.
Wie kommt es dazu, dass Menschen, in deren Lebensumfeld es kaum Fremde gibt, so ansprechbar sind für Fremdenfeindlichkeit?
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Das, was in Clausnitz, Heidenau, Bautzen Meissen oder Tröglitz geschehen ist, ist schrecklich. Wir dürfen das nicht hinnehmen. Unsere Regierung hat sich vorgenommen dagegen anzugehen. Wann immer es Demonstrationen von Thügida oder ähnlichen Gruppierungen gibt, ist ein Vertreter der Regierung bei den Gegendemonstrationen dabei. Wo wir in großer Zahl Flüchtlinge unterbringen, stellen wir uns rechtzeitig den Fragen der Menschen. Wir sprechen mit den Verantwortlichen vor Ort und sind offen für ihre Probleme. Unsere Erfahrung ist: Wer den Menschen die Ängste nimmt, gewinnt ihr Vertrauen und gibt denen, die Angst machen wollen, keinen Raum.
Welche Rolle spielt die Sozialisierung der Ostdeutschen in der DDR für ihre Ängste vor einer Überfremdung?
Die DDR war keine heile Insel, sie war eine abgeschottete Insel mit einem hohen Zaun Richtung Westen. Und das, was es scheinbar an Weltoffenheit gab, war eine Phraseologie des Internationalismus. Die so genannten Kontraktarbeiter waren Fremdarbeiter im schlimmsten Sinn des Wortes. Die Arbeiter aus Mosambik bekamen ihren Lohn nicht, den bekam der Staat, die Menschen warten heute noch auf die Auszahlung. Wenn Frauen etwa aus Vietnam schwanger wurden, standen sie vor der bitteren Alternative abzutreiben oder das Land zu verlassen. Man nannte sie abfällig Fidschis.
Haben die politischen Kräfte, hat auch die Linkspartei, diese Sozialisierung nach dem Fall der Mauer nicht ernst genug genommen?
So etwas funktioniert nicht auf Knopfdruck. Und zur gesamtdeutschen Redlichkeit gehört daran zu erinnern, dass es im Westen den bitteren Begriff der Gastarbeiter gab und den der Itacker. Es soll keiner kommen und den Ostdeutschen erklären, dass vierzig Jahre Vorsprung in der Demokratie gleichzusetzen sind mit größerer Weltoffenheit. Wir alle, in Ost und West, haben die Aufgabe Zuwanderung und eine offene Sicht auf andere Kulturen zu organisieren.
Wie?
Dazu gehört unter anderem der Austausch mit den Unternehmen. Denn vor allem dort findet Integration statt, bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Wenn die Flüchtlinge von heute eine Ausbildung erhalten, Sprachkenntnisse erwerben und zu Kollegen von morgen werden, dann nimmt man den Menschen auch Ängste, die entstehen, wenn sie monatelang in den Medien das Bild eines gewaltigen Flüchtlingsstromes sehen, der auf sie zurollt. Wir müssen den mühseligen und kleinteiligen Beweis dafür antreten, dass dieser Strom von Flüchtlingen uns nicht umreißen wird. Und dass wir es schaffen können, sie zu integrieren.
Wie viele Flüchtlinge kann Thüringen integrieren?
Alle, die nach Deutschland kommen und über den Verteilungsschlüssel nach Thüringen gelangen. Wir bauen keine Mauern hier, wir suchen Wohnungen, organisieren Arbeit und Schulbildung und sorgen dafür, dass die Menschen, die zu uns kommen, mit denen gut zusammen leben können, die schon hier sind. Dass das alles viel Geld kostet, versteht sich von selbst. Aber das Geld darf nicht über die Integration gestellt werden. Wir haben uns vorgenommen, jeden Euro zur Verfügung zu stellen, der benötigt wird, damit die Integration funktioniert. Menschen fliehen vor Krieg und Zerstörung und es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen.
Die Bundesländer haben den Bund aufgefordert, mehr Geld für die Integration zur Verfügung zu stellen. Was erwarten Sie vom Finanzminister Wolfgang Schäuble?
Es gibt in der Politik der Bundesregierung ein unerträgliches Missverhältnis zwischen dem Anspruch der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und der Bereitschaft, dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Während Frau Merkel auf der einen Seite mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ eine große nationale Aufgabe formuliert, schachert ihr Finanzminister um jeden Cent und trickst mit Erstattungsbeträgen herum. Ich darf noch einmal erinnern: Flüchtlinge sind eine Bundesaufgabe.
Was heißt das konkret?
Ich erwarte, dass der Bund die Hälfte aller Kosten, die die Länder haben, bezahlt. Das wäre eine faire Lastenverteilung. Wenn Herr Schäuble die Hälfte der Einnahmen aus dem Solidaritätsbeitrag, also acht Milliarden Euro, auf die Länder je nach Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge verteilen würde, wäre das angemessen. Bisher fließen diese acht Milliarden Euro nämlich nicht nach Ostdeutschland, sondern in den Haushalt des Bundes. Stünden sie allen Bundesländern zur Integration der Flüchtlinge zur Verfügung, erhielte der Begriff von Solidarität in den Ohren der Menschen, die den Beitrag jeden Monat bezahlen, wieder einen Sinn.
Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.