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Will einen unerfahrenen Anwalt, den sie besser dirigieren kann. Die Angeklagte Beate Zschäpe am Dienstag (30.06.2015) im Landgericht in München.
© imago/Sebastian Widmann

NSU-Prozess, der 214. Tag: „Du hast unsere Zeit verplempert in so einer Asselbude bei einem Dreckstürken“

Im NSU-Prozess wird am Dienstag ein Telefonprotokoll abgespielt, das den Alltagsrassismus des Milieus eindrücklich belegt. Es wird deutlich, dass sich die Angeklagte Beate Zschäpe mit ihrem Wunsch durchsetzen wird, einen unerfahrenen Anwalt zu bekommen, den sie besser dirigieren kann.

Sie sind die Eltern des ermordeten Halit Yozgat und bekommen jetzt nochmal einen Schlag ab. Mutter und Vater müssen an diesem Dienstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht ein von der Polizei aufgezeichnetes Telefonat mit anhören, in dem ihr Sohn als „Dreckstürke“ beschimpft wird. Von der Ehefrau des früheren Verfassungsschützers Andreas T., der am Tag des Mordes, dem 6. April 2006, in Kassel in Yozgats Internetcafé saß. Andreas T. hat vermutlich die Tat mitbekommen, auch wenn er das hartnäckig bestreitet und auch nicht die Leiche gesehen haben will, die hinter einem niedrigen Tresen lag. Die Polizei verdächtigte Andreas T. damals, er könnte mit dem Mord zu tun haben, und nahm ihn kurzzeitig fest. Und sein Telefon wurde abgehört. Knapp zwei Wochen nach der Tat redete Frau T. mit ihrer Schwester über „die Scheiße“, in der sie nun steckte.

Was Eva S.-T. am 19. April 2006 von sich gab, lässt Zuhörer im Saal A 101 zusammenzucken. In dem abgespielten Telefonat ist deutlich zu hören, wie die Frau davon berichtet, ihren Mann zusammengestaucht zu haben. In einem unverhohlen rassistischen Tonfall. „Du hast unsere Zeit verplempert in so einer Asselbude bei einem Dreckstürken“, zitiert die Ehefrau aus einem Gespräch mit Andreas T. Und es folgt kurz darauf die zynische Bemerkung, „interessiert es mich denn, wen der heute wieder niedergemetzelt hat? Solange er sich die Klamotten nicht schmutzig macht!“ Die Ehefrau und ihre Schwester lachen. Es schallt durch den Gerichtssaal.

Als der Mann mit einer fremden Frau flirtet, kommt der Alltagsrassismus hoch

Die menschenverachtenden Äußerungen sind Eva S.-T. zumindest hier vor den Richtern peinlich. „Ich bin ein bisschen erschrocken, was ich so gesprochen hab“, sagt sie, als der Ausschnitt des Telefonats abgespult ist. Sie sei nicht stolz darauf, „dass ich mich so scheußlich geäußert hab über türkische Menschen“. Aber sie sei damals „voller Wut“ gewesen. Die Frau hatte hochschwanger erleben müssen, dass die Polizei plötzlich auftauchte und ihren Mann als Mordverdächtigen mitnahm. Auch wenn er schnell wieder freikam, musste er doch seiner Frau beichten, in dem Internetcafé gewesen und online mit einer fremden Frau geflirtet zu haben. Die Wut spülte dann offenbar bei Eva S.-T. den Alltagsrassismus hoch.

Wie die Eltern von Halit Yozgat reagieren, ist für die Zuschauer allerdings nicht zu sehen. Mutter und Vater sitzen unter der  Tribüne. Wie sie darunter leiden, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihren Sohn erschossen, haben die Yozgats als Zeugen in schmerzerfüllten Aussagen geschildert.

Die Aussage von Eva S.-T. bringt zudem keine Klärung über die Rolle ihres Mannes während des Attentats. Er habe ihr erzählt, vom Mord nichts bemerkt und keine Leiche gesehen zu haben, sagt die Frau. Damit gibt sie genau das wieder, was Andreas T. gebetsmühlenhaft seit dem April 2006 von sich gibt, mehrere Male auch schon  im Prozess vor den sichtbar skeptischen Richtern.

Beate Zschäpe zeigt am Dienstag, wie üblich, kaum Regung. Sie hat allerdings den  Konflikt mit ihren Verteidigern noch zusätzlich angeheizt. Erstmals seit Beginn des Prozesses stellt die Hauptangeklagte einen eigenen Antrag – und scheitert. In einem kurzen Schreiben verlangt Zschäpe, der Strafsenat solle auf die Vernehmung von Zeugen verzichten, bis ihr der Münchner Anwalt Mathias Grasel als vierter Pflichtverteidiger beigeordnet wird. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lehnt den Antrag ab, Zschäpe werde ja weiterhin von ihren bisherigen Anwälten verteidigt. Dennoch zeichnet sich ab, dass die Angeklagte einen kleinen Sieg erringen wird. Götzl hat am Montag den Prozessbeteiligten schriftlich mitgeteilt, die Berufung Grasels zu erwägen. Der Richter bat um Stellungnahmen bis zu diesem Mittwoch. Im Gerichtssaal zweifelt jetzt kaum noch jemand, dass Zschäpe ihren Willen bekommt – und mit dem jungen, unerfahrenen Grasel einen Verteidiger, von dem sie vermutlich glaubt, er lasse sich besser dirigieren als ihre bisherigen Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm.

Eine Chronik des NSU-Prozesses lesen Sie hier.

Frank Jansen

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