Videoüberwachung in Berlin: Drei drohende Ohrfeigen für den Senat
Kameras können bei der Aufklärung von Verbrechen helfen oder sie in Zukunft verhindern. Der Berliner Senat verweigert sich aber der Diskussion. Ein Kommentar.
Der U-Bahn-Schläger vom Alexanderplatz war nicht mal klug genug, seinen Kopf zu bedecken. Auf den Fahndungsbildern der Polizei ist sein Gesicht deutlich zu erkennen – deutlich genug für Leute, die ihn kennen und es für unentschuldbar halten, dass er einen Mann hinterrücks eine Treppe im U-Bahnhof Alexanderplatz hinuntergeprügelt hat. Ein Grund mehr für die Ausweitung der Videoüberwachung: So werden es alle sehen, die bei nächster Gelegenheit die Forderungen des „Bürgerbündnisses für mehr Videoaufklärung und mehr Datenschutz“ unterschreiben.
Als dessen Gründer, der frühere Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und der frühere Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), es im April vorstellten, begründete Buschkowsky dessen Sinn trocken mit dem Satz, er lasse sich lieber filmen als verprügeln. Auch das sehen viele so. 80 Prozent der Berliner wollen eine intensivere Überwachung des öffentlichen Raums mit Kamera. SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat für die Überwachung kriminalitätsbelasteter Orte plädiert, der SPD- Innenpolitiker Tom Schreiber warf den Gegnern in seiner Partei „Realitätsverweigerung“ vor.
Nur im Senat tun sie weiterhin so, als wäre mit dem rot-rot-grünen Sicherheitspaket alles gesagt und geregelt. Es kann so kommen, dass der Senat am 24. September beim Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel die erste politische Schelle verpasst bekommt, weniger aus der großen Freude der Leute am Fluglärm über der Stadt als für den Umgang der Politik mit dem Pseudoflughafen im Südosten.
2018 ist die zweite Schelle zu erwarten, wenn die Unterschriftensammlung für mehr Videoüberwachung läuft, 2019 die dritte, wenn zur Europawahl der dazugehörige Volksentscheid kommt. Innensenator Andreas Geisel überlässt das Argumentieren gegen die Videoüberwachung lieber der Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk. Sie sagt, was Gegner der Videoüberwachung stets behaupten: Die Kameras im öffentlichen Raum führten „nicht automatisch zu mehr Sicherheit“.
Na klar, führte Videoüberwachung „automatisch“ zu mehr Sicherheit, gäbe es auf den Straßen und Plätzen Londons keine Verbrechen mehr, sondern nur noch in privaten Räumen. Ebenfalls klar: Es gibt Leute, die klug genug sind, ihre Köpfe mit Kapuzen zu bedecken, wenn sie über Bahnhöfe laufen – die drei Gestalten auf dem polizeilichen Fahndungsvideo zum Goldmünzen-Diebstahl im Bodemuseum beweisen es.
Aber andere, wie der jüngst verurteilte Treppentreter von Neukölln, Svetoslav S., sind eben blöd genug, sich filmen zu lassen. Das macht die Fahndung nach solchen gemeingefährlichen Leuten leichter und schafft, jedenfalls mit Blick auf ihn und jedenfalls für die Zeit seiner Inhaftierung, eher mehr als weniger Sicherheit.
Delikater sind die Fragen, die in diesem Zusammenhang selten bis gar nicht diskutiert werden: die Fragen nach den Möglichkeiten der Technik, die über das reine Dokumentieren des Vorgefallenen weit hinausgehen. Man kann mithilfe der Videotechnik fahnden. Und man kann versuchen, durch Gesichtserkennung der Kameras Straftaten zu verhindern.
Ein Schritt mehr zum orwellschen Überwachungsstaat? Genau das ist die Frage, über die zu streiten ist, und zwar nicht nur in Berlin. Der Biometrie-Fachmann Alexander Nouak hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor knapp einem Jahr gesagt, diese Technik der Mustererkennung – denn nichts anderes ist das Erkennen von Gesichtern – schaffe eine Trefferquote von 90 Prozent. Voraussetzung ist allerdings, dass die oder der Gesuchte schon einmal erkennungsdienstlich erfasst worden ist.
Die Berliner Datenschutzbeauftragte sagt mit Blick auf einen Versuch zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz: „eine Technik ohne Zukunft“. Denn mit der neuen, ab Mai 2028 geltenden europäischen Datenschutzverordnung werde die Erhebung biometrischer Daten zur Identifizierung grundsätzlich verboten.
Eng gefasste Ausnahmen gibt es aber. Zum Beispiel wenn „lebenswichtige Interessen“ anderer zu schützen sind oder wenn die Verarbeitung biometrischer Daten „im öffentlichen Interesse“ liege.
Auf diese Formulierung können sich Polizeibehörden stützen, und nach Lage der Dinge ist die Regelung vernünftig. So kann Videotechnik auch zur Verhütung von Verbrechen eingesetzt werden. Für Missbrauchsfälle durch Behörden gibt es Gerichte, parlamentarische Kontrollkommissionen und Untersuchungsausschüsse. Das System funktioniert.
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