Liberalität und Demokratie: Donald Trumps Amerika gefährdet die westlichen Werte
Kann die friedlich-liberale Weltordnung weiter bestehen, wenn der Hegemon, der sie erhalten soll, nicht mehr liberal ist? Ein Gastkommentar.
Die Amerikaner haben gewählt und sich entschieden: Gegen das politische Establishment in Washington, gegen ihre Rolle als globale Ordnungsmacht und gegen das freiheitliche Amerika, das vielen Menschen weltweit Vorbild und Orientierung war. Donald Trump, der 45. Präsident der nicht mehr so Vereinigten Staaten von Amerika, konnte sich durchsetzen, obwohl er – oder noch schlimmer: weil er die Regeln menschlichen Anstands und demokratische Prinzipien missachtete.
Trump war sich seiner Sache sicher: "Ich könnte im Zentrum New Yorks jemanden erschießen, und ich würde keinen Wähler verlieren", prahlte er gegenüber Journalisten, die sich über seine Grenzüberschreitungen wunderten.
Knapp 60 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, die für ihn stimmten, sahen denn auch darüber hinweg, dass er sich über Behinderte lustig machte, Frauen herabwürdigte, gegen Muslime hetzte, Latinos pauschal als "Vergewaltiger und Verbrecher" stigmatisierte und seiner Konkurrentin, der "korrupten Hillary", drohte, sie hinter Gitter zu bringen, sobald er im Amt sei. "Sperrt sie ein!", lautete denn auch ein einigender Schlachtruf der Trump-"Bewegung".
Der Demagoge Donald Trump hat es mit dieser für viele auch unterhaltsamen Schlammschlacht geschafft, Menschen wieder für das politische Geschehen zu begeistern, die sich davon schon lange verabschiedet hatten. Er gibt den Ohnmächtigen wieder eine Perspektive und, viel wichtiger, eine Stimme. Denn immer mehr weiße Amerikaner haben Abstiegsängste. Sie befürchten, dass ihnen Afroamerikaner, Latinos und asiatische Einwanderer den Rang ablaufen.
Auch Amerikas Position in der Welt scheint gefährdet zu sein. Trump verstärkt diese Ängste, gibt aber zugleich den starken Führer, der einfache Lösungen für komplizierte Probleme anbietet, um zunächst hispanische Einwanderer und globale Herausforderer wie China in die Schranken zu weisen.
Obwohl die meisten Probleme Amerikas hausgemacht sind, gibt Trump anderen die Schuld: Einwanderern oder Wettbewerbern. Er schürt negativen Nationalismus, weil er seine Anhänger und Amerika in Abgrenzung gegen andere definiert. Mit seinen fremdenfeindlichen Parolen begeistert er seine Anhänger, die in erster Linie weiße, weniger gebildete Amerikaner sind.
Auf diese Wählergruppe, die das Parteiestablishment der Republikaner links liegen ließ, schaute auch die Favoritin der Demokraten mit Verachtung hinab. Hillary Clinton verunglimpfte diese Wähler als einen "Haufen Gottserbärmlicher" ("basket of deplorable"). Menschenfischer Trump hingegen versicherte den Verachteten seine besondere Zuneigung: "Ich liebe die Ungebildeten."
Mit seiner Ankündigung, "Amerika wieder groß machen" zu wollen, profitierte er von dem Minderwertigkeitsgefühl sozialer Verlierer, die sich von beiden Parteien im Stich gelassen fühlen. Indem er die Wähler direkt befragte, gab Trump ihnen das Gefühl, dass er ihre Bedürfnisse anders als die etablierten Politiker tatsächlich ernst nimmt.
Tiefe Abneigung gegen das "business as usual"
Jedes Mal, wenn Hillary Clinton faktengesättigt und intellektuell geschliffen in den Fernsehdebatten Trump eines Besseren belehrte und ihn wegen seiner einfachen Sprache und Ignoranz belächelte, spielte sie ihm unbewusst eine Trumpfkarte zu: Sie verstärkte die von Trump gewünschte Solidarisierung seiner Anhänger gegen die Eliten und die etablierte Politik und damit vor allem gegen sich selbst.
Am Ende erhielt Trump sogar die Stimmen mancher Anhänger des im Vorwahlkampf unterlegenen linken Demokraten Bernie Sanders.
Die meisten Amerika-Beobachter, die nur die Ost-und Westküste kennen und den als "Heartland" bezeichneten Mittleren Westen sowie die Südstaaten, den "Bible Belt", der USA ignorieren, überraschte es, dass Trump auch den Segen der Christlichen Rechten erhielt, vor allem den der in Fragen der Sozialmoral konservativen Evangelikalen und Katholiken. Dieser "Basis" der Republikaner verdankte bereits der letzte republikanische Präsident vier von zehn seiner Wählerstimmen.
George W. Bush und Donald Trump haben neben ihrer elitären Abstammung noch etwas gemein: Sie beide wurden von den gebildeten Weltbürgern im In- und Ausland belächelt und unterschätzt, was ihre Fähigkeit, ja Bauernschläue, angeht, die Stimmung ihrer Landsleute – ihrer "Wutbürger" – zu verstehen und auf diese einzugehen.
Die international orientierte republikanische Finanzelite und intellektuelle Neo-Konservative haben Trumps Erfolg mit Erstaunen und Entsetzen kommen sehen. Seinen kometenhaften Aufstieg konnten sie dennoch nicht verhindern. Der Grund: In den USA gibt es keine Parteien nach unserem Verständnis. Sie spielen keine Rolle in der Politikgestaltung, es gibt keine Fraktions- oder Parteidisziplin.
Die meisten Amerikaner hegen heute eine tiefe Abneigung gegen die etablierte Politik
Selbst ihre Minimalfunktion als Wahlvereine haben sie mittlerweile an Interessengruppen und Milliardäre verloren – dank der Urteile des Obersten Gerichts, das Geldspenden als Form der Meinungsfreiheit absegnete, die nicht beschnitten werden dürfe.
Die meisten Amerikaner hegen heute eine tiefe Abneigung gegen die etablierte Politik, gegen das "business as usual". Das für sie wichtigste Thema im Vorfeld der Wahlen war daher die Überzeugung, dass eine Handvoll ihrer Landsleute zu viel Einfluss auf die Politik habe und dass dieses politische System korrumpiert sei. Bezeichnenderweise konnte der Milliardär Trump in dieser Gemengelage das Zutrauen seiner Wähler mit der Aussage gewinnen, ihn könne keiner kaufen, weil er bereits viel Geld habe.
Er selbst habe, so Trump freimütig, als Geschäftsmann Politikern Geld gegeben und immer erreicht, was er wollte – zum Beispiel, dass das Ehepaar Hillary und Bill Clinton seiner Hochzeit mit der dritten Frau, der gebürtigen Slowenin Melanija Knavs und künftigen "First Lady" Melania Trump, beiwohnte.
Mit diesem Argument konnte er auch Jeb Bush ausschalten, der bereits vor der Bekanntgabe seiner Kandidatur über 100 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden gehortet hatte und deswegen als sichere politische Bank galt. Parallel brachte der selbsterklärte Sozialist Bernie Sanders in den Vorwahlen der Demokraten Hillary Clinton in die Bredouille.
Clintons größte Angriffsfläche, die auch Trump später im Hauptwahlkampf weidlich ausnutzte, bestand in der massiven Unterstützung ihres Wahlkampfes und der Bereicherung ihres Privatvermögens durch die Finanzindustrie, deren ungezügeltes Handeln wesentlich zur Finanzkrise 2007/08 beigetragen hatte.
Betrachtet man – wie die Demokratieforscherin Pippa Norris von der Harvard-Universität – den Integritätsgrad von Wahlen, dann sind die USA mit dem 52. Rang unter 153 Ländern nicht gerade unter den Musterschülern zu finden. Selbst Kroatien, Griechenland, Argentinien, die Mongolei oder Südafrika liegen mittlerweile vor der ehemaligen Vorbilddemokratie.
Bemängelt wird in erster Linie, dass Interessengruppen und vermögende Einzelpersonen massiv Einfluss auf die Wahlen nehmen, dass Wahlbezirke politisch motiviert zugeschnitten und Afroamerikaner und Latinos bei der Wahlregistrierung diskriminiert werden sowie die niedrige Wahlbeteiligung. Dass sich bei US-Wahlen dennoch vielerorts Wählerschlangen bilden, ist auf die unzureichende technische Ausstattung zurückzuführen – wie in Ländern der "Dritten Welt". Das alles passt nicht in das Selbstbild einer High-Tech-Nation.
AfD und Front National werden Trump nachahmen
Wir müssen daher die Klischees und Trugbilder vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" hinterfragen, die noch in den Köpfen vieler haften. Wir sollten uns auch nicht von den Hochglanzstatistiken der Wirtschaftsmedien blenden lassen. Sie sind oft Potemkinsche Dörfer, bestenfalls Durchschnittswerte, die die dahinterliegenden Ungleichheiten und Strukturprobleme kaschieren.
Die Lage ist zwar nicht so miserabel, wie Donald Trump sie aus wahltaktischen Gründen seinen Wählern gegenüber erklärte. Sie ist aber auch nicht so rosig, wie sie von Frohbotschaftern aus der Neuen Welt, von der amerikanischen "Public Diplomacy" (früher Propaganda genannt) und von Bewunderern auf dem alten Kontinent gezeichnet wird.
Auch Donald Trump ist mehr Schein als Sein. Er hat in diversen Reality-TV-Shows sein Handwerk gelernt und eine Kunstfigur, eine Medienfigur, von sich erschaffen. Jeder Amerikaner kennt Trumps Reality-TV-Show The Apprentice, in der er mit dem Satz "You are fired!" unfähige Arbeitnehmer feuerte. Trump selbst steht als Ikone für Erfolg, obwohl er im richtigen Leben viele Misserfolge hatte.
Dessen ungeachtet pflegt er das Medien-Image eines erfolgreichen und mächtigen Geschäftsmannes, der Amerika wieder auf die Erfolgsspur bringen kann. Damit war sein politischer Erfolg in der amerikanischen Mediendemokratie vorprogrammiert. Amerika und die westliche Welt werden die Geister nicht mehr los, die der Zauberlehrling Trump rief.
Donald Trump ist jedoch nicht das Hauptproblem. Der Unternehmer Trump hat es vielmehr verstanden, nicht nur die soziale Misere vieler seiner Wähler, sondern auch grundlegende Defizite der amerikanischen Wirtschaft und Politik für seine Zwecke auszunutzen. Und diese Probleme hat auch Deutschland, wenn auch nicht in diesem extremen Ausmaß.
Auch das Gefühl materieller Sicherheit ist verloren gegangen
Wer die kometenhaften Aufstiege Donald Trumps und der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) vergleicht, sieht bei allen Unterschieden gleichwohl eine wichtige Gemeinsamkeit: Die Unzufriedenheit mit der politischen Klasse.
Die liberale Demokratie steht unter Druck. Weder in Amerika noch in Europa schafft es der Staat, seinen Bürgern das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Auch das Gefühl materieller Sicherheit, das Gefühl, dass möglichst viele etwas vom wirtschaftlichen Wohlstand abbekommen, ist verloren gegangen.
Es wäre jedoch die Voraussetzung dafür, dass die Bürger den Staat und die etablierten Politiker unterstützen. Die daraus resultierende Legitimationskrise zeigt sich daran, dass auf beiden Seiten des Atlantiks Populisten die massive Unzufriedenheit ausnutzen können: Trump in den USA, die AfD in Deutschland.
Die Wahlstrategen der AfD oder des französischen Front National von Marine Le Pen werden Donald Trumps Erfolgsrezept sehr genau analysieren und nachzuahmen versuchen. Dabei werden sie durch das rechtskonservative Medium Breitbart News tatkräftig unterstützt, dessen Geschäftsführer Stephen Bannon Trumps Wahlkampfattacken orchestrierte und dem als künftigen Chefstrategen im Weißen Haus das Ohr des Präsidenten gehören wird.
Nach Aussagen von Alexander Marlow, der das mitunter auch rechtsextreme Positionen verbreitende Medium redaktionell leitet, sollen bald Redaktionen in Berlin und Paris eröffnet werden. Ziel soll es sein, rechtspopulistische Politiker zu unterstützen.
Auch in anderer Hinsicht werden wir in Europa von den Entwicklungen in den USA betroffen sein: Während der Amtszeit Donald Trumps sollten wir uns darauf einstellen, dass die gesellschaftlichen Gräben in den USA noch tiefer werden und sich die politischen Fronten verhärten. Die soziale Spaltung und politische Radikalisierung wird die Demokratie der westlichen Führungsmacht weiter unter Druck setzen und auch Europa und die Welt beeinträchtigen.
Je mehr die USA mit sich selbst beschäftigt sind, desto weniger können sie ihre globale Ordnungsfunktion wahrnehmen. Überdies besteht die Gefahr, dass innerer Unfrieden auch Aggression nach außen bewirkt. Im schlimmsten Fall könnte Oberbefehlshaber Trump sogar versuchen, von inneren Problemen mit einer offensiveren Außenpolitik abzulenken.
Das nationalistische Schneckenhaus als goldener Weg
Kann eine friedlich-liberale Weltordnung bestehen, wenn der Hegemon, der Hüter, der sie erhalten soll, nicht mehr liberal ist?
Sollte Trump sein isolationistisches Credo "America First" wahrmachen und, wie im Wahlkampf angedroht, rücksichtslos amerikanische Interessen durchboxen, Sicherheitsallianzen wie die NATO ignorieren und Handelskriege vom Zaun brechen, würde er im gleichen Zug die von den USA seit dem Zweiten Weltkrieg gehegte westlich orientierte Weltordnung zerstören.
Während die neue US-Regierung den Rückzug ins nationalistische Schneckenhaus als goldenen Weg sehen könnte, scheut China mit seiner umfassenden Seidenstraßeninitiative ("One Belt, One Road") keine diplomatischen Initiativen und wirtschaftlichen Investitionen, um den Welthandel in seinem Sinne neu zu ordnen.
In Europa werden wir uns auf mehrere Szenarien einstellen und uns eigene Gedanken darüber machen müssen, wie wir uns in dieser sich rapide verändernden geopolitischen Machtkonstellation ausrichten wollen. Wir müssen herausfinden, wie sich die möglichen Turbulenzen zwischen den sich verändernden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systemen der USA und der von ihr mitgeprägten Weltordnung auswirken können.
Schließlich brauchen wir alle eine Welt, die uns eine mehr oder weniger gute Existenz verspricht.
Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und leitet die Redaktion des Jahrbuch Internationale Politik. Am 16.12. erscheint sein Buch "Trumps Amerika -- Auf Kosten der Freiheit. Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie und die Folgen für Europa" beim Quadriga-Verlag. Wir veröffentlichen hier vorab einen Auszug mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Josef Braml