US-Präsidentschaftswahl: Donald Trump ist noch längst nicht erledigt
Immer mehr Republikaner distanzieren sich von Donald Trump. Das feuert ihn an, die Rolle des einsamen Streiters für eine Erneuerung Amerikas auszufüllen. Ein Kommentar.
Wären die Menschen, wie sie laut Umfragen sind, würden sie sich durch Toleranz, Güte, Großherzigkeit, Umweltbewusstsein und Solidarität auszeichnen. Kaum einer gibt etwa zu, beim Autokauf vor allem auf Geschwindigkeit und PS zu achten. Natürlich nicht! An erster Stelle stehen Benzinverbrauch und niedrige Abgaswerte. Laut Umfragen. Die meisten Deutschen sehen im Fernsehen am liebsten die Nachrichten. Sagen sie. Die Einschaltquoten künden oft von anderen Vorlieben.
Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf führt Hillary Clinton inzwischen recht deutlich vor Donald Trump. Im direkten Vergleich steht’s 48 zu 42 im Durchschnitt aller Umfragen. Daraus allerdings abzuleiten, das Rennen sei bereits gelaufen, wäre äußerst gewagt. Vor vier Jahren, just in der zweiten Oktoberwoche, lag Mitt Romney beim renommierten Meinungsforschungsinstitut Gallup konstant vor Barack Obama. Am 15. Oktober stand es 50 zu 46 für den Republikaner. Wie die Wahl schließlich ausging, ist bekannt: Obama gewann deutlich mit 51,1 Prozent vor Romney (47,2).
In diesem Jahr wird die Unsicherheit noch drastisch verschärft durch die extrem polarisierenden Charakterzüge von Trump. Er äußert sich sexistisch und rassistisch, droht Clinton gar an, sie im Falle eines Wahlsieges ins Gefängnis bringen zu wollen. Damit liegt Trump weit unterhalb eines allgemein akzeptierten zivilisatorischen Verhaltens.
Das wissen auch seine Anhänger. Es ist durchaus möglich, dass sich viele von ihnen in Umfragen nicht mehr zu ihm bekennen, obwohl sie ihn am 8. November wählen werden. Ein Typ wie Trump ist ein Novum in der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten. Umfrageinstitute müssen einen nur schwer zu berechnenden Igitt-Faktor berücksichtigen, für den sie auf keinen zuverlässigen Erfahrungswert zurückgreifen können.
Trump zielt auf die Mobilisierung des rechten Randes
Hinzu kommt, dass Trumps Strategie nicht auf die moderate Mitte zielt, sondern auf die Mobilisierung des rechten Randes. Früher galt die Regel, Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Ein Kandidat müsse sich zunächst durch ideologische Standfestigkeit in der eigenen Partei durchsetzen, dann gemäßigter auftreten, um in den Kreis der Unentschlossenen und Wechselwähler vorzudringen. Am Anfang radikal, handzahm am Ende.
Doch Trump macht das Gegenteil. Weil das Land gespalten ist, setzt er auf die Mobilisierung ehemaliger Nichtwähler, die dem Establishment einen Denkzettel verpassen wollen. Dass das gelingen kann, zeigen in Deutschland die Erfolge der AfD. Als Partei des Protests gelang es ihr vor allem, bisherige Nichtwähler an die Urnen zu bringen. Deren Zahl ist groß. In den USA liegt die Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen traditionell zwischen 50 und 60 Prozent.
Nachdem zu Trump auch immer mehr prominente Mitglieder seiner eigenen Partei auf Distanz gehen, fällt es ihm künftig noch leichter, die Rolle des einsamen Streiters für eine Erneuerung Amerikas auszufüllen. Der Film „High Noon“ mit Gary Cooper gewann seinerzeit vier Oscars und gilt als Prototyp eines Western. Der Sheriff von Hadleyville, Will Kane, wird von allen seinen Freunden verlassen und führt einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Gangsterbande von Frank Miller. Allein gegen alle. Ein amerikanisches Ideal.
Kane gewinnt den Kampf, wirft am Ende jedoch , wütend und enttäuscht, seinen Sheriffstern zu Boden und wendet sich vom Dorf ab, um gemeinsam mit seiner Frau Amy ein neues Leben zu beginnen. Es darf als sicher gelten, dass Trump „High Noon“ gesehen hat. Ob er nach einem Wahlsieg auf das Amt verzichten würde, ist nicht bekannt.