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Will endlich Erfolg bei der Gesundheitsreform: US-Präsident Donald Trump
© AFP/Nicholas Kamm

Showdown zur US-Gesundheitsreform: Donald Trump greift zur Risiko-Therapie

Ende für "Obamacare"? Noch heute wollen die Republikaner im Kongress über die Abschaffung der Gesundheitsreform abstimmen - obwohl die Mehrheit nicht garantiert ist. Eine Analyse.

Donald Trump ist am Ende seiner Geduld. Er greift zu einer Risiko-Therapie, um zu heilen, was er als eine schwere Krankheit des politischen Systems der USA ansieht: Unentschiedenheit, Ausflüchte und die Neigung vieler Abgeordneter, sich immer noch eine weitere Option offen zu halten, weil sie auf ihre Chancen bei der nächsten Wahl schielen.

Triumphator oder Verlierer? Die Wette gilt

Der US-Präsident will es wissen: Der Kongress soll am heutigen Donnerstag über den Vorschlag zur Korrektur der Gesundheitsreform abstimmen, auch wenn keineswegs sicher ist, dass dieser Vorschlag eine Mehrheit findet. Heute Abend wird Trump entweder als Triumphator dastehen oder als Verlierer.

Trump setzt darauf, dass er mit Worten und unbeugsamem Willen die Realität verändern kann - und dass eine Situation, auch wenn sie faktisch noch nicht gegeben ist, eintritt, wenn er darauf beharrt, dass sie da sei. "Wir haben die nötigen Stimmen beisammen", lässt er den Führer der Mehrheitsfraktion im Abgeordnetenhaus, Kevin McCarthy, verkünden.

Allgemeine Verunsicherung im Parlament und den Medien

Die Behauptung verunsichert viele Beteiligte, das ist unverkennbar. Sie verunsichert Abgeordnete, die sich noch nicht festgelegt haben, aber am Ende nicht auf der falschen Seite stehen wollen. Sie verunsichert Journalisten, die akribisch nachzählen, wer sich auf ein Ja festgelegt hat, wer auf ein Nein und wer noch unentschieden ist.

Die Republikaner haben 22 Stimmen Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Unter der Annahme, dass die Demokraten geschlossen dagegen stimmen, die Gesundheitsreform "ihres" Präsidenten Barack Obama abzuschaffen, können sich die Republikaner 22 Nein-Stimmen in den eigenen Reihen erlauben. Die "Washington Post" zählte am Donnerstag Morgen 20 Nein und 35 noch Unentschiedene. Nach Zählung der "New York Times" waren 18 Nein sicher und 33 Stimmen offen.

Notfallversorgung für das US-Gesundheitssystem: Die Versicherungsprämien steigen. Doch bei Gegenmaßnahmen fallen Kranke aus dem System.
Notfallversorgung für das US-Gesundheitssystem: Die Versicherungsprämien steigen. Doch bei Gegenmaßnahmen fallen Kranke aus dem System.
© Mike Blake/Reuters

Acht Milliarden Dollar, um einen Zweifler zu gewinnen

Die Dynamik der letzten Tage lässt es zumindest möglich erscheinen, dass Trumps Kalkül aufgeht. Rund zwei Dutzend Abgeordnete. die skeptisch waren, haben inzwischen ihre Zustimmung erklärt. Zuvor war die Spaltung der Republikanischen Partei mit Blick auf das Ausmaß der Korrektur ein zentrales Problem. Der eine Flügel möchte "Obamacare" komplett abschaffen; der andere nur gewisse Korrekturen einzelner Aspekte zulassen. Das hatte zur Folge: Kam Trump dem einen Lager entgegen und gewann dort Stimmen, verlor er im anderen - und umgekehrt.

Am Dienstag hat ein einflussreicher Abgeordneter der Moderaten, Fred Upton, noch gesagt, er könne den aktuellen Reform nicht unterstützen, weil sie katastrophale Folgen für Bürger mit einer "Preexisting Condition" habe: einer Erkrankung, die beim Wechsel in eine neue Krankenversicherung bereits bekannt ist und deshalb nach dem Willen der Republikaner nicht mitversichert wird; solche Klauseln hatte Obama verboten; das neue Gesetz erlaubt sie wieder. Inzwischen wurde der Gesetzentwurf geändert. Es wird ein Notfonds in Höhe von acht Milliarden Dollar eingerichtet für die betroffenen Fälle. Aus Sicht der Gegner ist der Fonds nur eine Scheinlösung. Doch Upton will nun mit Ja stimmen.

Gesundheitspolitik als Gewinn-Spiel

Das Vorgehen Trumps und der Republikaner bedeutet einen signifikanten Stilwechsel gegenüber Vorgänger Obama. Neue Regelungen im Gesundheitswesen greifen in das Leben der meisten Bürger ein. Obama bereitete seine Gesundheitsreform über viele Monate vor, diskutierte Detaillösungen, vergewisserte sich, wer dafür und wer dagegen stimmen würde. "Gambling" in einer so ernsten Sache war ihm fremd. Und ebenso ein politisches Vorgehen im Stil einer Wette, wer wohl gewinnt. Mit der Gesundheitsversorgung spielt man nicht.

Trump lässt es drauf ankommen. Er will den Showdown jetzt - nach 105 Tagen im Amt. Wenn das Abgeordnetenhaus zustimmt, wird er das als Sieg verbuchen. Dabei ist er dann lange noch nicht am Ziel. Auch der Senat muss zustimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es tut, ist aus heutiger Perspektive nicht groß. Aber wer weiß. Wenn Trump die erste Wette gewinnt - obwohl er am Morgen des Abstimmungstags die Stimmen noch nicht beisammen hatte -, dann kann er auch die zweite Wette gewinnen. Oder?

Christoph von Marschall

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