Flüchtlingspolitik: Dobrindt fordert mehr Zurückweisungen an der Grenze
In der Flüchtlingspolitik hat Deutschland vor drei Jahren eine Ausnahme zur Regel gemacht. Der CSU-Landesgruppenchef will das wieder zurückdrehen. Spricht er im Namen des Innenministers?
Dass die CSU dem Bundesinnenminister Dampf macht, ist ein seit vielen Jahren eingeübtes Schauspiel. Seit die CSU den Bundesinnenminister selber stellt, sollte man meinen, dass das Stück vom Spielplan abgesetzt ist. Am Dienstag aber lässt der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt daran gewisse Zweifel aufkommen. Es geht in seiner wöchentlichen Stammtisch-Journalistenrunde um die Flüchtlingspolitik, und Dobrindt stellt eine klare Forderung auf: „Wir müssen die Zurückweisungen an der Grenze deutlich ausweiten.“
Wer schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt habe und in der Fingerabdruck-Datei Eurodac erfasst sei, müsse sofort in dieses Land zurück. „Das ist die Rechtslage in Europa“, sagt der Chef der CSU-Abgeordneten, „und ich will, dass diese Rechtslage durchgesetzt wird.“ Tatsächlich wird sie das seit drei Jahren an der deutschen Grenze nicht. Wer als Flüchtling in Passau oder Bad Reichenhall ankommt und um Asyl bittet, wird eingelassen.
Rechtlich ist das nach dem Dublin-Abkommen möglich. Dieser EU-Vertrag sieht zwar eigentlich vor, dass Asylverfahren in dem Land zu führen sind, in dem ein Flüchtling die EU betritt. Aber er erlaubt anderen Staaten, das Verfahren an sich zu ziehen. Als im Herbst 2015 hunderttausende Flüchtlinge ankamen, erklärte die Bundesregierung diese Ausnahmebestimmung zur Regel – auch deshalb, weil Ankunftstaaten wie Ungarn, Griechenland oder Italien dem Ansturm erkennbar nicht gewachsen waren.
Die Ausnahme gilt bis heute. Der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sie nicht geändert. Und nach allem, was man bisher hörte, will er sie auch nicht ändern, so lange die Flüchtlingszahlen sich nicht der im Koalitionsvertrag vereinbarten Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Menschen im Jahr nähert.
Oder will er doch? Nächste Woche, kündigt Dobrindt an, werde Seehofer seinen „Masterplan für Abschiebungen“ vorstellen. Darin werde der CSU-Chef „das ganze Asylsystem wieder vom Kopf auf die Füße stellen“. Dazu gehörten die geplanten Anker-Zentren, aus denen heraus nach Hause zurückgeschickt werden solle, wer kein Bleiberecht erhalte. Dazu gehöre, dass seine Asylberechtigung verwirke, wer sich der Mitwirkungspflicht im Verfahren entziehe. Nach dem neuen – noch geheimen – Afghanistan-Lagebericht des Auswärtigen Amtes sei die generelle Sicherheitslage am Hindukusch wieder besser als vor dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul, deshalb müsse der Abschiebestopp wieder aufgehoben werden.
Und dann eben – die Zurückweisung an der Grenze. Ob das Seehofers „Masterplan“ so vorsehe? „Gehen Sie mal davon aus, dass ich in enger Abstimmung mit dem Innenminister bin“, sagt Dobrindt.
Oder stellt Alexander Dobrindt eine CSU-pur-Forderung auf?
Die Antwort lässt Deutungsspielraum. Referiert der Landesgruppenchef aus dem Gesetzesentwurf seines Parteichefs? Dann wäre Krach in der Koalition programmiert. Denn von einseitiger deutscher Grenzschließung steht nichts im Koalitionsvertrag. Dort wird dem „Prinzip der Zuständigkeit des Ersteinreiselandes für Asylbewerber“ zwar eine „übergeordnete Rolle“ eingeräumt, aber nur im Rahmen einer Reform des Dublin-Systems, zu der ein „fairer Verteilmechanismus“ in der EU gehören müsse.
Diese Verhandlungen sind freilich festgefahren; „für uns so nicht akzeptabel“ nennt der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) als Vertreter Seehofers beim EU-Innenministertreffen in Brüssel die aktuellen Vorschläge.
Oder stellt Dobrindt, zweite Möglichkeit, eine CSU-pur-Forderung auf, die über Seehofers Gesetzesentwurf hinaus geht? In der Logik des Abwehrfeldzugs läge das, den der Landesgruppenchef gegen die AfD führt. Deren Vertreter werden nicht müde, den aktuellen Zustand an der Grenze als „Rechtsbruch“ hinzustellen und Seehofers eigenen Spruch von der „Herrschaft des Unrechts“ als Beleg zu zitieren. Die Rückkehr zum alten Dublin-Verfahren würde den Attacken die Grundlage entziehen.
Allerdings müsste die Rückkehr auch funktionieren. Schon daran gibt es berechtigte Zweifel. Der neue italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte kündigt just am Dienstag eine „neue Form des Dialogs“ seiner Regierungskoalition aus Rechts- und „Fünf-Sterne“-Populisten mit der EU an. Die „eigennützigen Grenzschließungen“ vieler EU-Staaten zu Lasten Italiens wolle er sich nicht länger bieten lassen.
Würde sich Italien weigern, Neuankömmlinge zu registrieren, liefe Dobrindts Forderung ins Leere. Das Dublin-System erlaubt Zurückweisung nur, wenn klar ist, wo der Flüchtling die EU betreten hat. Aber die spannendere Frage bleibt sowieso eine andere: Ob der alte Brauch, dass die CSU der Regierung Dampf macht, nicht nach hinten los geht, wenn der CSU-Chef als zuständiger Minister eigentlich nur schulterzuckend auf Koalitionszwänge verweisen kann.