Affäre um Kopfgeld für Taliban: Dieser Skandal könnte Trump tatsächlich gefährlich werden
Hat Trumps Nähe zu Russland das Leben von US-Soldaten gefährdet? „Bountygate“, also die Kopfgeld-Affäre, empört viele Veteranen - doch deren Unterstützung braucht der Präsident.
Auch wenn es angesichts all der folgenlosen Aufreger schwer zu glauben ist: Diese Affäre könnte dem US-Präsidenten tatsächlich gefährlich werden. "Bountygate", so wird der Skandal um angeblich durch den russischen Geheimdienst gezahlte "Kopfgelder" für Taliban, die US-Soldaten ausschalten, inzwischen genannt. Er rührt an ein existenziell wichtiges Verhältnis von Donald Trump: das zum Militär - und ganz besonders zu den vielen Veteranen im Land.
Rund 20 Millionen ehemalige Soldaten gibt es in den USA. Ihnen hat Trump zu einem großen Teil seine Wahl 2016 zu verdanken. Sie waren es, die ihm nach seinen Wahlversprechen, viel Geld in die Verteidigung des Landes zu investieren, in einigen hart umkämpften Bundesstaaten massenhaft unterstützten, zum Beispiel in Florida. Und das, obwohl sich Donald Trump einst vom Kriegsdienst befreien ließ.
Aber jetzt, gut vier Monate vor der Wahl, wird dieses Verhältnis durch Berichte getestet, dass der Präsident die perfiden russischen Absichten entweder ignorierte oder, auch nicht viel besser, davon nichts wusste.
Der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden warf Trump "Pflichtverletzung" vor, sollte der Präsident informiert gewesen sein und nicht gehandelt haben. Er habe Soldatenleben gefährdet, so der Vorwurf der Opposition.
Trump will nichts gewusst haben
Trump bestreitet, über die möglichen Angriffe auf US-Soldaten und westliche Verbündete in Afghanistan von seinen Geheimdiensten gebrieft worden zu sein. Dem widerspricht die "New York Times", die als Erste über die Belohnungen für radikalislamische Taliban und andere Milizen berichtet hatte. Der Zeitung zufolge, die sich auf Geheimdienstinformationen beruft, soll er im Februar eine schriftliche Mitteilung zu den Kopfgeld-Erkenntnissen erhalten haben.
Recherchen anderer US-Medien bestätigten dies. Der Nachrichtenagentur AP zufolge sollen die Informationen sogar bereits im Frühjahr 2019 im Weißen Haus bekannt gewesen sein. Demnach soll der frühere Nationale Sicherheitsberater John Bolton den Präsidenten auch persönlich informiert haben.
[Mit dem Newsletter "Twenty/Twenty" begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]
Das Weiße Haus widerspricht zwar den Berichten, dass Trump persönlich unterrichtet worden sei. Es hat aber indirekt bestätigt, dass entsprechende Informationen existieren. Viele halten es tatsächlich für vorstellbar, dass Trump solch brisante Informationen einfach nicht gelesen haben könnte. Oder sich nicht weiter dafür interessierte.
Der US-Präsident hält wenig von seinen Diensten
Es ist kein großes Geheimnis, dass er wenig von Geheimdienstmitarbeitern hält, wenn sie Unangenehmes zu berichten haben. Beim Gipfeltreffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Helsinki im Sommer 2018 zweifelte er öffentlich die Erkenntnisse seiner eigenen Dienste über die russische Einmischung in die Präsidentschaftswahl 2016 an. Wollte er die Vorwürfe also einfach nicht zur Kenntnis nehmen?
Trumps Sprecherin Kayleigh McEnany sah sich am Mittwoch genötigt, zu erklären, dass Trump "der bestinformierte Präsident auf dem Planeten Erde" sei, vor allem, wenn es um die Bedrohungen für sein Land gehe. Und ja, betonte sie gar, er lese Berichte.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Die Frage, was Trump wann klar war, ist von großer Bedeutung. Denn wenn er von den Vorwürfen zu dem Zeitpunkt wusste, als er vor wenigen Wochen anregte, Russland zum anstehenden G-7-Gipfel in den USA einzuladen, wäre sein Verhalten schwer nachvollziehbar. Mindestens Sanktionen hätten dann doch fällig gewesen sein müssen, heißt es.
Kritiker werfen ihm vor, Russland gegenüber zu nachsichtig zu sein
Passiert ist indes, zumindest soweit bekannt, nichts. Deswegen fühlen sich einmal mehr jene Kritiker bestätigt, die dem US-Präsidenten seit Jahren vorwerfen, gegenüber Russland und Putin viel zu zurückhaltend, ja sogar unterwürfig zu sein.
Boltons Nachfolger als Nationaler Sicherheitsberater, Robert O'Brien, verteidigte am Mittwoch die Entscheidung, den Präsidenten zunächst nicht persönlich über entsprechende Erkenntnisse zu informieren. Die Informationen seien nicht ausreichend bestätigt gewesen, sagte O'Brien.
Die Entscheidung sei von einer hochrangigen CIA-Beamtin getroffen worden, die den Berichten misstraut und von einer persönlichen Unterrichtung Trumps abgesehen habe. Er unterstütze diese Haltung, sagte O'Brien. Und fügte hinzu, jetzt sei Trump aber vollständig informiert.
Nicht gerade vertrauenerweckend ist auch, dass der Präsident zunächst wieder von "Fake News" gesprochen hatte, von einer "erfundenen Geschichte, die nur erzählt wird, um mir und der Republikanischen Partei Schaden zuzufügen". Die geheime Quelle der "New York Times" existiere möglicherweise gar nicht, twitterte er, und forderte die Zeitung auf, ihre Quellen offenzulegen.
Aufklärung fordern selbst Republikaner
Der Druck auf Trump, in der Affäre für Aufklärung über die Geheimdienstinformationen und eine mögliche US-Reaktion zu sorgen, kommt inzwischen von beiden Parteien im Kongress. Kritik wird zunehmend auch von Veteranen laut, die eigentlich der Republikanischen Partei nahestehen.
"Ich glaube, dass ihm unsere Truppen völlig egal sind", erklärte etwa der Navy-Veteran und ehemalige Abgeordnete des Kongresses von North Carolina, Shawn LeMond. "Wenn er über Russland nicht Bescheid wusste, dann, weil er seine verdammten Hausaufgaben nicht gemacht hat. Und das ist erbärmlich." LeMond hat wie eine Reihe prominenter Republikaner angekündigt, bei der Wahl im November für Biden zu stimmen. Andere Veteranen äußerten sich ähnlich.
Es ist bei weitem nicht der erste Konflikt Trumps mit dem Militär. Als er im Wahlkampf 2016 den ihm kritisch gegenüberstehenden republikanischen Senator John McCain attackierte und dem Kriegshelden vorhielt, sich habe gefangen nehmen zu lassen, kam das überhaupt nicht gut an. Verärgert reagierten viele auch, als Trump Ende 2019 die kurdischen Verbündeten in Nordsyrien im Stich ließ.
Nach der Drohung mit einem Militäreinsatz gegen Demonstranten war der Unmut groß
Und als er bei den Protesten nach dem in Polizeigewahrsam ums Leben gekommenen Afroamerikaners George Floyd vor einem Monat mit dem Einsatz von Soldaten drohte und friedliche Demonstranten vor dem Weißen Haus mit Tränengas und Gummigeschossen vertreiben ließ, kritisierten ihn gleich mehrere hochrangige Veteranen scharf.
Selbst sein ehemaliger Verteidigungsminister Jim Mattis, der nach seinem Ausscheiden Ende 2018 lange eisern geschwiegen hatte, meldete sich danach zu Wort: Trump sei der erste Präsident zu seinen Lebzeiten, der versuche, das Land zu spalten. Dagegen sollten die Amerikaner aufbegehren, forderte der hochdekorierte Veteran.
Der Kreml spricht von "Lügen"
Derweil schwelt die Affäre weiter. Die "New York Times" berichtet über größere Finanztransfers, die im Zusammenhang mit der Affäre stehen könnten. Es handele sich um abgefangene Daten von Überweisungen eines vom russischen Militärgeheimdienst kontrollierten Bankkontos an ein mit den Taliban verbundenes Konto.
Als Quelle führt die Zeitung drei ungenannte Beamte aus Geheimdienstkreisen an. Dies untermauere nach deren Ansicht die Vermutung, dass Russland heimlich Kopfgelder für die Tötung von US-Truppen in Afghanistan gezahlt haben könnte.
Im Zusammenhang mit der Kopfgeld-These wird unter anderem ein Autobombenanschlag im April 2019 genannt, bei dem drei Marinesoldaten getötet worden sein sollen. Der "Washington Post" zufolge hatte die CIA die Informationen über das russische Kopfgeld untersucht und "bestätigt". Der Kreml bezeichnet die Medienberichte als "Lügen".
Für Trump ist die Sache längst nicht ausgestanden. Dass dieser Skandal überdies in eine Zeit fällt, in der der Präsident wegen seines Umgangs mit der Corona-Krise und in den Umfragen an Zustimmung verliert, macht ihn brandgefährlich.